Donauwoerther Zeitung

Mit ein paar Klicks Geld verdienen

Moderne Heimarbeit­er erfüllen im Akkord Kleinarbei­t für diverse Online-Plattforme­n. Der Job am digitalen Fließband ist flexibel, hat aber gravierend­e Haken

- VON JONAS KECK

Würzburg Sandra schrieb Blogbeiträ­ge über Cafés – ohne darin je einen Kaffee getrunken zu haben. Und sie verfasste Produktbes­chreibunge­n für Handtasche­n, die sie nie in den Händen hielt. Auch große deutsche Versandhän­dler waren unter ihren Auftraggeb­ern. Sandra (der richtige Name ist der Redaktion bekannt) war eine sogenannte Clickworke­rin. Heute sieht sie diesen Job kritisch. Clickworke­r werden von Unternehme­n für kleine Dienstleis­tungen bezahlt, die sich über das Internet erledigen lassen. Dadurch können Routineauf­gaben auf eine große Menge solcher Akkordarbe­iter verteilt werden, weshalb man auch von Crowdworke­rn spricht. Unter diesem Begriff fasst man aber auch selbststän­dige Programmie­rer und Designer zusammen, die umfangreic­here Tätigkeite­n erledigen. Die Arbeit der Clickworke­r ist oft kleinteili­ger.

Einer der größten Anbieter für Clickworki­ng in der Werbebranc­he ist Textbroker. Diese Online-Plattform vermittelt Aufträge von Unternehme­n, die auf der Suche nach Texten für ihre Webseiten sind. Dafür greift die Plattform auf tausende registrier­ter Autoren zurück, die für den Auftraggeb­er zum Beispiel Blogbeiträ­ge oder Produktbes­chreibunge­n anfertigen. Sandra hat rund drei Jahre als Clickworke­rin für Textbroker gearbeitet. Sie studiert Germanisti­k und Philosophi­e in Stuttgart. „Ich habe versucht, mit dem Nebenjob als Texterin Geld zu verdienen. Aber für den Zeitaufwan­d war die Bezahlung zu gering.“

Über 40 Prozent der Clickworke­r sind Studenten. Sie verdienen im Schnitt rund 144 Euro pro Monat und arbeiten dafür knapp 30 Stunden – macht einen Stundenloh­n von 4,80 Euro. Das geht aus einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales versucht derzeit in Studien herauszufi­nden, wie viele Crowdworke­r in Deutschlan­d arbeiten. „Als Zwischenst­and rechnen wir damit, dass rund ein Prozent der Erwerbstät­igen Crowdworke­r sind. Das entspricht etwa 446000 Personen“, sagt eine Sprecherin des Ministeriu­ms.

Das Schreiben von Texten gehört schon zu den komplexere­n Aufgaben, die Unternehme­n an Clickworke­r wie Sandra auslagern. Die digitalen Arbeiter erledigen auch Mikrojobs, die Computer noch nicht eigenständ­ig ausführen können und für die nur ein paar Mausklicks notwendig sind. So ordnen Clickworke­r beispielsw­eise Fotos und Videos geeigneten Schlagwort­en zu, damit sie von Suchmaschi­nen gefunden werden können. Oder sie recherchie­ren Adressen, Öffnungsze­iten und Preise und bekommen ein paar Cent für jede Auskunft.

Etwa drei Prozent der Unternehme­n in der Informatio­nswirtscha­ft setzen Clickworke­r ein. Das ergab eine repräsenta­tive Unternehme­nsbefragun­g, die das Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung im vergangene­n Jahr durchgefüh­rt hat. Im Vergleich zu 2014 hat sich der Anteil dieser neuen Arbeitsfor­m kaum verändert.

Unternehme­n stehen dem Clickworki­ng nicht unbedingt positiv gegenüber. Von Nachteil sei, dass firmeninte­rnes Wissen öffentlich werde und die Qualität der Arbeit nur schwer kontrollie­rt werden könne. Ein Mittel der Qualitätss­icherung sind digitale Rangabzeic­hen. Auf Basis einer Arbeitspro­be zeichnet der Vermittler den Clickworke­r mit Sternen aus. Mit drei Sternen verdiente Sandra unter einem Cent pro Wort. Sie reichte eine neue Arbeitspro­be ein und wurde mit vier Sternen bewertet. Danach bekam sie knapp über einen Cent pro Wort.

Was ist davon zu halten? „Clickworki­ng bringt gesellscha­ftliche Risiken mit sich. Durch diese neue Form der Arbeit werden die langjährig erarbeitet­en Errungensc­haften der Sozialpoli­tik ausgehöhlt“, meint Christian Papsdorf. Der Professor für Techniksoz­iologie erforscht an der Technische­n Universitä­t Chemnitz den Wandel der Arbeitsges­ellschaft. Offiziell sind Clickworke­r selbststän­dig. Daher zahlen sie weder in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung noch in Krankenund Sozialvers­icherungen ein. Auch einen Anspruch auf Mindestloh­n haben sie nicht.

Um einen Stundenloh­n in Höhe des Mindestloh­ns von 8,84 Euro zu verdienen, müsste Sandra 884 Wörter pro Stunde schreiben. Alle vier Sekunden ein Wort. „Im Laufe der Zeit wird man zwar schneller, aber auf einen vernünftig­en Stundenloh­n zu kommen ist im Grunde nicht möglich“, meint die Studentin. „Wer richtig gut ist und sich den fünften Stern erarbeitet, kann auch drei oder vier Cent pro Wort verdienen“, sagt sie. Persönlich kennt sie keinen Kollegen, der die höchste Lohnstufe erreicht hätte.

Dass sich Clickworke­r zusammensc­hließen, um ihre Arbeitsbed­ingungen zu verbessern, befürworte­t Professor Papsdorf. „Zusätzlich bedarf es sozialstaa­tlicher Leitplanke­n, um diese Veränderun­g in geordnete Bahnen zu lenken“, regt er an. Viele Clickworke­r seien entspreche­nd ihrer Qualifikat­ion zwar unterbezah­lt. Verteufeln möchte Papsdorf das Arbeitsmod­ell aber nicht. Er sieht in anspruchsv­olleren Aufträgen die Chance eines niedrigsch­welligen Einstiegs in eine Branche und die Möglichkei­t, erste Referenzen zu sammeln.

Im Schnitt verdient man 144 Euro im Monat

 ?? Foto: Daniel Naupold, dpa ?? Egal, wo und wann: Sogenannte Clickworke­r können ihren Job flexibel gestalten. Sie werden von Unternehme­n bezahlt, die Kleintexte brauchen, zum Beispiel für ihre Inter netseiten. Die Bezahlung ist allerdings schlecht.
Foto: Daniel Naupold, dpa Egal, wo und wann: Sogenannte Clickworke­r können ihren Job flexibel gestalten. Sie werden von Unternehme­n bezahlt, die Kleintexte brauchen, zum Beispiel für ihre Inter netseiten. Die Bezahlung ist allerdings schlecht.

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