Wo bleibt die Streitkultur?
Ach, es könnte alles so schön sein. Ich sage nur: Streitkultur. Ein wunderbares Wort. Verbindet es doch auf den ersten Blick Hässliches, nämlich den Streit, mit etwas Positivem, Bewahrendem, der Kultur. Und es stimmt ja auch, der zivilisierte Streit ist eine sinnvolle Sache. Ein Muss in einer demokratischen Gesellschaft. Gegner darf man ruhig mal sein. Nur eben niemals Todfeind. Hart um die Sache verhandeln, das ist wichtig. Nur der Respekt füreinander, der darf nie verloren gehen. Egal, ob man sich als Nachbarn über zu laute Musik zofft, als Ehepartner über die Haushaltspflichten oder als Politiker über das große Ganze.
Doch um die Streitkultur muss man sich ernsthaft Sorgen machen. Da helfen offenbar die vielen Ratgeber für jeden nur denkbaren Konflikt wenig. Es ist unüberhörbar: Der Ton in vielen Auseinandersetzungen wird nicht nur schärfer. Er wird auch persönlicher. Und oft respektloser. Viele streiten nicht mehr. Sie bekriegen sich. Für viele ist das Internet die Ursache allen Übels. Nirgends lassen sich schneller Hasstiraden in die Welt setzen und verbreiten. Das Internet spielt sicher eine Rolle. Doch ist die Ursache für diese Entwicklung nicht vielmehr in der Individualisierung zu suchen? Im Trend zu einer Gesellschaft, die das Ich allzu oft über das Wir stellt und in der viele vor allem ihre Rechte zu glauben kennen und nur auf ihren Vorteil bedacht sind?
Die Streitkultur ist ein zu hohes Gut, als dass sie egoistischen Kleinkämpfen geopfert werden darf. Das sollte eigentlich unstrittig sein.