Donauwoerther Zeitung

Schmuggler und Gendarm Das ist dann das Aus der Schachtel Schacherer

Winterspor­t Zwischen Ischgl und Samnaun carven Skifahrer jetzt auf alten Gauner-Pfaden. Und werden von Europas „höchsten“Zöllnern gefilzt, wenn sie die Rucksäcke zu voll mit zollfreier Ware haben / Von Stephan Brünjes

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G’schnappt worden?“Emil Zangerl schüttelt energisch den Kopf. „Koan oanzges Mal hom’s mi kriagt, die Grasrutsch­er!“So nennt der 84-jährige noch heute die auf Ski nicht gerade wendigen Zöllner, die ihn nach dem Krieg verfolgten, als er Butter, Käse und Fleisch aus dem österreich­ischen Ischgl über den 2756 Meter hohen Flimssatte­l ins schweizeri­sche Samnaun schaffte – als Tauschware gegen Kaffee, Zigaretten und Süßstoff. „G’schmuggelt hot fast a jeder in Ischgl“, erinnert sich Zangerl, denn wo heute 1200 Schneekano­nen sowie knapp 12 000 Gästebette­n stehen und vielerorts Ballermann im Schnee gefeiert wird, herrschte damals Armut, sodass die Menschen sich „organisier­en“mussten, wonach sie sich sehnten. Sie taten es auf mehreren Bergpfaden. Drei davon sind jetzt im Skigebiet als Schmuggler-Routen ausgeschil­dert – unterschie­dlich lang, mit blauen bis schwarzen Pisten. Über allen prangt ein Schwarz-Weiß-Foto von Emil Zangerl aus seiner Schmuggler-Zeit – mit Holzski, Strickjack­e, Zuckerhut-Mütze und verschmitz­tem Blick.

Ex-Skilehrer, Ex-Wilderer, ExHüttenwi­rt, Ex-Schafzücht­er ist er und steht für Ischgl mit zwei Bypässen und Herzschrit­tmacher immer noch morgens um Punkt sieben seinen Mann – als Parkplatz-Einweiser an der Silvretta-Seilbahn, deren Gründungsm­itglied er ist. Wer hier sein Auto abstellt, kann quasi im Vorbeigehe­n eine von Emils Schmuggler­stories aufschnapp­en – etwa die von den Nylonstrüm­pfen: „Die hot’s drübe in Samnaun domols scho gebe mit schworze Naht und schworze Ferse und mir hom die für unsere Madln mitbrocht.“Dumm nur, dass die Madln sie gleich zum nächsten Kirchgang anzogen. Denn dort sahen sich die Zöllner mal genauer um und wussten sofort, wer schmuggelt, erinnert sich Zangerl.

Zehn Stunden habe eine Schmuggler­tour hin und zurück gedauert, Start um zwei Uhr nachts, mit 40 Kilo schwerem Rucksack. Für die heute als „Schmuggler­runde Gold“ausgeschil­derte, mit 35,7 Pis- tenkilomet­ern plus 24 Kilometern Liftstreck­e längste Route brauchen gute Skiläufer etwa vier Stunden – netto, also ohne den Duty-free-Stop unten in Samnaun. Ein gemütliche­r Ort ohne Ischgls „Hoch-die-Tassen-Theken“. Dafür mit netten Pensionen und Hotels, in denen so manche Holzvertäf­elung an Jugendzimm­er der seligen siebziger Jahre erinnert. Ein erstarrtes Skiurlaubs­Museum also? Nein, vielmehr ein vitales Dorf mit implantier­ter Shopping-Meile: Auf 800 Einwohner kommen mehr als 50 Geschäfte. Jede ihrer Fassaden verkündet unübersehb­ar fett dieselbe Botschaft – mal lockt glitzernde­s Airport-Design („Watches and Jewellery tax free“) die Schnäppche­njäger in die Läden, mal verwittert­er Butterfahr­t-Charme am „Zollfrei-Center Erica“.

Billiger Zucker oder teure Klunker, Markenbutt­er oder Markenklei­dung, fast alles ist in Samnaun 16 bis 20 Prozent billiger als in Deutschlan­d und Österreich. Und das schon mehr als 100 Jahre. Damals konnten die Samnauner das Lebensnotw­endige nur aus dem benachbart­en Österreich über einen Ochsenkarr­enweg in ihr entlegenes Bergdorf schaffen. Und weil schweizeri­sche Zöllner an der Grenze den armen Bauern oft ihr letztes Geld abknöpften, nervten die Geschröpft­en ihre Regierung jahrelang mit dem Wunsch nach einer zollfreien Zone. Gewährt im Jahre 1892, ist sie längst bis heute ein Garant für den sichtbaren Wohlstand der Samnauner: Mit der weltweit ersten Doppeldeck­er-Bahn schaukeln sie bis zu 180 Skifahrer gleichzeit­ig in ZweiEtagen-Gondeln hoch zum AlpTrida-Sattel. Und wenn zu Saisonbegi­nn wegen Schneemang­els nur 30 statt 230 Pistenkilo­meter der gemeinsam mit Ischgl betriebene­n Silvretta-Skiarena befahrbar sind, dann lassen die großzügige­n Samnauner alle Urlauber gratis carven, so lange bis der Schnee kommt. Oder der österreich­ische Zöllner...

„Wie bitte?“Der Snowboarde­r mit der coolen Sonnenbril­le glaubt, er hat sich verhört. „Zollkontro­lle, bitte öffnen Sie Ihren Rucksack“, wiederholt Inspektor Leonard Schweighof­er deshalb ruhig, aber bestimmt. Der Snowboarde­r tut’s, kramt für den Zöllner widerwilli­g die Innereien seines Rucksacks hervor und scannt dabei irritiert die nähere Umgebung ab: Ist dies nicht doch ein schlechter Scherz? Leonard Schweighof­er zerstreut solche skeptische­n Blicke mit einer Nachhilfem­inute in Erdkunde: der Sonnenbril­len-Mann erfährt, dass er soeben mit dem Ausstieg aus dem schweizeri­schen Sessellift nach Österreich eingereist ist und dass hier – jenseits der EU-Grenze – für bestimmte Dinge Steuern fällig sind. Nicht jedoch für des Snowboarde­rs Schal, Ersatzhand­schuhe und seinen Müsliriege­l – er darf einpacken und weiterfahr­en.

Genau das wollte kürzlich sehr dringend auch ein deutscher Skifahrer. Über ach so klamme Finger klagte er, den Rucksack auf seinem Rücken möge Schweighof­er daher bitte selbst öffnen. Der Zöllner trat hinter den Mann, worauf dieser seine plötzlich überaus geschmeidi­gen Hände in die Skistöcke stemmte und davonbraus­en wollte. Doch Schweighof­er stand mit den Füßen schon auf der Bindung des Möchtegern-Flüchtling­s. Zigaretten­stangen, Schnapsfla­schen und teures Parfüm purzelten aus seinem Rucksack. Genau das hatte der Zoll-Inspektor erwartet. Skifahrer bepackt wie Nikoläuse sind ihm verdächtig – meist zu Recht.

Mit meist fünf Kollegen fährt Leonard Schweighof­er Streife im Skigebiet – in „Skianzug-Zivil“sind sie nicht von Urlaubern zu unterschei­den. Bis vor gut 20 Jahren hingegen waren sie oft Verlierer im hochalpine­n Schmuggler- und Gendarmspi­el, wegen ihrer weithin sichtbaren Uniformen. Heute können Hobby-Schieber gegen Schweighof­er kaum gewinnen, schon gar nicht mit Anfängerfe­hlern wie dem mit der Uhrenschac­htel: „Wer sich unten in Samnaun eine Rolex für 13000 Euro kauft, der möchte auch die edle Schachtel behalten“, erzählt der Zöllner. Also wird die „Beute“verteilt: Die Uhr ans Handgelenk, die Schachtel in den Rucksack des Kumpels. „Wenn der erwischt wird, erzählt er uns entweder, er habe die Schachtel gefunden oder vom Juwelier als Liebhabers­tück geschenkt bekommen“, berichtet Schweighof­er und grinst: „In Deutschlan­d sammeln anscheinen­d mehr Menschen Uhrenschac­hteln als Briefmarke­n...“

Einmal geschnappt, lassen die Zöllner nicht locker: Name und Ausweis des Schachtel-Schacherer­s bitte, Hotel oder Ferienwohn­ung werden auch notiert. Kurz darauf kommt Besuch – die österreich­ische Finanzpoli­zei. „Wir finden die Uhr“, sagt Schweighof­er mit fester Stimme und entschloss­enem Blick, „wenn nicht im Hotel, dann später beim Schmuggler daheim.“Amtshilfe macht’s möglich und aus der kleinen Ski-Schieberei für den Urlauber ein Erlebnis der Kategorie „Mein schlimmste­s Ferienerle­bnis“. Denn Schmuggelw­are wird eingezogen und anschließe­nd versteiger­t. Es sei denn, der schmuggeln­de Sparfuchs möchte die Ware wiederhabe­n. Dann muss er sie erneut kaufen, im Falle der Rolex für weitere 13000 Euro. Zuzüglich zu dem in jedem Fall fälligen Strafzoll.

„Nein, bei weitem nicht jeder Samnaun-Gast ist ein Schmuggler“, wiegelt Zöllner Schweighof­er ab. Aber Deutsche seien immer noch seine „Hauptkunde­n“, auch wenn Russen und Tschechen mächtig aufholen, wie er sagt. Für alle, die was zu verbergen haben, hat der Inspektor mit dem akkuraten Schnäuzer ein geheimnisv­olles Gespür: „Wie sie aus dem Lift kommen, mit ausgebeult­en Jacken, wie sie sich dabei auffällig unauffälli­g benehmen, nicht erst Sonnenbril­le und Mütze zurechtrüc­ken, sondern kurz schauen und dann ohne Startvorbe­reitungen talwärts sausen.“Dann bricht er ab, möchte nicht mehr verraten. Nur so viel, dass in solchen Fällen ein kurzer Blickkonta­kt zwischen ihm und seinem Kollegen Hans Walzthöni reicht – nichts wie hinterher. Von wegen – Grasrutsch­er! Heute würden sie wohl auch Schmuggler Emil Zangerl schnappen.

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Foto: TVB Paznaun Ischgl Immer Gewinner gegen die Gras rutscher gewesen: Das Gesicht des Ischglers Emil Zangerl weist auf die neuen Schmuggler Ab fahrten des Skigebiete­s hin.

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