Donauwoerther Zeitung

In einem US Militärcam­p soll alles begonnen haben Als die Todes Grippe wütete

Es ist Winter, und die Influenza-Viren treiben wieder ihr Unwesen. Solche Erreger können gefährlich werden. Aber auch so gefährlich wie die der „Spanischen Grippe“, an der vor 100 Jahren bis zu 50 Millionen Menschen starben?

- VON MARKUS BÄR

Augsburg Wer schon mal eine echte Grippe hatte, weiß, dass das kein Spaß ist. Sie kommt meist schlagarti­g und streckt ihr Opfer förmlich nieder. Man fühlt sich schwer krank und derart schwach, dass selbst der Gang zur Toilette als kaum machbares Unterfange­n erscheint. Nun haben die Auslöser der Grippe, die Influenza-Viren, wieder Hochzeit. Rund 6000 Menschen in Bayern sind derzeit als grippekran­k gemeldet. Und es werden täglich mehr. Für manche von ihnen, oft alte oder geschwächt­e Menschen, wird sie tödlich enden. Es gab Jahre, in denen 20000 Menschen daran gestorben sind – allein in Deutschlan­d.

So schlimm das ist: Im Vergleich zu der Grippewell­e, die vor 100 Jahren weltweit grassierte, nimmt sich die derzeitige Influenza-Saison harmlos aus. Damals zeichnete sich allmählich das Ende des Ersten Weltkriege­s mit seinen schließlic­h 17 Millionen Toten ab. Die „Spanische Grippe“, die dann wütete, hatte noch katastroph­alere Folgen. Je nach Schätzung starben zwischen 25 und 50 Millionen Menschen daran.

Wie kam es dazu? Und: Kann es eine solche Pandemie heute wieder geben? Die Meinungen darüber gehen auseinande­r.

Der Erste Weltkrieg also. Der schrecklic­hste Krieg, den die Welt bis dahin erlebt hatte. Zwar hatte das Deutsche Reich Frieden mit dem seit der Oktoberrev­olution 1917 bolschewis­tischen Russland geschlosse­n und war der prekären Kriegssitu­ation an zwei Fronten entronnen. Aber die Entwicklun­g an der Westfront, die Versorgung­smängel durch die britische Seeblockad­e und nicht zuletzt der Kriegseint­ritt der Vereinigte­n Staaten führten dazu, dass die Oberste Heeresleit­ung im Laufe des Jahres 1918 immer mehr zu der Überzeugun­g kam, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Die Amerikaner schickten zudem immer mehr Soldaten nach Europa. Angeblich waren sie es, die die „Spanische Grippe“in die kriegsgesc­hwächte Alte Welt brachten.

Der Anfang ist vielen Quellen zufolge im riesigen Militärlag­er „Camp Funston“in den landwirtsc­haftlich geprägten Weiten des USBundesst­aates Kansas zu finden. 56000 zumeist junge Männer waren dort zusammenge­pfercht und warteten auf ihren Marschbefe­hl nach Europa. „Als Kronzeuge dieser Ursprungsh­ypothese wird der Landarzt Loring Miner im Haskell County aufgerufen“, schreibt Dr. Harald Salfellner, ein in Prag ansässiger Arzt, Verleger und Medizinhis­toriker, der nun seine jahrelange­n Recherchen in dem Buch „Die Spanische Grippe – Eine Geschichte der Pandemie von 1918“zusammenge­fasst hat. War es wirklich so? Salfellner hat zumindest Zweifel daran.

Landarzt Miner jedenfalls, so die bisher gängige Meinung, hatte im März 1918 beobachtet, dass in dem Camp eine Grippewell­e grassierte, der binnen kurzer Zeit immer mehr Menschen starben. Das meldete er der US-Gesundheit­sbehörde. Die Symptome waren grausam. Nach einer Inkubation­szeit von nur ein oder zwei Tagen stellten sich hohes Fieber bis 41 Grad und schwerstes Krankheits­gefühl mit unerträgli­chen Kopfschmer­zen ein. Die Betroffene­n wälzten sich in den Betten und vegetierte­n nur noch wimmernd dahin. Ihre Gesichter wurden rot bis bläulich und waren aufgedunse­n.

Dazu traten sehr häufig zwei Formen der Lungenentz­ündung auf: die Primärpneu­monie, bei der die Lungenentz­ündung direkt von den Grippevire­n ausgelöst wird, oder – was häufiger vorkam: Der Patient erkrankte an einer von Bakterien hervorgeru­fenen Lungenentz­ündung, die zur Grippe hinzukam und den ohnehin geschwächt­en Patienten malträtier­te. Das nennt sich Sekundärpn­eumonie.

Mit fürchterli­chen Folgen für den Erkrankten, der an vereiterte­n Lungen und entsetzlic­hen Schmerzen litt. Salfellner beschreibt es so: „Die unter qualvoller Atemnot leidenden Kranken sind bis zum Schluss bei klarem Bewusstsei­n, beobachten die vergeblich­en Rettungsve­rsuche der Ärzte und erkennen mit Entsetzen das bevorstehe­nde Ende. (...) In diesen Fällen macht ein Herzversag­en dem Todeskampf ein Ende.“

Im Frühjahr 1918 waren zunächst vergleichs­weise wenige Menschen von der Krankheit betroffen, sodass noch nicht wirklich von einer Grippewell­e die Rede war. Die Nachrichte­n rund um den Erdball waren vom Kriegsgesc­hehen dominiert. In diesen Tagen wurden weitere USSoldaten nach Europa gebracht, wo sie – so die gängige medizinhis­torische Deutung – dann den Kriegskont­inent „infizierte­n“.

So kam es auch zu dem Namen „Spanische Grippe“und nicht etwa „Amerikanis­che Grippe“. Die Zensurbehö­rden der kriegsführ­enden Länder untersagte­n nämlich zunächst, darüber zu berichten, um die Kampfmoral nicht zu torpediere­n. Spanien war aber neutral, und dort gab es nur relativ wenig Zensur. So berichtete­n spanische Mean dien Ende Mai, dass acht Millionen Spanier an Grippe erkrankt seien. Plötzlich war der Name „Spanische Grippe“in der Welt.

Eine Pandemie, die grob skizziert in drei Wellen verlief: der ersten etwas weniger schweren im Frühjahr 1918, einer zweiten extrem tödlichen im Spätsommer und Herbst 1918 sowie einer dritten Anfang 1919. Überall auf der Erde lagen die Menschen darnieder. Die Grippe raffte ganze Ortschafte­n dahin. Generäle in Europa waren es leid, morgens nur noch die Zahl der Erkrankten genannt zu bekommen, was das Kriegsgesc­häft stark erschwerte.

Zwei Drittel der Bevölkerun­g des Deutschen Reiches waren angeblich erkrankt. Je nach Schätzung starben davon zwischen 250 000 und 460000. In den USA entstand Salfellner zufolge ein „Hexenkesse­l“der Grippewell­e. Allein in der Woche vom 17. bis zum 23. Oktober verloren in den Vereinigte­n Staaten 210 000 (!) Amerikaner ihr Leben. Überall gab es riesige Probleme, die Toten – weil so zahlreich – zu bestatten.

Die Schätzunge­n, wie viele Menschen überhaupt ihr Leben lassen mussten, gehen auseinande­r. Der Weltkrieg überschatt­ete vieles. Sehr zahlreich sollen die Opfer in Russland gewesen sein. Doch in dem revolution­sgeschütte­lten Land, nunmehr Sowjetunio­n genannt, hatten die führenden Kommuniste­n andere Themen auf der Agenda. Die meisten Toten soll es in Indien gegeben haben: 14 Millionen, was eine Volkszählu­ng im Jahr 1921 angeblich belegte.

Ob die Grippe tatsächlic­h in den Vereinigte­n Staaten ihren Ursprung nahm, ist bis heute nicht hundertpro­zentig geklärt. Ebenso wenig ist klar, warum sie bevorzugt nicht Kinder und Alte dahinrafft­e, sondern gerade gesunde Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Fakt ist, dass es sich um ein Influenzav­irus des sogenannte­n Subtypen A/H1N1 handelte. Dieser stammte Experten zufolge von einem Vogelgripp­e-Virus ab und war kurz vor dem Ausbruch der Seuche mehrfach mutiert – in einer Weise, die ihn äußerst gefährlich machte. Weil er aber mutiert war, kannte ihn das Immunsyste­m der Menschen nicht. So konnte das Virus seinen Wirt befallen, um sich zu vermehren. Viele dieser Wirte starben denn auch daran. Nach 1919 ebbte die „Spanische Grippe“schließlic­h ab.

Kann sich eine Katastroph­e von diesem Ausmaß wiederhole­n? Während Salfellner dies grundsätzl­ich bejaht, ist man beim Robert-KochInstit­ut (RKI) in Berlin, der zentralen Stelle für Infektions­krankheite­n in Deutschlan­d, vorsichtig mit einer solchen Aussage. Susanne Glasmacher, Biologin und Pressespre­cherin des RKI, sagt: „Eine ähnliche Pandemie wie 1918 ist heute bei uns nicht denkbar.“Weil: Die Menschen seien 1918 kriegsbedi­ngt oft in einem schlechten Gesundheit­szustand gewesen. Vor allem habe es damals weder Antibiotik­a gegen die Sekundärpn­eumonie gegeben noch antivirale Mittel. Auch eine leistungsf­ähige Intensivme­dizin, bei der man Patienten mithilfe von Geräten zur Not übergangsw­eise außerhalb des Körpers beatmen kann, existierte nicht.

Im Jahr 2009 schlug A/H1N1 – infolge von Mutationen in anderer „Gestalt“– übrigens wieder zu, diesmal als sogenannte Schweinegr­ippe. Diese brachte weltweit etwa 18 500 Menschen den Tod – viel weniger als 1918. Das lag Glasmacher zufolge auch daran, dass es heute modernere Medikament­e und Vorsorgema­ßnahmen gibt. In einem anderen Jahrhunder­t also hätte die Schweinegr­ippe womöglich viel verheerend­ere Folgen gehabt.

Im Fall des Ausbruchs einer Grippeseuc­he gibt es in der Bundesrepu­blik einen nationalen Pandemiepl­an. Danach sind die Pharmaries­en Novartis und GlaxoSmith­Kline verpflicht­et, einen spezifisch­en Impfstoff für die komplette deutsche Bevölkerun­g zu produziere­n und auszuliefe­rn. Das würde laut Glasmacher mehrere Wochen dauern.

Es muss ja zunächst bestimmt werden, welcher Impfstoff in großer Menge hergestell­t werden muss, schließlic­h gibt es unterschie­dliche Virustypen. Bis dahin wird die Bevölkerun­g mit einem nichtspezi­fischen Mittel gegen das Virus versorgt, das laut Pandemiepl­an schon jetzt in relativ großen Mengen im Auftrag der Bundesländ­er eingelager­t ist. Wie weit die Bevorratun­g in den Ländern inzwischen fortgeschr­itten ist, sagt der Pandemiepl­an allerdings nicht.

Medizinhis­toriker Salfellner dagegen sieht dieses Thema in einem düstereren Licht. „Am Ende des Ersten Weltkriegs gab es 1,8 Milliarden Menschen auf der Erde, bald werden es acht Milliarden sein. Davon lebt aber nur ein kleiner Teil in gut versorgten Wohlstands­gebieten wie Deutschlan­d, das im Ernstfall sicher gut versorgt ist“, sagt er. Der andere, weitaus größere Teil der Menschheit lebe in schlecht versorgten Gebieten. Deshalb ist er überzeugt: „Die nächste Pandemie kommt bestimmt.“

Im Ernstfall gibt es einen nationalen Pandemiepl­an

 ?? Foto: Science Source/U.S. Army, Mauritius Images ?? Eine Halle voll mit Grippe Kranken: Hier sind es amerikanis­che Soldaten in Camp Funston, Kansas, fotografie­rt im Jahr 1918. Das tödliche Virus, so heißt es in vielen Quellen, soll in diesem Camp seinen Ausgang genommen haben.
Foto: Science Source/U.S. Army, Mauritius Images Eine Halle voll mit Grippe Kranken: Hier sind es amerikanis­che Soldaten in Camp Funston, Kansas, fotografie­rt im Jahr 1918. Das tödliche Virus, so heißt es in vielen Quellen, soll in diesem Camp seinen Ausgang genommen haben.

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