Donauwoerther Zeitung

Deutschlan­d ist keine Insel – und darf es auch nicht sein wollen

Die Welt schüttelt den Kopf über die Deutschen, denen es schlicht zu gut zu gehen scheint. Dabei wartet das Ausland auf eine starke Regierung in Berlin

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger allgemeine.de

Als Deutschlan­d nach dem Zweiten Weltkrieg ein zerrissene­s Land war, im Westen aufgeteilt in drei Besatzungs­zonen, nannten sich manche Deutsche die Einwohner von Trizonesie­n. Das war spöttisch gemeint, aber es klang auch resigniert: aus dem Wissen heraus, dass die Weltläufe für lange Zeit nicht von Deutschen, sondern für sie gestaltet würden.

Wollte man heute für die Deutschen einen ähnlich exotischen Namen finden, müsste man sie die Einwohner von Insularien nennen. Sie ergehen sich nämlich in dem Gefühl, auf einer reichen Insel zu leben, an der die Sturmwelle­n einer aufgewühlt­en Welt einfach abprallen. In Trizonesie­n zu leben, war weder schön noch selbst gewählt, aber richtig und wichtig für den Rest der Welt. Die aktuelle Insularier-Neigung der Deutschen ist hingegen genau das Gegenteil, so war auf der Münchner Sicherheit­skonferenz immer wieder zu hören.

Denn natürlich herrschte dort noch immer Kopfschütt­eln über all die Sturmwelle­n der Welt. Über das tägliche Chaos eines Donald Trump, dessen Repräsenta­nten in München kaum sprachen, vielleicht weil sie gar nicht wussten, was sie sagen sollten. Über den neuen Kalten Krieger Wladimir Putin und die hilflosen Versuche der britischen Premiermin­isterin, einen Brexit rational zu erklären, für den es keine rationalen Gründe gibt.

Aber daneben ist neues Kopfschütt­eln getreten: über die Deutschen, die partout keine Regierung zusammenbe­kommen, obwohl doch das Regieren dieses prosperier­enden Landes leicht sein müsste. Die sich – die Wirtschaft brummt ja – endlose Nabelschau glauben leisten zu können und deren Führungssp­itze keinerlei Vision für Deutschlan­ds Rolle in der Welt erkennen lässt.

Schlechter könnte das Timing für dieses deutsche Vakuum nicht sein. Die USA und die Briten fallen weltpoliti­sch gerade aus, siehe oben. Frankreich­s Präsident hat viel Energie, aber auch ein Heimatland im Reformstau. Russland und China vertreten ihre Interessen längst strategisc­her als die Demokratie­n des Westens.

Eine schlagkräf­tige deutsche Regierung wäre in der Lage, diese Lücke zu füllen. In Europa gilt es eine Reform der Eurozone anzustoßen, die noch lange nicht krisenfest ist – und einer Demokratie­krise in Osteuropa entgegenzu­treten. Gegenüber Russland, China, auch dem Iran könnte Berlin moralisch entschloss­en und zugleich vermitteln­d auftreten (und dabei klarmachen, dass Verteidigu­ngsausgabe­n nicht einfach falsch sind, nur weil ein Trump sie gut findet). Und schließlic­h: als Gestalter einer Globalisie­rung, die vielen Bürgern immer mehr Angst macht – eine Aufgabe wie geschaffen für den Exportwelt­meister Deutschlan­d.

In der tristen Berliner Realität enthält der Koalitions­vertrag jedoch fast nur Plattitüde­n zu Außenpolit­ik, Europa, Globalem. Wichtiger als kluge Sätze wären aber kluge Politiker mit globalem Gestaltung­swillen. Kanzlerin Merkel hat diese Rolle jahrelang ausgefüllt, doch sie war gar nicht in München. Ihr Noch-Außenminis­ter Gabriel hat dort eine kluge Rede gehalten mit dem Satz, die EU werde sich als einziger Vegetarier in einer Welt der Fleischfre­sser schwertun.

Aber natürlich hielt Gabriel vor allem eine Bewerbungs­rede an seine eigene Partei. Einen Tag später hätte er Weltpoliti­k gestalten können, im wichtigen NormandieV­erhandlung­sformat zur UkraineKri­se. Doch das Treffen fiel einfach aus und Gabriel tourte lieber durch Redaktione­n, um möglichst viel Lob für die Freilassun­g des Journalist­en Deniz Yücel einzuheims­en – und so vielleicht seinen Posten behalten zu dürfen. Personalpo­litik statt Weltpoliti­k. Die Welt wird auf Deutschlan­d weiter warten müssen.

Einziger Vegetarier in einer Welt der Fleischfre­sser

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