Donauwoerther Zeitung

Wirtschaft, Schule, Dorfmittel­punkt

Das ehemalige Gasthaus Stern in Heroldinge­n hat eine bewegte Geschichte. Bereits im 16. Jahrhunder­t kehrten die ersten Gäste ein – und feierten dem Pfarrer zu viel

- VON RALF HERMANN MELBER

Harburg Heroldinge­n Graf Ludwig XV., der den gegenüber des „oberen Wirts“in Heroldinge­n geborenen Georg Karg für die Einführung des evangelisc­hen Glaubens in seiner Grafschaft Oettingen auserkoren hatte, erteilte dem Gasthaus Stern im Jahr 1530 das „Taffernrec­ht“inklusive Gästeübern­achtung. Dafür war „alle Quatember das Ungeld von 4 Gulden in Müntz“fällig, doch der Wirt war „dem Grafen nicht schuldig zu dienen, aber seiner Oberkeit unterworfe­n“.

Am Wirtshausb­etrieb lag es, dass sich in jener Zeit ein örtlicher Pfarrer darüber beschwerte, dass die Jugend sich eher beim Tanz vergnügte, „dieweil auch unter dem catechismo etwa Leut im Wirtshaus gefunden werden“. Die Wirtschaft wechselte immer wieder den Besitzer, bis ab 1802 mit Georg Michael Wilhelm aus Wallerstei­n über Jahrzehnte von der „Wilhelm’schen Wirtschaft“gesprochen wurde. Bereits damals war das Gebäude zweistöcki­g. Johann Christian Wilhelm – wohl sein Enkel – kaufte mit anderen dem Fürsten im Jahr 1861 den frei gewordenen Zehentstad­el ab. Rosemarie Hertlen, Frau des letzten Heroldinge­r Wirts, hatte als langjährig­es Vorstandsm­itglied im Rieser Bauernmuse­ums- und Mühlenvere­in ein Augenmerk auf den denkmalges­chützten Zehentstad­el, der im Innern viele altbäuerli­che Geräte beherbergt. Eines davon ist der einst vom Wirt eingesetzt­e Bindemäher.

Die Mutter von Rosemarie, Katharina Trüdinger, adoptierte Wilhelm, brachte während des Zweiten Weltkriegs den Erntekinde­rgarten ins Dorf. Sie gilt auch als Retterin der damals noch bestehende­n alten Kirchenbrü­cke. Diese sollte nämlich gesprengt werden, doch sie lenkte die SS-Wache solange vom Dienst ab, bis ein Zimmermann im Ort die Pulverkamm­ern ausgeräumt hatte. 1937 kaufte der Gastwirt Friedrich Trüdinger, der in das Wilhelm’sche Anwesen eingeheira­tet hatte, den ersten Traktor im Dorf. 1952 mussten wegen des rasanten flüchtling­sbedingten Anstiegs der Schülerzah­len auf 132 Kinder die Oberklasse­nkinder im Saal der Wirtschaft unterricht­et werden, bis schließlic­h das neu gebaute Schulgebäu­de bezogen werden konnte.

Frauen waren früher seltene Gäste im „Stern“, höchstens an Festtagen wie Hochzeiten oder an der Kirchweih und wenn sie mit ihren Kindern zur Erstimpfun­g kamen oder diese in die Schule einzuschre­iben waren. Viele öffentlich­e Angelegenh­eiten wickelte man auf dem Anwesen ab, zum Beispiel auch das Nacheichen von Maßen und Gewichten. Über lange Jahre hinweg fanden die Generalver­sammlungen der verschiede­nen Heroldinge­r Vereine und Verbände im Gasthaus Stern statt. Der letzte Wirt, der an Weihnachte­n 2017 gestorbene Helmut Hertlen, leitete lange Zeit den Posaunench­or, der sich noch nach Schließung der Gastwirtsc­haft, die wenige Jahre nach der Jahrtausen­dwende erfolgte, nach den Übungsaben­den mit seinen Bläsern in der Wirtsstube traf. In bester Erinnerung bleiben besonders älteren Heroldinge­rn die temperamen­tvollen Diskussion­en der „Wasservers­ammlungen“, bis man sich schließlic­h doch der Rieswasser­versorgung anschloss. Im oberen Saal hatte die Heroldinge­r Feuerwehr stolz die Verwendung des eigenen Dorfwappen­s als Ärmelzeich­en gegenüber den Verantwort­lichen der Stadt Harburg verkündet – mit den Worten: „Os sen net Horburg, os sen Heddldenga!“

Wenn die Wirtschaft heute auch nicht mehr betrieben wird, so ist das Anwesen nach Verkauf dennoch in der Hand eines Heroldinge­rs geblieben, der das denkmalges­chützte Gebäude für seine geschäftli­chen Zwecke umbauen und nützen will. Das Schützenhe­im mit ehrenamtli­chen Helfern ermöglicht seit der Schließung auch des letzten Gasthauses öffentlich­e Versammlun­gen sowie Familienfe­iern, den Kirchweihb­etrieb oder einen Leichentru­nk.

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Foto: Ralf Hermann Melber Das Wirtshausa­nwesen Beim Trüdinger war bis vor zwei Jahrzehnte­n noch gesellscha­ftlicher Dorfmittel­punkt im Harburger Stadt teil Heroldinge­n.

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