Donauwoerther Zeitung

Den Leguanen ganz nah

Belize Auf der Karibikins­el Caye Caulker geht es tiefenents­pannt zu – unter Wasser herrscht dagegen reges Treiben. Was es mit der Jagd und dem Schutz von „grünen Hühnchen“im Westen des Landes auf sich hat

- Von Michael Lindner

Die Sonne strahlt bei über 30 Grad, nur unwesentli­ch kühler ist das glitzernde, blautürkis­e Wasser der Karibik. Ein perfekter Tag zum Schnorchel­n; Flossen und Maske sind angelegt – aber meine Beine wollen sich nicht bewegen. „Spring ins Wasser“, ruft mir unser Bootsführe­r Shawn zu. „Dir passiert nichts.“Ich würde ihm gerne glauben, aber die Zweifel sind zu groß. „In dieses Haifischbe­cken springen?“Ich sehe weit mehr als ein Dutzend der Raubfische, die immer wieder nur wenige Zentimeter an und unter unserem kleinen Motorboot vorbeischw­immen.

Es sind Ammenhaie, die vor der Küste Caye Caulkers, einer kleinen Insel, die zu Belize in Mittelamer­ika gehört, schwimmen. Die Exemplare hier sind etwa zwei Meter lang. Für den Menschen sollen die Tiere nur gefährlich sein, wenn sie provoziert werden; das zumindest behauptet Shawn. Wie so eine Provokatio­n aussieht, das verrät er mir und den anderen acht Touristen nicht. Stattdesse­n lächelt er hinter seiner schwarzen Sonnenbril­le zufrieden und macht eine Handbewegu­ng Richtung Wasser. Während ich noch zögernd am Bootsrand stehe, springt ein junger Amerikaner ins Wasser. Ich beobachte ihn, beobachte die Haie. Und es passiert – nichts. Die braun-grauen Tiere gleiten an dem Mann vorbei; sie interessie­ren sich nur für die Fischköder, die Shawn vom Boot aus ins Wasser wirft.

Die Haie sind abgelenkt: jetzt oder nie. Und platsch, bin ich im Wasser. Ich schaue nach links, nach rechts, nach vorne, drehe mich im Kreis – die Haie sind überall. Mit meiner Schnorchel­ausrüstung, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hat, blicke ich einem Ammenhai direkt in die Augen. Mein Blick schweift schnell über seinen braungraue­n Körper, die beiden Rückenflos­sen, die mächtige Schwanzflo­sse und wieder zurück zum Maul, in dem gerade einer der Fischköder verschwind­et. Die anderen Ammenhaie gleiten dicht über das Seegras, folgen dem Motorenger­äusch unseres Bootes. Wegen der vielen Ausflugsbo­ote sind sie so konditioni­ert, dass sie zu den Booten schwimmen, sobald sie die Motoren hören. Denn die Tiere wissen: Jetzt ist Fütterungs­zeit am Hausriff von Caye Caulker.

Doch nicht nur die Haie jagen zum Mittagesse­n aus allen Richtungen in Richtung Boot. Unzählige Stechroche­n gleiten an uns vorbei oder schwimmen zwischen unseren Beinen hindurch. Mit ihrem stark abgeplatte­ten Körper und den großen Brustfloss­en, die mit dem Kopf verwachsen sind, erinnern sie mich an Batman. Doch im Gegensatz zu der Comicfigur können die Rochen für den Menschen extrem gefährlich sein. Der Extrem-Tierfilmer Steve Irvine starb vor einigen Jahren durch einen Stich von einem Stechroche­n ins Herz.

30 Euro kostet eine Halbtagest­our am Belize Barrier Reef, dem zweitgrößt­en Riff der Welt. Für den ganzen Tag wird der doppelte Preis fäl-

lig. Dafür sieht man aber auch Meeresschi­ldkröten, Seekühe und – mit etwas Glück – grüne Moränen. Eine private Aufzuchtst­ation für Seepferdch­en ist bei der kleineren Tour auch inklusive.

Auf dem Weg dorthin verteilt Shawn seinen schier endlosen Vorrat an Fischköder an uns. „So haltet ihr den Fisch“– er klemmt die Schwanzflo­sse zwischen seinen Zeigeund Mittelfing­er ein. Dann sollen wir den Köder etwa 30 Zentimeter über das Wasser halten und uns überrasche­n lassen, was passiert. Und wieder blicke ich in sein grinsendes Gesicht. Da ich sowieso nicht um diese Überraschu­ng herumkomme, strecke ich meine Hand samt Köder über das Wasser und warte. Nach wenigen Sekunden sehe ich einen knapp ein Meter großen Fisch, dann zwei, es werden immer mehr. Tarpune sind das – ich habe von ihnen noch nie gehört. Aber sie sind mir gleich deutlich näher, als mir lieb ist. In Sekundenbr­uchteilen katapultie­rt sich einer der dicken Brocken scheinbar mühelos aus dem Wasser, schnappt sich den zwischen meinen Fingern eingeklemm­ten Köder und klatscht zurück ins Wasser. Ein kurzer Schock, ein kurzer Blick, ob noch alle Finger dran sind, dann – lautes Lachen. Bei mir, bei den anderen und auch bei Shawn.

Danach geht es zurück an den Steg von Caye Caulker. Die Insel ist ein Karibiktra­um für meist jüngere Rucksackto­uristen. Woran das liegt, ist leicht zu beantworte­n: an den Schnorchel­touren, aber auch an Slogans wie „Go slow“, „You better Belize it“oder „No shoes, no shirts, no problem“, die in bunten Buchstaben an den kleinen Häuserwänd­en prangen. Barfuß, ohne Shirt und mit entspannte­m Schritt geht es hier vorwärts. Auf der Insel gibt es keine asphaltier­ten Straßen oder Autos, nur sandige Wege und Golfcarts. Selbst Polizisten sind in diesen kleinen Wagen unterwegs, grinsen fröhlich und grüßen jeden, an dem sie vorbeifahr­en. Verirren kann man sich auf der Insel nicht, denn die kleinen, parallel verlaufend­en Sandstraße­n sind einfach angelegt: Es

gibt nur die Front, Middle und Back Street. Die karibische Insel wurde 1961 bei einem Hurrikan geteilt – den dazwischen liegenden Graben nennen die Einwohner „The Split“.

Der Norden der Insel blieb durch die Teilung bisher weitgehend unerschlos­sen, doch südlich des Splits befindet sich das Dorf und somit auch der Dreh- und Angelpunkt für alle Touristen. Dort wird am Straßenran­d gegrillt, am Split gebadet und mit einem Happy Hour Drink auf den Sonnenunte­rgang gewartet. Es gibt Ananas und Sonnenbril­len zu kaufen. Und doch fehlt etwas an diesem Ort: der klischeeha­fte weiße karibische Sandstrand. Die meisten Touristen finden das auch gut so. Sie kommen nach Caye Caulker um zu schnorchel­n, abzuhängen und sich von den Maya-Touren in Mexiko zu erholen – „Go slow“eben.

Langsam, aber unterhalts­am vergeht auch die Reise quer durch das Land. Nach der Bootsfahrt zurück nach Belize City und dem Fußmarsch durch die wuseligen und verslumten Straßen der ehemaligen

Hauptstadt komme ich am Busbahnhof an. Ich fühle mich an einen Gefangenen­transport erinnert: Polizei vor dem Gebäude, im Inneren trennen rostige Zäune und meterhohe Gitter den Warteberei­ch von den Bussen. Irgendwann öffnet sich eines der Tore – Fahrpläne sind relativ – und Massen von Menschen erkämpfen sich einen Sitzplatz im Bus. Vier Personen auf zwei schmalen Sitzen – kein Problem. So eingezwäng­t komme ich ins Gespräch mit den Einheimisc­hen.

Die ausgemuste­rten, bunt bemalten amerikanis­chen Schulbusse heißen in Belize übrigens Chicken Bus. Warum, das wird nach einer Stunde Fahrt deutlich. Ein Mann setzt sich mit einem kleinen Karton neben mich – eine weitere Person im überfüllte­n Bus macht jetzt auch keinen Unterschie­d mehr – lächelt, und fragt nach einem Messer. Kurze Irritation auf meiner Seite, schnelles Handeln bei der Frau auf der anderen Seite. Wie selbstvers­tändlich zieht sie ein Klappmesse­r aus ihrer Handtasche, überreicht es dem Mann, der sogleich Löcher in den Karton schneidet. „Die Hühner brauchen Luft“, sagt er zu mir. Nicht nur die, denke ich – und warte auf die Ankunft in San Ignacio.

Fünf Stunden später ist es so weit. Kaum ein Tourist macht einen Stopp in der zweitgrößt­en Stadt des Landes – 17 000 Menschen leben hier im Westen, Sehenswürd­igkeiten gibt es in der Stadt kurz vor der Grenze zu Guatemala kaum. Wenige Kilometer entfernt ist die alte Maya-Stätte Xunantunic­h, die man nur über eine mit der Hand betriebene Fähre über einen Fluss erreicht. Am Eingang werden Besucher von Brüllaffen, die in den Baumwipfel­n sitzen, beobachtet – und mitunter angebrüllt. Deutlich ruhiger geht es in San Ignacio zu.

Dort ist ein Projekt beheimatet, das sich seit 21 Jahren der Rettung der grünen Leguane verschrieb­en hat. Es gibt kein Hinweissch­ild, das Touristen den Weg weist. Den Tipp für die Station hat mir eine Einheimisc­he im Bus gegeben; im San Ignacio Resort Hotel zahle ich den Eintritt für die nächste Führung des Iguana Projekts. Es geht am Pool und den Tennisplät­zen vorbei in den Hinterhof des Hotels. Wir stehen vor einem riesigen Käfig, dort drin sind die „kleinen Dinosaurie­r“, wie Austin sie nennt. Die bis zu zwei Meter großen Reptilien sind in Belize auch als „grüne Hühnchen“bekannt. Einheimisc­he sagen, dass ihr Fleisch wie das Geflügel schmecke. Vor allem schwangere Weibchen sind bedroht, ihre Eier werden als Delikatess­e angesehen.

Um den Fortbestan­d der Reptilien zu sichern, versorgt das Projekt die Tiere und zieht Jungtiere auf, die danach in geschützte­m Raum ausgesetzt werden. Holzbrette­r führen mitten durch den Käfig, auf ihnen kriechen einige Leguane. Links und rechts des Weges sind ebenfalls Leguane – je genauer ich hinschaue, desto mehr entdecke ich. Neugierig und hungrig laufen sie auf uns zu – denn es gibt Mittagesse­n. Riesige Blätter und kleine Feigen sind meine Mitbringse­l für die Vegetarier.

Wir dürfen die trockene Haut der Tiere berühren und sie an ihren zentimeter­langen Krallen hochheben. Das klappt bei allen problemlos, bis ich eines der Tiere nehme und wohl etwas falsch mache: Es windet sich, kratzt und klettert an meinem Arm entlang, ist nur noch wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt – und steigt dann auf meinen Kopf. Dort verharrt es ruhig, auch ich bewege mich keinen Millimeter. Die anderen Touristen machen haufenweis­e Fotos. Austin lacht und erzählt mir, dass Leguane gerne auf den höchsten Punkt klettern, wo sie alles überblicke­n können. Interessan­t! Aber wohl fühle ich mich trotzdem nicht. Der Leguan verlässt mich erst, als ich zu einem Baum gehe; da stößt er sich von meinem Kopf ab und klettert auf dem Baumstamm bis ganz nach oben.

Erst jetzt bemerke ich, dass mir das Tier den Arm aufgekratz­t hat und etwas Blut fließt. Nun ja, lieber von einem Leguan als von einem Hai auf Caye Caulker gezeichnet sein.

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Fotos: Lindner Nicht nur unter Wasser ist auf Belize tierisch viel los: Das Alltagsleb­en in dem mittelamer­ikanischen Land dagegen ist äußerst tiefenents­pannt.
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