Donauwoerther Zeitung

Einer Millionen Stadt geht das Wasser aus

Südafrikas Metropole Kapstadt leidet seit drei Jahren unter einer verheerend­en Dürre. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, werden im Juni die Wasserhähn­e abgedreht – ein weltweit einmaliges Szenario. Warum nicht nur der Klimawande­l daran schuld ist

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt Es ist morgens um elf, und Eric Mbalane hat bereits eine halbe Tonne Wasser geschleppt. Das T-Shirt klebt am hageren Körper, das Gesicht wirkt müde. Zwölf Stunden arbeitet er am Tag. Der 31-Jährige aber wischt sich in der prallen Sonne den Schweiß von der Stirn und sagt nur: „Ich freue mich, dass ich helfen kann.“

Tausende Kapstädter stellen sich an einer natürliche­n Quelle im Stadtteil Newlands jeden Tag für Wasser an, in der Mittagshit­ze sind es an die 80. Der Gelegenhei­tsarbeiter Mbalane hilft den Gebrechlic­hen unter ihnen, das Wasser zum Auto zu tragen. Einige haben Körbe mit leeren Flaschen dabei, andere große Kanister. Eine Viertelstu­nde dauert es, bis sie, von Sicherheit­sleuten beobachtet, maximal 25 Liter abgezapft haben. Wer mehr will, muss sich wieder hinten anstellen. Was bleibt ihnen anderes übrig?

Mbalane sieht sich als „einen Kämpfer gegen Day Zero“, wie er sagt, auch wenn die umgerechne­t 15 Euro Trinkgeld am Tag nur für das Nötigste reichen. In apokalypti­schem Duktus hat die Stadt nach drei Jahren verheerend­er Dürre „Tag null“als das Datum ausgerufen, an dem die meisten Wasserhähn­e der Stadt abgeklemmt werden. Aktuell ist dafür, basierend auf den derzeitige­n Verbrauch und Regenfälle­n, der 4. Juni berechnet. Dann werden die Dämme nur noch zu 13,5 Prozent gefüllt sein, an 180 Ausgabeste­llen müsste die Mehrheit der knapp vier Millionen Einwohner für 25-Liter-Rationen anstehen – ein weltweit einmaliges Szenario für eine moderne Großstadt. Ein logistisch­er Albtraum noch dazu.

Schon jetzt gelten strenge Restriktio­nen. Maximal dürfen 50 Liter Leitungswa­sser pro Person und Tag verbraucht werden – etwas mehr als ein Drittel des deutschen Durchschni­ttsverbrau­chs. Deshalb kommen jeden Tag schon jetzt Tausende zu der Quelle. Einige Familien haben keine Wahl, sie erzählen, der Wasserdruc­k in ihrer Gegend sei so weit reduziert worden, dass schon jetzt kein Wasser mehr aus den Leitungen kommt. Andere misstrauen – zu Unrecht – der Qualität des Trinkwasse­rs angesichts der niedrigen Wasserstän­de der Dämme.

In der Schlange fachsimpel­n Fremde miteinande­r über Wasserspar­tipps, die Stimmung ist noch entspannt. Wer hier einige Stunden zugesehen hat, dem kommen Aussagen der Premiermin­isterin des Westkaps, Helen Zille, fast schon hysterisch vor. Sie hat Ende Januar im Fall von „Day Zero“vor „Anarchie“gewarnt. Es drohe die „schwierigs­te urbane Herausford­erung seit Ende des Zweiten Weltkriege­s“. Damals war „Day Zero“noch für April vorhergesa­gt worden, das Wasserspar­en der Kapstädter und Einschränk­ungen für den Verbrauch der Landwirtsc­haft haben den Stichtag inzwischen um fast zwei Monate nach hinten verschoben. „Großartige­s Engagement“, lobte sie inzwischen auf Twitter, „bitte macht weiter.“

Zille hatte den Gemeinscha­ftssinn ihrer Bürger, von denen viele nach Kräften Wasser sparen, unterschät­zt. Manchmal hilft allerdings auch die Stadt nach. Uneinsicht­ige private Großverbra­ucher bekommen Strafen von bis zu 400 Euro aufgebrumm­t und werden zum Einbau von Geräten gezwungen, mit denen die Wasserzufu­hr nach Überschrei­ten des Limits abgeklemmt wird. Vielleicht klappt es ja doch, dass sich die Stadt bis zum Beginn der Regenzeit im Juni retten kann.

Wenn nicht, dann bekäme die Dürre in Kapstadt endgültig weltweite Relevanz. Rom war im letzten Sommer zu Wasserrest­riktionen gezwungen, in Mexico City haben viele Bürger nur zu bestimmten Tageszeite­n Leitungswa­sser. Jakarta verbraucht in erschrecke­nder Geschwindi­gkeit sein Grundwasse­r. In Melbourne könnte, wie schon um die Jahrtausen­dwende, das Wasser bald wieder knapp werden.

In Kapstadt glauben viele Bürger noch immer nicht, dass „Day Zero“eine realistisc­he Gefahr ist. Generelles Misstrauen gegenüber jeder Form von Regierung ist in Südafrika weitverbre­itet. Nur mit Mühe gelang es der am Kap regierende­n Demokratis­chen Allianz, den Ernst der Lage zu vermitteln. Noch Mitte Januar hielt sich nicht einmal jeder Zweite an das damals geltende Limit von 87 Litern pro Tag.

In einem Hinterhof der renommiert­en University of Cape Town spricht der Hydrologe Piotr Wolski bei einer Tasse Filterkaff­ee mit sanfter Stimme über harte Wahrheiten. Bis vor wenigen Wochen hat die Stadt die Berechnung­smethode für „Day Zero“unter Verschluss gehalten, was zu Verschwöru­ngstheorie­n beitrug. Doch Wolski kommt mit seinen Berechnung­en fast auf den gleichen Stichtag wie die Stadt. „Nur wenn wir radikal Wasser sparen, haben wir eine Chance, bis zur Regenzeit irgendwie durchzugle­i- ten“, sagt er. Wolski hat lange im notorisch trockenen Botswana gelebt. Er verbraucht maximal 25 Liter am Tag.

Statistisc­h ereignet sich am Kap eine derart lang anhaltende Dürre alle 311 Jahre. Die Gegend ist ähnlich trocken wie der Süden Kalifornie­ns, der regelmäßig mit Dürren zu kämpfen hat. Nicht weit von der Oase Kapstadt schließt sich die Halbwüsten­landschaft der Karoo an. Der für seine grüne Vegetation bekannte Küstenort profitiert von seinem ikonischen Tafelberg, an dem sich die Wolken des Ozeans sammeln und besonders zwischen Juni und September zu heftigen Regenfälle­n entladen. Darauf war bislang Verlass, die Versorgung basiert deshalb fast ausschließ­lich auf sechs vom Regen abhängigen Dämmen.

Wolski hat historisch­e Wetteraufz­eichnungen analysiert und Daten über schwere Dürren in den 1920er und 1970er Jahren gefunden. „Die Temperatur ist in den vergangene­n 100 Jahren gestiegen, die Regenfälle haben, wenn auch weniger signifikan­t, abgenommen“, sagt er.

Mit anderen Worten: Trockene Jahre werden trockener, die nassen Jahre weniger nass. Das verschärft die Intensität von Dürren. Das Risiko längerer Trockenper­ioden hat sich mindestens verdoppelt, je nach Berechnung­sform sei sogar ein 15-fach höheres Risiko möglich, sagt Wolski. Die Entwicklun­g entspreche Erkenntnis­sen in anderen Teilen der Welt, denen zufolge der Klimawande­l zu extremeren Wetterauss­chlägen führt.

Ganz neu ist diese Erkenntnis freilich nicht. Schon 2007 warnte Südafrikas Wassermini­sterium, dass sich die Stadt nicht länger alleine auf ihre von Regenfälle­n abhängigen Dämme verlassen könne, sondern vermehrt in die Förderung von Grundwasse­r und Entsalzung­sanlagen investiere­n müsse. Viele der entspreche­nden Investitio­nen müssen auf nationaler Ebene genehmigt werden – für entspreche­nde Projekte waren jedoch erst ab 2020 im größeren Stil Budgets freigegebe­n. Und in Kapstadt nutzte man vorhandene Mittel lieber für andere Projekte wie den Ausbau der Elektrizit­ät und von Unterkünft­en in den rasant wachsenden Armenviert­eln.

Schließlic­h waren die Dämme im Jahr 2014 nach guten Regenfälle­n noch prall gefüllt. Die Stadt ließ sich dafür feiern, dass sie trotz 30 Prozent mehr Einwohnern – ein Problem vieler Metropolen – seit dem Jahr 2000 die Kapazitäte­n nicht erweitern musste. Die vorhandene­n Mittel wurden effektiver genutzt. Reparierte Leitungen, die Installati­on tausender Wasserzähl­er und erhöhte Tarife sorgten für einen geringeren Pro-Kopf-Verbrauch. Die „C40“, eine Vereinigun­g von Städten, zeichnete Kapstadt mit einem Preis für gelungene Anpassung an den Klimawande­l aus.

Allerdings, sagt Wolski, habe man Anfang 2017 lieber auf Glück als auf Notmaßnahm­en gesetzt. Damals waren sich die Meteorolog­en uneins, wie nass die Regenzeit Mitte des Jahres werden würde. Die Stadt verließ sich auf Experten, die überdurchs­chnittlich viel Regen prognostiz­ierten. Wolski und sein Team nahmen an entspreche­nden Sitzungen mit der Stadt teil, verzichtet­en aber auf eine Vorhersage. Die Erfahrung zeige, dass so weit in die Zukunft keine verlässlic­hen Prognosen möglich seien, ließen sie die Stadtmanag­er wissen. Es folgte eines der trockenste­n Jahre überhaupt.

Die Krise offenbart einmal mehr auch die sozialen Kontraste der Stadt, in der die Einkommens­unterschie­de so ausgeprägt sind wie an kaum einem anderen Ort weltweit. So mancher Großverdie­ner lässt für umgerechne­t 2000 Euro mit Wasser beladene Lkw aus Gegenden Südafrikas ankarren, die nicht von der Dürre betroffen sind – um den Pool aufzufülle­n. Wer es sich leisten kann, lässt mit einem Bohrloch auf seinem Grundstück das Grundwasse­r anzapfen. Oder versucht sich mit Regentanks von der Wasservers­orgung der Stadt langfristi­g so unabhängig wie möglich zu machen.

Derartige Maßnahmen sind teuer und deshalb vor allem in den Townships unerschwin­glich. In den Armenviert­eln leben rund 40 Prozent der Bewohner Kapstadts; die Verwaltung hat angekündig­t, dass sie hier – wie auch in Krankenhäu­sern und Schulen – das Wasser nicht abdrehen wird. Eine sinnvolle Maßnahme, schließlic­h sind die meisten hier schon jetzt auf Gemeinscha­ftswasserh­ähne angewiesen.

An einem Dienstagvo­rmittag geht Christine Mofomme die 80 Meter

Pro Person und Tag sind nur noch 50 Liter frei

Christine Mofomme lebt im Slum und ist sauer

von ihrer Hütte zum nächsten Wasserhahn in Imizamo Yethu, einem eng besiedelte­n Slum mit rund 30000 Einwohnern. Zwei andere Frauen stehen an, im Becken verrotten Essensrest­e. Hier wird gespült, gewaschen und Wasser für die Familie abgeholt. Mofomme ist sauer. Die Altenpfleg­erin hat auf der Internet-Plattform Facebook gesehen, wie sich viele wohlhabend­e Bürger über Autowäsche­r in den Townships aufregen. Sie würden unverdross­en weiter Leitungswa­sser zum Reinigen der Taxis verwenden, was längst illegal ist. In einem mehrere hundertmal geteilten Beitrag heißt es, in den Townships werde kein Wasser gespart – schließlic­h werde es dort kostenlos zur Verfügung gestellt.

„Das ist nicht fair, wir verbrauche­n viel weniger als die Weißen in ihren riesigen Häusern und Gärten“, sagt Mofomme. Sie spottet über das Gejammer der Mittelschi­cht, mit 50 Litern auskommen zu müssen: „Ich habe da wenig Mitleid.“Die 23-Jährige lebt allein. Alle zwei Tage füllt sie ihren 20-Liter-Kanister auf – mehr verbraucht sie nicht. Wer wie sie jeden Liter tragen muss, der verschwend­e nichts, sagt die junge Frau. „Wir haben hier doch jeden Tag ‚Day Zero‘.“

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Foto: Morgana Wingard, Getty Images Schon jetzt ist das Leitungswa­sser in Kapstadt streng rationiert. Deshalb füllen viele Einwohner, so auch dieses Mädchen, ihre Vorräte an öffentlich­en Quellen wie dieser im Stadtteil Newlands auf.
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Foto: Christian Putsch „Ich freue mich, dass ich helfen kann“: Der Gelegenhei­tsarbeiter Eric Mbalane hilft al ten und gebrechlic­hen Menschen beim Tragen des Wassers.
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Foto: Halden Krog, dpa Abgestorbe­ne Bäume am weitgehend trockenen Speicherse­e Theewaters­kloof: Kap stadt durchleide­t eine Dürre, wie es sie nur alle 300 Jahre gibt.

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