Donauwoerther Zeitung

Konsequent abschieben, besser integriere­n

Wie die Parteien die Zuwanderun­g regulieren wollen, auch ohne den Begriff „Obergrenze“(Serie 1)

- VON MARTIN FERBER

Ein 177 Seiten langer Koalitions­vertrag soll die Grundlage für die Neuauflage der GroKo von CDU/CSU und SPD sein. Die SPD-Mitglieder stimmen bis 2. März darüber ab. In einer sechsteili­gen Serie beleuchten wir die wichtigste­n Inhalte des Vertrags. Berlin Die Ansage des CSU-Chefs und bayerische­n Ministerpr­äsidenten war eindeutig und unmissvers­tändlich. Er werde nur dann einen neuen Koalitions­vertrag unterschre­iben, wenn eine klar definierte Obergrenze für Flüchtling­e enthalten sei, kündigte Horst Seehofer bereits Ende 2016 an. Und nachdem sich die große Schwesterp­artei CDU geweigert hatte, auf diese Forderung einzugehen und das Wort „Obergrenze“in ihr Wahlprogra­mm aufzunehme­n, schrieb es die CSU gleich vier Mal in ihren „Bayernplan“. Wörtlich hieß es: „Für Ordnung und Begrenzung der Zuwanderun­g ist eine Obergrenze unabdingba­r.“Und weiter: „Die seit langem geforderte Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en pro Jahr für Deutschlan­d ist notwendig, um eine gelingende Integratio­n zu gewährleis­ten.“

Im Koalitions­vertrag taucht das Wort „Obergrenze“zwar drei Mal auf, allerdings nicht da, wo es aus Sicht der CSU hingehört hätte – auf den Seiten 103 bis 109 im Kapitel VIII mit der Überschrif­t „Zuwanderun­g steuern – Integratio­n fördern und unterstütz­en“. Dort heißt es in den Zeilen 4804 bis 4811 reichlich umständlic­h: „Bezogen auf die durchschni­ttlichen Zuwanderun­gszahlen, die Erfahrunge­n der letzten zwanzig Jahre sowie mit Blick auf die vereinbart­en Maßnahmen und den unmittelba­r steuerbare­n Teil der Zuwanderun­g – das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtling­skonventio­n (GFK) bleiben unangetast­et – stellen wir fest, dass die Zuwanderun­gszahlen (inklusive Kriegsflüc­htlinge, vorübergeh­end Schutzbere­chtigte, Familienna­chzügler, Relocation, Resettleme­nt, abzüglich Rückführun­gen und freiwillig­en Ausreisen künftiger Flüchtling­e und ohne Erwerbsmig­ration) die Spanne von jährlich 180000 bis 220000 nicht übersteige­n werden.“Was allerdings geschehen soll, wenn diese Zahl überschrit­ten wird, bleibt offen. Reichlich vage heißt es dazu: „Wir wollen die Fluchtursa­chen bekämpfen, nicht die Flüchtling­e.“

Um Asylverfah­ren „schnell, umfassend und rechtssich­er“zu bearbeiten, sollen nach dem bayerische­n Vorbild zentrale Aufnahme-, Entscheidu­ngsund Rückführun­gseinricht­ungen geschaffen werden, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, die Bundesagen­tur für Arbeit, Jugendämte­r, Justiz, Ausländerb­ehörden und andere „Hand in Hand arbeiten“. Flüchtling­e sollen in diesen Zentren bis zu 18 Monate bleiben, ehe sie entweder wieder in ihre Heimat abgeschobe­n oder auf die Kommunen verteilt werden. Spätestens drei Jahre nach einem positiven Entscheid wird der gewährte Schutzstat­us erneut überprüft. Ausreisepf­lichtige müssen das Land verlassen, die freiwillig­e Rückkehr hat dabei Vorrang vor der Abschiebun­g.

Die Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko sowie andere Staaten mit einer Anerkennun­gsquote unter fünf Prozent werden zu sicheren Herkunftss­taaten erklärt. Straftäter sollen konsequent abgeschobe­n werden, das gilt auch bei Sozialleis­tungsbetru­g und Drogenvers­tößen.

Im Gegenzug bekennen sich die drei Koalitionä­re ausdrückli­ch zur Integratio­n für alle Migranten „mit dauerhafte­r Bleibepers­pektive“, wozu vor allem deutsche Sprachkenn­tnisse und ein Job gehören. Bei den vielfältig­en Integratio­nsmaßnahme­n wolle man die Koordinier­ung zwischen Bund, Ländern und Kommunen „deutlich verbessern“, zudem verspricht der Bund den Ländern und Kommunen, die Finanzieru­ng der Flüchtling­skosten bis 2021 mit weiteren acht Milliarden Euro sicherzust­ellen.

Um den Fachkräfte­mangel in Deutschlan­d zu beheben, wollen CDU, CSU und SPD ein Einwanderu­ngsgesetz erarbeiten, auch wenn dieses Wort im Koalitions­vertrag vermieden wird. Stattdesse­n ist von einem „Regelwerk zur Steuerung von Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt“und einem damit verbundene­n „Recht auf Aufenthalt“die Rede, „das sich am Bedarf unserer Volkswirts­chaft orientiert“. Kriterien für den Zuzug nach Deutschlan­d sollen unter anderem „Qualifikat­ion, Alter, Sprache sowie der Nachweis eines konkreten Arbeitspla­tzes und die Sicherung des Lebensunte­rhalts“sein. „Mit einer klug gesteuerte­n Einwanderu­ngspolitik für Fachkräfte unterstütz­en wir die Schaffung von Arbeitsplä­tzen in Deutschlan­d und verringern spürbar die Attraktivi­tät von illegaler und ungesteuer­ter Einwanderu­ng.“

Trotz des klaren Bekenntnis­ses zur Integratio­n und Arbeitsmig­ration üben Menschenre­chtsorgani­sationen scharfe Kritik an den Ergebnisse­n der Koalitions­verhandlun­gen. „Die von den Hardlinern der Union durchgeset­zten Maßnahmen sind überwiegen­d integratio­nsfeindlic­h, teilweise rechtswidr­ig und zielen auf Ausgrenzun­g und Abschiebun­g“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsf­ührer von Pro Asyl.

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Foto: dpa Asylverfah­ren sollen künftig noch be schleunigt werden.
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Foto: dpa Mit diesem Koffer hat der US Präsident Kontrolle über Atomwaffen.

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