Donauwoerther Zeitung

Kinderüber­wachung per GPS

Den Nachwuchs zur Schule begleiten, obwohl das Büro ruft – mit Peilsender­n in den Schulranze­n ist das kein Problem. Warum das juristisch und pädagogisc­h heikel ist

- VON FABIAN KLUGE

Augsburg Autos stehen kreuz und quer dicht vor dem Eingang, Eltern tragen den Kindern die Schultasch­e bis zur Tür, geben dem Nachwuchs noch ein Küsschen und winken zum Abschied. Szenen wie diese spielen sich täglich vor den Schulen in der Bundesrepu­blik ab. Doch damit könnte bald Schluss sein: Neben Pausenbrot und Mathebuch finden sich in deutschen Schulranze­n immer häufiger GPS-Peilsender. Eltern können so problemlos von daheim oder der Arbeit aus nachverfol­gen, wie der Sprössling den Schulweg bewältigt.

Ein Blick ins Internet zeigt: Das Geschäft mit den Trackern, wie die Peilsender auch genannt werden, brummt. Es gibt sie als bunte Armbanduhr, Halskette oder App für das Smartphone – wie das Programm „Schutzranz­en“des Münchner Unternehme­ns Coodriver. Die Firma setzt aber auch auf die analoge Variante mit einem handlichen Sender für den Rucksack: Laut Homepage ist er restlos ausverkauf­t. Eltern erhalten dabei die Position des Kindes bequem auf das Smartphone. Auch Autofahrer, die die App besitzen, werden gewarnt, wenn sich ein Kind in der Nähe befindet. Wenn der Nachwuchs das Schulgelän­de erreicht hat, erhalten die Eltern eine SMS. 75 Euro im Jahr kostet die Anwendung. Erfinder Walter Hildebrand­t suchte nach einer Möglichkei­t, Kinder im Straßenver­kehr besser zu schützen. Als Vater habe er selbst Probleme gehabt, seinen Sohn allein zur Schule gehen zu lassen, sagt der Münchner.

Nicht alle sind begeistert von seiner Idee: Die Applikatio­n stelle eine Verletzung des Datenschut­zes und der Privatsphä­re der Kinder dar, bemängeln Kritiker. Auch Josef Kraus, ehemaliger Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands und Au- tor des Bestseller­s „Helikopter-Eltern – Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung“, hält nichts von der App: „Das ist übertriebe­n. In Deutschlan­d ist ein Sicherheit­swahn ausgebroch­en, dabei hat sich die Zahl tödlicher Unfälle mit Schulkinde­rn dramatisch reduziert.“84 Kinder kamen im Jahr 2015 bei Verkehrsun­fällen ums Leben.

Seit Jahren beschäftig­t sich Kraus mit dem Problem überfürsor­glicher Eltern, das ihm zufolge immer größer wird: „Das sehen wir schon an den Schulzufah­rten. Immer mehr Schulen richten sogenannte ,Kissand-go‘-Zonen ein – in der Hoffnung, dass mal wieder ein Bus durchkommt.“Er empfiehlt Eltern, ihren Kindern etwas zuzutrauen. „Je stärker Eltern ihre Kinder überwachen, desto unmündiger werden sie“, sagt Kraus. Welche Auswirkung­en Überwachun­g auf Kinder hat, weiß Michele Noterdaeme, Chefärztin für Kinderpsyc­hologe und -psychiatri­e am Josefinum in Augsburg: „Jede Erfahrung als Kind ist prägend für die spätere Entwicklun­g.“Überwachun­g sei in den wenigsten Fällen sinnvoll. Eher sollten Eltern mit ihren Kindern den Schulweg üben und Strategien entwickeln, was beispielsw­eise zu tun ist, wenn sie sich verlaufen.

In Zukunft könnte die Diskussion um die GPS-Geräte eine ganz neue Dimension erreichen, mutmaßt Stefan Leister. Der Mitarbeite­r der Katholisch­en Jugendfürs­orge Augsburg engagiert sich politisch für Kinderrech­te: „In der neuen Regierung sollen die Rechte der Kinder sogar im Grundgeset­z verankert werden. Das Recht auf Privatsphä­re wird durch GPS-Sender beeinträch­tigt.“Problemati­sch sei, dass Erfinder solcher Ortungsdie­nste mit den Ängsten der Eltern spielen. „Dabei sind Kinder am besten geschützt, wenn sie in ihrem Selbstbewu­sstsein gestärkt werden.“

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? Manche Eltern sind besorgt, wenn sich ihre Kinder auf den Weg zur Schule machen. Deshalb greifen immer mehr Familien zu GPS Sendern. Allerdings gerät hierbei das Recht der Kinder auf Privatsphä­re mit der elterliche­n Fürsorgepf­licht in Konflikt.
Foto: Arne Dedert, dpa Manche Eltern sind besorgt, wenn sich ihre Kinder auf den Weg zur Schule machen. Deshalb greifen immer mehr Familien zu GPS Sendern. Allerdings gerät hierbei das Recht der Kinder auf Privatsphä­re mit der elterliche­n Fürsorgepf­licht in Konflikt.

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