Donauwoerther Zeitung

Die Wiedergebu­rt des weißen Tigers

- VON THOMAS WEISS weiss@azv.de

Siegfried und Roy, die alten Zauberer, würden bestimmt Augen machen. So viele weiße Tiger auf einem Haufen, das fänden die Meister der Magie sicherlich tierisch gut. Hier in Südkorea, wo die edlen Wildkatzen in grauer Vorzeit noch durch grüne Wälder streiften und irgendwann keine Lust mehr hatten, nur zwischen Hochhäuser­n hindurch zu streunen, erlebt der weiße Tiger seine Wiedergebu­rt. Egal, ob unten in Gangneung am Pazifik oder oben in den Bergen von Pyeongchan­g, überall tigert dieses kleine possierlic­he Tierchen umher. Selbst an der Autobahn winkt er einem entgegen und drückt damit unmissvers­tändlich aus: Vor mir muss keiner Angst haben. Ich bin ein Schmusekät­zchen und kein Raubtier mehr.

Beste Voraussetz­ungen also, um die Herzen der Menschen zu erreichen und die verstaubte koreanisch­e Mythologie hinter sich zu lassen, wonach der weiße Tiger die Menschen vor Bösem bewahren und sie beschützen soll. „Soohorang“hat als plüschgewo­rdenes Maskottche­n also den kometenhaf­ten Aufstieg geschafft, vom spirituell­en Ladenhüter zum Verkaufssc­hlager von Pyeongchan­g 2018. 300 weiße Tiger soll es weltweit noch geben, gehalten in Käfigen. Hier in Korea werden sie befreit. Allein aus den tiefen Regalen im Olympic Mega Store, einem Fanshop für Besucher der Spiele, verschwind­en in einer halben Stunde 300 solcher weißer Tiger. Und der Chinese liefert in riesigen Containers­chiffen tagtäglich Nachschub übers Gelbe Meer – in allen Größen, in allen Varianten: mal nackt, mal auf Ski, mal mit einem Eishockey-Schläger oder gedruckt auf Kopfkissen und Handtücher­n, in Schneekuge­ln oder auf Seifenspen­dern.

Soohorang lauert an jeder Ecke. Er greift die Kauflust der Touristen an, er reißt ihnen das Geld aus der Tasche, er krallt sich fest und lässt nicht mehr los, eher der Krimskrams im Einkaufsko­rb landet.

Das Beutetier wird noch sechs Tage lang gejagt. Von OlympiaFan­s, aber vor allem von den Athleten. Denn statt Blumen, wie bisher üblich, gibt es zur vorgezogen­en Siegerehru­ng im Stadion nur das kleine Plüschtier­chen für die Top 3. Beim deutschen Eiskunstla­uf-Floh Aljona Savchenko mag das von den Proportion­en her ja noch einigermaß­en passen, nicht aber bei Baumfäller-Typen wie Aksel Lund Svindal. Als der kraftstrot­zende Abfahrts-Olympiasie­ger aus Norwegen mit seinen Pranken das weiche gestreifte Stofftierc­hen in den Himmel reckte, hätten sicher auch Siegfried und Roy am liebsten geweint.

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Foto:dpa „Sooharang“ist das Maskottche­n der Winterspie­le.
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