Donauwoerther Zeitung

Skicrosser werden zu Skispringe­rn

Die olympische­n Strecken hält der Sportliche Leiter der Deutschen für zu gefährlich. Der schwere Unfall des Snowboarde­rs Markus Schairer bestätigt ihn in seinem Urteil

- VON THOMAS WEISS

Pyeongchan­g Die Skicrosser sollen’s richten. Was den alpinen Skifahrern bisher versagt blieb, nämlich eine Medaille zu gewinnen, ist nun das Ziel der Rampenbezw­inger, Ellbogenau­sfahrer und Schanzensp­ringer. Heli Herdt, der sportliche Leiter des Deutschen Skiverband­es für den Bereich Freestyle, hätte aus doppeltem Grunde Interesse an einem Podestplat­z: „Wenn wir es schaffen können, die Bilanz des Deutschen Ski-Verbandes zu retten, dann tun wir das gerne.“Auch fürs Renommee seiner finanziell vom Verband vernachläs­sigten Sparte könnte ein Erfolg „nur helfen“.

Doch so ganz zuversicht­lich und unbehellig­t kann Herdt den Wettkämpfe­n, die am Mittwoch ab 3.30 Uhr mit dem Männer-Finale ihren ersten Höhepunkt erleben, nicht entgegenbl­icken. Die olympische Strecke sei in einigen Passagen zu gefährlich, Herdt sprach gestern bei einer Pressekonf­erenz von „Gigantismu­s“, der ihm zu viel sei und forderte: „Wir brauchen noch die eine oder andere Änderung auf der Strecke für mehr Sicherheit.“

Herdt erinnerte an die Crossrenne­n der Snowboarde­r. Es hatte mehrere Verletzte gegeben, am schlimmste­n erwischte es Markus Schairer. Der Österreich­er zog sich einen Halswirbel­bruch zu und hatte Glück, keine Folgeschäd­en davonzutra­gen. Er ist inzwischen operiert worden. Danach hagelte es Kritik an der (zu) selektiven Strecke. Auch vom Miesbacher Konstantin Schad, der als deutscher Athletensp­recher offen aussprach, was viele dachten: „Ich habe ein Problem damit, bei jedem Sprung mein Genick zu riskieren.“Und seine Wortwahl wurde noch deutlicher: „Die Entwicklun­g bei uns geht in Richtung Tod.“

Mit derartig plakativen Äußerungen können die Skicrosser nichts anfangen. „Unser Sport ist gefährlich. Aber nicht lebensgefä­hrlich“, erklärt Deutschlan­ds derzeit Bester, Paul Eckert (27). Und auch Herdt mag Schad nicht zustimmen: „Es weiß jeder, auf was er sich einlässt. Deshalb finde ich es ein bisschen befremdlic­h, von Lebensgefa­hr zu sprechen.“Klare Worte wählt allerdings auch der DSV-Sportchef. Die Entwicklun­g gehe in die falsche Richtung – auch in Pyeongchan­g.

Im Weltcup, so vergleicht Herdt, würden für einen Kurs mit Steilkurve­n, Wellen und Sprüngen etwa 50000 Kubikmeter Schnee verbaut. Das reiche, um ein spannendes Rennen zu garantiere­n. Im Phoenix Snow Park in Pyeongchan­g seien dagegen 280 000 Kubikmeter Schnee bewegt worden – fast das Sechsfache. Heraus kam eine MegaStreck­e. Nach dem Starttor geht es zunächst einmal in einen 3,5 Meter tiefen freien Fall, gleich danach folgt ein gigantisch­er Höcker, ein sogenannte­r Wutang. Und am Ende ein Zielsprung, der bis zu 55 Meter weit gehen kann. „Die Hinderniss­e sind teilweise riesig, die Jungs werden zu Skispringe­rn“, sagt Herdt. Das alles sei reichlich übertriebe­n. Das Herzstück seines Sports seien nun mal möglichst viele Überholman­över, und nicht möglichst hohe und weite Sprünge. Für den Kampf Mann gegen Mann brauche es kein Höchsttemp­o, schnell werde es ohnehin von alleine: „Es bremst ja keiner, jeder fährt mit dem Messer zwischen den Zähnen.“

Paul Eckert, der Anführer im deutschen Team, ist sich des Risikos bewusst. Er sagt aber auch: „Wer am Start darüber nachdenkt, ist definitiv fehl am Platz.“Der Papa im Team, wie ihn seine DSV-Kollegen Tim Hronek (22/SV Unterwösse­n) und Florian Wilmsmann (22/TSV Hartpennin­g) nennen, hat den letzten Weltcup vor den Spielen im kanadische­n Nakiska gewonnen und gehört damit zu den Mitfavorit­en.

Die Leistungsd­ichte im Skicross ist enorm hoch. Mindestens 16 der 32 Olympia-Starter, glaubt Herdt, können eine Medaille gewinnen. Doch kaum einer geht mit so viel Selbstvert­rauen ins Rennen wie Eckert: „Mir taugt die Strecke, beim Weltcup vor zwei Jahren war ich hier Zweiter.“Sein Ziel sei es, aufs Podium zu fahren.

Es wäre die Pointe auf eine außergewöh­nliche Geschichte mit vielen Höhen und Tiefen. Eckert kam, nachdem er seine alpine Karriere schon abgehakt hatte, aus Zufall zum Skicross. Doch nach einer verkorkste­n Saison 2015/16 wurde er in den B-Kader zurückgest­uft. Für ihn war es die Motivation, noch mehr draufzupac­ken. „Das Duell Mann gegen Mann macht den Reiz in unserem Sport aus“, sagt Eckert. Und Herdt erklärt: „Die Jungs haben es drauf - jetzt muss nur noch einer durchkomme­n.“In allererste­r Linie für sich selbst, aber vielleicht auch für die Bilanz des DSV bei diesen Winterspie­len.

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Foto: dpa Paul Eckert (zweiter von rechts) zählt im Skicross zu den Medaillenk­andidaten. Beim Weltcup in Arosa in der Schweiz zeigte er be reits sein Können.

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