Skicrosser werden zu Skispringern
Die olympischen Strecken hält der Sportliche Leiter der Deutschen für zu gefährlich. Der schwere Unfall des Snowboarders Markus Schairer bestätigt ihn in seinem Urteil
Pyeongchang Die Skicrosser sollen’s richten. Was den alpinen Skifahrern bisher versagt blieb, nämlich eine Medaille zu gewinnen, ist nun das Ziel der Rampenbezwinger, Ellbogenausfahrer und Schanzenspringer. Heli Herdt, der sportliche Leiter des Deutschen Skiverbandes für den Bereich Freestyle, hätte aus doppeltem Grunde Interesse an einem Podestplatz: „Wenn wir es schaffen können, die Bilanz des Deutschen Ski-Verbandes zu retten, dann tun wir das gerne.“Auch fürs Renommee seiner finanziell vom Verband vernachlässigten Sparte könnte ein Erfolg „nur helfen“.
Doch so ganz zuversichtlich und unbehelligt kann Herdt den Wettkämpfen, die am Mittwoch ab 3.30 Uhr mit dem Männer-Finale ihren ersten Höhepunkt erleben, nicht entgegenblicken. Die olympische Strecke sei in einigen Passagen zu gefährlich, Herdt sprach gestern bei einer Pressekonferenz von „Gigantismus“, der ihm zu viel sei und forderte: „Wir brauchen noch die eine oder andere Änderung auf der Strecke für mehr Sicherheit.“
Herdt erinnerte an die Crossrennen der Snowboarder. Es hatte mehrere Verletzte gegeben, am schlimmsten erwischte es Markus Schairer. Der Österreicher zog sich einen Halswirbelbruch zu und hatte Glück, keine Folgeschäden davonzutragen. Er ist inzwischen operiert worden. Danach hagelte es Kritik an der (zu) selektiven Strecke. Auch vom Miesbacher Konstantin Schad, der als deutscher Athletensprecher offen aussprach, was viele dachten: „Ich habe ein Problem damit, bei jedem Sprung mein Genick zu riskieren.“Und seine Wortwahl wurde noch deutlicher: „Die Entwicklung bei uns geht in Richtung Tod.“
Mit derartig plakativen Äußerungen können die Skicrosser nichts anfangen. „Unser Sport ist gefährlich. Aber nicht lebensgefährlich“, erklärt Deutschlands derzeit Bester, Paul Eckert (27). Und auch Herdt mag Schad nicht zustimmen: „Es weiß jeder, auf was er sich einlässt. Deshalb finde ich es ein bisschen befremdlich, von Lebensgefahr zu sprechen.“Klare Worte wählt allerdings auch der DSV-Sportchef. Die Entwicklung gehe in die falsche Richtung – auch in Pyeongchang.
Im Weltcup, so vergleicht Herdt, würden für einen Kurs mit Steilkurven, Wellen und Sprüngen etwa 50000 Kubikmeter Schnee verbaut. Das reiche, um ein spannendes Rennen zu garantieren. Im Phoenix Snow Park in Pyeongchang seien dagegen 280 000 Kubikmeter Schnee bewegt worden – fast das Sechsfache. Heraus kam eine MegaStrecke. Nach dem Starttor geht es zunächst einmal in einen 3,5 Meter tiefen freien Fall, gleich danach folgt ein gigantischer Höcker, ein sogenannter Wutang. Und am Ende ein Zielsprung, der bis zu 55 Meter weit gehen kann. „Die Hindernisse sind teilweise riesig, die Jungs werden zu Skispringern“, sagt Herdt. Das alles sei reichlich übertrieben. Das Herzstück seines Sports seien nun mal möglichst viele Überholmanöver, und nicht möglichst hohe und weite Sprünge. Für den Kampf Mann gegen Mann brauche es kein Höchsttempo, schnell werde es ohnehin von alleine: „Es bremst ja keiner, jeder fährt mit dem Messer zwischen den Zähnen.“
Paul Eckert, der Anführer im deutschen Team, ist sich des Risikos bewusst. Er sagt aber auch: „Wer am Start darüber nachdenkt, ist definitiv fehl am Platz.“Der Papa im Team, wie ihn seine DSV-Kollegen Tim Hronek (22/SV Unterwössen) und Florian Wilmsmann (22/TSV Hartpenning) nennen, hat den letzten Weltcup vor den Spielen im kanadischen Nakiska gewonnen und gehört damit zu den Mitfavoriten.
Die Leistungsdichte im Skicross ist enorm hoch. Mindestens 16 der 32 Olympia-Starter, glaubt Herdt, können eine Medaille gewinnen. Doch kaum einer geht mit so viel Selbstvertrauen ins Rennen wie Eckert: „Mir taugt die Strecke, beim Weltcup vor zwei Jahren war ich hier Zweiter.“Sein Ziel sei es, aufs Podium zu fahren.
Es wäre die Pointe auf eine außergewöhnliche Geschichte mit vielen Höhen und Tiefen. Eckert kam, nachdem er seine alpine Karriere schon abgehakt hatte, aus Zufall zum Skicross. Doch nach einer verkorksten Saison 2015/16 wurde er in den B-Kader zurückgestuft. Für ihn war es die Motivation, noch mehr draufzupacken. „Das Duell Mann gegen Mann macht den Reiz in unserem Sport aus“, sagt Eckert. Und Herdt erklärt: „Die Jungs haben es drauf - jetzt muss nur noch einer durchkommen.“In allererster Linie für sich selbst, aber vielleicht auch für die Bilanz des DSV bei diesen Winterspielen.