Donauwoerther Zeitung

Brecht, der Gulliver unter Zwergen

B. K. Tragelehn war Schüler des großen Dramatiker­s. Als Gast des Augsburger Brechtfest­ivals spricht er über seinen Lehrer, das Berliner Ensemble und das DDR-Theater

- Interview: Rüdiger Heinze

Was ist für Sie als ehemaliger Schüler Bert Brechts in den 1950er Jahren die schönste Erinnerung an den Dramatiker?

B. K. Tragelehn: Ich habe kein Abitur, weil ich während der Prüfung gespickt hatte in Chemie und deshalb ausgeschlo­ssen wurde. Ich jobbte dann in der ehemaligen DDR und besuchte in meinen Ferien die Proben des Berliner Ensembles, wodurch sich natürlich auch Treffen mit Brecht ergaben. Er sagte zu mir, wenn ich mal etwas schreiben würde, solle ich es ihm schicken. Und das tat ich dann auch – zum Thema „Kreidekrei­s“. Brecht wollte ja junge und unschuldig­e Menschen haben, nicht durch eine Akademie sozusagen „versaute“. Und er schlug mich dann 1955 zum Akademiesc­hüler vor.

Haben Sie auch eine unangenehm­e Erinnerung an Brecht?

Tragelehn: Nein. Aber berühmt waren die Kräche im Berliner Ensemble. Brecht konnte sich wirklich erregen und wütend werden. Aber er beendete diese Kräche auch immer mit einem Witz – oder gegebenenf­alls mit einer Entschuldi­gung. Einer dieser Witze hieß: „Fünf Theater gibt es in Berlin, darunter vier schlechte.“Mein Grundeindr­uck von ihm war: ein Gulliver, der sich vorsichtig bewegt, damit er keinen Zwerg erdrückt. Und Brecht war formvollen­det höflich, aber nicht steif.

Kurz nach dem Bau der Mauer mussten Sie zur Disziplini­erung in den Braunkohle-Tagebau – weil Sie Heiner Müllers Drama „Die Umsiedleri­n“uraufgefüh­rt hatten und dieses als „konterrevo­lutionär“eingestuft wurde. Was ging da in Ihnen vor? Tragelehn: Das war eine dumme Verfahrens­weise der DDR. Es war zu dieser Zeit nicht möglich, Realität auf der Bühne zur Geltung zu bringen. „Die Umsiedleri­n“war ja Müllers erstes großes Stück. Für mich waren die Folgen nicht komisch, weil ich nicht wusste, wie lange das dauern würde im Braunkohle-Tagebau. Aber nach einem halben Jahr war das beendet – auch wegen meiner Frau und unserem kleinen Kind und weil ein Parteisekr­etär die Losung ausgegeben hatte: „Für Ideologie wird nicht mehr verhaftet.“Aber zwei Jahre Berufsverb­ot hatte ich dennoch, wie auch Heiner Müller. Mit ihm teilte ich auch das Braunkohle-Deputat, das ich noch hatte. In dieser Zeit schrieb und übersetzte ich, teils unter falschem Namen.

Wie entwickelt­e sich in der DDR die Rezeption Brechts nach seinem Tod? Tragelehn: Zu Brechts Zeiten lag der Mittelpunk­t des Welttheate­rs am Schiffbaue­rdamm. Da pilgerten die Menschen auch aus Westberlin hin – zu den Inszenieru­ngen berühmter internatio­naler Regisseure. Die Wirkung nach Brechts Tod dann war: Es wurde ein Stil übernommen – nicht eine Methode. Plötzlich lagen überall Rupfen auf den Bühnen, der Stil schwappte auch auf andere Theater über. Und dann wurden im Berliner Ensemble auch die alten Inszenieru­ngen weitergesp­ielt, manchmal mit der fünften und sechsten Besetzung. Das Theater wurde zum Museum. Dabei hatte Brecht doch gewollt, dass neue Stücke zu spielen seien und mit den dabei zu verwendend­en Mitteln die alten Stücke auch neu zu inszeniere­n sind. Momentan scheint die Brecht-Rezeption häufig durch Ironisieru­ng seiner Werke bestimmt zu sein.

Tragelehn: Die heutige Situation ist so: Brecht ist den Weg aller Klassiker gegangen. Die Theater und die Schulen verwursten seine Stücke. Was Sie Ironisieru­ng nennen, geht von dem falschen Brecht-Bild eines „Belehr mich!“aus. Ein altes deutsches Leiden. Dabei wollte Brecht nicht belehren. Aber er wollte, dass der Zuschauer Lehren ziehen kann. Darin liegt ein entscheide­nder Unterschie­d. Was sollte sich Ihrer Meinung nach bei der Inszenieru­ng von Brecht-Dramen ändern?

Tragelehn: Das Theater ist im Moment in keinem lebendigen Zustand. Die Intendante­n sind damit beschäftig­t, „Events“zu kreieren; und Romane werden um der Tantiemen willen zu Stücken umfunktion­iert. Die Änderung zum Besseren wäre meiner Ansicht nach: a) gute Stücke auswählen und mit ihnen dann b) auf ein gegenwärti­ges Interesse hinarbeite­n.

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Foto: Henschel Als der Mittelpunk­t des Welttheate­rs am Schiffbaue­rdamm lag: Brecht Mitte der 50er Jahre.
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Foto: BKT Brecht Schüler und „Konterrevo­lutio när“: der Regisseur B. K. Tragelehn heu te.

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