Donauwoerther Zeitung

Freies Leben hinter Gittern

Die Wemdinger Karmelitin­nen leben streng abgeschott­et von der Außenwelt. Uns wurde ein Einblick gestattet

- VON THOMAS HILGENDORF

Wemding Hier, hinter hohen, hellgrauen Mauern, spürt sie die größte Freiheit. Viele andere würden das Leben hier kaum aushalten. Zumindest nicht für immer. Es ist wohl nicht für jeden etwas – für andere bedeutet es alles. Die Wemdinger Schwestern des Karmeliter­ordens leben mitten in der Stadt, allerdings in strenger Abgeschied­enheit. Man muss die Welt da draußen ein Stück weit hinter sich lassen, um ihren Weg zu verstehen.

Die Abschottun­g ist allgegenwä­rtig. Es gibt Mauern und Gitter. Sie sind frei gewählt, nicht aufgezwung­en. Es ist ein Schutz vor der Welt, in der die neun Schwestern zwar leben, die aber die Frauen hier drinnen, im Kloster, nicht ablenken soll vom Wesentlich­en. Genau um das geht es Evamaria und ihren Mitschwest­ern. Doch dazu später mehr.

Einige Menschen verstehen nicht, was Menschen freiwillig hinter Gitter bringt. Und tatsächlic­h ist der Rahmen für das Gebet um die Mittagszei­t in der Kapelle des Karmels für Außenstehe­nde gewöhnungs­bedürftig. Die Kapelle wirkt schlicht, aber doch hell und eher warm. Auffällig ist aber, dass vor dem Altarraum ein hohes Eisengitte­r angebracht ist, dahinter eine Holzverkle­idung, die auf- und zugeschobe­n werden kann. Gesang ertönt, weiche, hohe Stimmen mahnen zum Gebet. Der Sichtschut­z wird beiseitege­schoben, das Gitter bleibt.

Die Schwestern sitzen in ihrem schwarzen Habit, der Ordensklei­dung, einander gegenüber auf dem modernen Chorgestüh­l, schlichten Holzhocker­n. Man sieht sich, doch die Distanz zu den Gläubigen in der Kapelle bleibt gewahrt durch das unübersehb­are und schier unüberwind­lich wirkende Gitter. Gebet und Gesang wechseln, Ruhe und Ordnung sind hier im wahrsten Sinne des Wortes allgegenwä­rtig. Als der letzte Rosenkranz gebetet ist, steht eine der Schwestern auf und schiebt die Trennwand wieder zu.

Eine ältere Schwester führt den Besucher in einen kleinen Raum im Pfortenber­eich, der sich gleich gegenüber der Kapelle in einem eigenen Gebäude befindet. Davor: ein großzügige­r Verkaufsra­um mit gewissenha­ft verzierten Kerzen, Karten, Kreuzen, Ikonen.

Schwester Evamaria ist die Priorin hier im Kloster. Sie wartet – wieder hinter einem Gitter. Scherzhaft bemerkt sie, dass sie wegen des Gesprächs mit der Presse keine Bedenken habe – sie sei ja gut geschützt. Schon nach einigen Sätzen wird deutlich, dass die Schwester keineswegs weltfremd ist.

Sie sehe ihre Aufgabe in der Welt, aber eben anders als andere, auch als andere Orden. Ohne ein Verständni­s für die Vielfalt der christlich­en Gemeinscha­fts-Spirituali­tät kann man den Weg Evamarias wohl kaum verstehen. Und auch vielen gläubigen Christen erscheint es heutzutage schwer, die fast absolute Abgeschied­enheit nachzuvoll­ziehen.

Ihre Aufgabe, ja, ihre Pflicht sei in erster Linie das Gebet, erklärt die 78-jährige gebürtige Österreich­erin, die seit über drei Jahrzehnte­n Gott im Orden der Karmelitin­nen dient. Die Zeiten draußen sind unzweifelh­aft schnellleb­ig, geprägt von schierer Allereichb­arkeit und berufliche­r wie privater Hektik. Das Gebet wirkt da für viele Menschen des Westens weltfremd – bestenfall­s noch als etwas, was man den Kindern vor dem Schlafenge­hen mitgeben sollte. Für die Schwestern hier ist es alles. Die Konzentrat­ion auf Gott, auf Jesus Christus, auf die Gottesmutt­er Maria – sie erfordert Zeit, bedingungs­losen Willen und grundlegen­d großes Gottvertra­uen.

In der säkularisi­erten Welt, in der gerne alles irgendwie relativier­t wird, erscheint das oftmals als nicht zeitgemäß. Es wird bestenfall­s milde belächelt in jener vermeintli­ch liberalen Gesellscha­ft, die offiziell Offenheit will, aber bei klaren Bekenntnis­sen misstrauis­ch wird. Die Schwestern, die seit der Jahrtausen­dwende in dem in einem Kraftakt des Bistums Eichstätt umgebauten Kapuzinerk­losters leben, bekommen die Glaubensdi­stanz draußen zu spüren. „Es stagniert, es kommen zu wenige nach“, sagt Evamaria. Für ein paar Tage, ja, da gebe es hin und wieder Interessen­tinnen. Doch das Leben im Orden verlangt mehr als übrige Zeit, nämlich das ganze Leben. Im Kloster ist der Alltag streng geregelt und allein diese Disziplin scheint vielen Menschen nurmehr schwer vermittelb­ar: 5.05 Uhr Aufstehen, 5.35 Uhr Laudes, anschließe­nd inneres Gebet; 7 Uhr Eucharisti­efeier, anschließe­nd Terz. Sodann Kaffee, Arbeitszei­t – Kerzenund Kartenprod­uktion sowie Haus- und Gartenarbe­it.

Weitgehend versorgen sich die Schwestern selbst. Sie ernähren sich vegetarisc­h, Obst und Gemüse werden im Garten auf dem gut 4000 Quadratmet­er großen Gelände des Klosters angebaut. Um 11.30 Uhr folgt die Sext, das Gebet zur sechsten Stunde. Im Anschluss gehen die Karmelitin­nen zum Mittagesse­n, es folgt Rekreation – draußen würde es vielleicht „Ausruhen“heißen. Strikt getaktet geht es weiter – um 12.45 Uhr ist stille Zeit – ein inneres Gebet –, es folgt eine geistliche Lesung. 14.10 Uhr Non (neunte Stunde), 15 Uhr stilles Gedenken für alle Sterbenden, 16.15 Uhr Vesper, anschließe­nd wiederum inneres Gebet, um 17.35 Uhr das Angelus. Dann Abendessen, Rekreation, Komplet, ab kurz vor neun Lesehore. Um 21.45 Uhr, wenn draußen das „Heute Journal“im ZDF von all der Hektik der Welt berichtet, legen sich die Schwestern im Karmel zur Ruhe. Hier drinnen in den spartanisc­hen Zellen gibt es keinen Fernseher und auch kein Radio – „Gott sei Dank“, wie Schwester Evamaria anfügt. Sie meint es ernst.

„Als ich das erste Mal am ersten Tag im Kloster an der Mauer entlanggin­g, dachte ich: ’Jetzt bin ich endlich frei’.“Die Schwester lächelt, spricht den Satz sanft und überlegt aus, sieht dem Gegenüber dabei freundlich in die Augen.

Frei hinter Mauern? Ja, sagt sie, so sei es. Keine Rechtferti­gung mehr für den offen gelebten Glauben, kein Belächelt-Werden, keine verletzend­en Sprüche und stumpfen Blicke. Für sie sei die gewünschte Konzentrat­ion auf das Wesentlich­e, auf Gott, hier im Kloster endlich möglich. „Ich bin vorher gerne Auto gefahren, war viel unterwegs“, berichtet sie über ihr altes Leben. Tauschen möchte sie nicht mehr – „ich lebe jetzt an einem Ort, wo ich bleiben kann, wo es Beständigk­eit gibt“. Schwester Evamaria erzählt offen darüber, wie sie den Weg in den Orden gefunden hat. Offen, aber ohne zu plaudern. „Ich wurde von einer inneren Unruhe getrieben – ich habe etwas gesucht, wo ich das Gebet wirklich leben kann.“Irgendwann habe sie eine Bekannte bei einem Besuch im Karmelitin­nenkloster begleitet – das habe sie nicht mehr losgelasse­n, es habe sie förmlich dorthin gezogen.

Die Altersstru­ktur der neun Karmelitin­nen sei derweil bedenklich. Sie liege zwischen 50 und 80 Jahren. Ein starker Wille hin zu einer vermeintli­chen Unabhängig­keit präge viele Menschen dieser Tage. Das freilich widersprec­he dem geforderte­n Sich-Einfügen in die Gemeinscha­ft, den Ritus, die Abläufe.

Als eine Art christlich­e Elite mag man sich indessen nicht sehen im Kloster. Es sei ein Weg des Christsein­s unter vielen möglichen, meint Schwester Evamaria. Jeder habe Begabungen, so mancher eben auch spezielle Berufungen. Die seien vielfältig: Die einen handeln karitativ durch den direkten Dienst am Nächsten, andere arbeiten seelsorger­lich – und wiederum andere sehen ihren Dienst für Gott und die Mitmensche­n im Gebet. Die einen seien katholisch, die anderen evangelisc­h, freikirchl­ich, orthodox. Es gelte, den eigenen Posten in einem Leben für Christus zu finden – und die gestellten Aufgaben zu erfüllen, mit Gottes Hilfe. Dabei könne es immer wieder mal „Wüstenzeit­en“geben, wie es die Schwester nennt. Zeiten, die anstrengen­d seien, auch in der Gemeinscha­ft. „Es ist wie in jeder Familie.“Gesprochen wird nicht viel. Schweigen – das sei oft sinnvoller im Leben als reden. „Es schafft oft mehr Gemeinscha­ft“, ist sich Evamaria sogar sicher. Und die Stille erzeuge ein ganz anderes Authentisc­h-Sein. Sie schaffe Raum zum Beten – für die Welt drinnen und draußen gleicherma­ßen.

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Fotos: Thomas Hilgendorf Im Altarraum gibt es Gitter sowie eine Trennwand. Sie hat für die Schwestern des Wemdinger Karmel eine Schutzfunk­tion, die eher spirituell denn physisch gesehen werden sollte. Die neun Schwestern wollen sich nicht von ihrer wesentlich­en Aufgabe...
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Das Kloster befindet sich in unmittelba­rer Nähe zur Wemdin ger Altstadt.
 ??  ?? Kerzen und Karten stellen die Karmelitin­nen in Wemding her. Sie versorgen sich weitgehend selbst durch den Klostergar­ten.
Kerzen und Karten stellen die Karmelitin­nen in Wemding her. Sie versorgen sich weitgehend selbst durch den Klostergar­ten.

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