Freies Leben hinter Gittern
Die Wemdinger Karmelitinnen leben streng abgeschottet von der Außenwelt. Uns wurde ein Einblick gestattet
Wemding Hier, hinter hohen, hellgrauen Mauern, spürt sie die größte Freiheit. Viele andere würden das Leben hier kaum aushalten. Zumindest nicht für immer. Es ist wohl nicht für jeden etwas – für andere bedeutet es alles. Die Wemdinger Schwestern des Karmeliterordens leben mitten in der Stadt, allerdings in strenger Abgeschiedenheit. Man muss die Welt da draußen ein Stück weit hinter sich lassen, um ihren Weg zu verstehen.
Die Abschottung ist allgegenwärtig. Es gibt Mauern und Gitter. Sie sind frei gewählt, nicht aufgezwungen. Es ist ein Schutz vor der Welt, in der die neun Schwestern zwar leben, die aber die Frauen hier drinnen, im Kloster, nicht ablenken soll vom Wesentlichen. Genau um das geht es Evamaria und ihren Mitschwestern. Doch dazu später mehr.
Einige Menschen verstehen nicht, was Menschen freiwillig hinter Gitter bringt. Und tatsächlich ist der Rahmen für das Gebet um die Mittagszeit in der Kapelle des Karmels für Außenstehende gewöhnungsbedürftig. Die Kapelle wirkt schlicht, aber doch hell und eher warm. Auffällig ist aber, dass vor dem Altarraum ein hohes Eisengitter angebracht ist, dahinter eine Holzverkleidung, die auf- und zugeschoben werden kann. Gesang ertönt, weiche, hohe Stimmen mahnen zum Gebet. Der Sichtschutz wird beiseitegeschoben, das Gitter bleibt.
Die Schwestern sitzen in ihrem schwarzen Habit, der Ordenskleidung, einander gegenüber auf dem modernen Chorgestühl, schlichten Holzhockern. Man sieht sich, doch die Distanz zu den Gläubigen in der Kapelle bleibt gewahrt durch das unübersehbare und schier unüberwindlich wirkende Gitter. Gebet und Gesang wechseln, Ruhe und Ordnung sind hier im wahrsten Sinne des Wortes allgegenwärtig. Als der letzte Rosenkranz gebetet ist, steht eine der Schwestern auf und schiebt die Trennwand wieder zu.
Eine ältere Schwester führt den Besucher in einen kleinen Raum im Pfortenbereich, der sich gleich gegenüber der Kapelle in einem eigenen Gebäude befindet. Davor: ein großzügiger Verkaufsraum mit gewissenhaft verzierten Kerzen, Karten, Kreuzen, Ikonen.
Schwester Evamaria ist die Priorin hier im Kloster. Sie wartet – wieder hinter einem Gitter. Scherzhaft bemerkt sie, dass sie wegen des Gesprächs mit der Presse keine Bedenken habe – sie sei ja gut geschützt. Schon nach einigen Sätzen wird deutlich, dass die Schwester keineswegs weltfremd ist.
Sie sehe ihre Aufgabe in der Welt, aber eben anders als andere, auch als andere Orden. Ohne ein Verständnis für die Vielfalt der christlichen Gemeinschafts-Spiritualität kann man den Weg Evamarias wohl kaum verstehen. Und auch vielen gläubigen Christen erscheint es heutzutage schwer, die fast absolute Abgeschiedenheit nachzuvollziehen.
Ihre Aufgabe, ja, ihre Pflicht sei in erster Linie das Gebet, erklärt die 78-jährige gebürtige Österreicherin, die seit über drei Jahrzehnten Gott im Orden der Karmelitinnen dient. Die Zeiten draußen sind unzweifelhaft schnelllebig, geprägt von schierer Allereichbarkeit und beruflicher wie privater Hektik. Das Gebet wirkt da für viele Menschen des Westens weltfremd – bestenfalls noch als etwas, was man den Kindern vor dem Schlafengehen mitgeben sollte. Für die Schwestern hier ist es alles. Die Konzentration auf Gott, auf Jesus Christus, auf die Gottesmutter Maria – sie erfordert Zeit, bedingungslosen Willen und grundlegend großes Gottvertrauen.
In der säkularisierten Welt, in der gerne alles irgendwie relativiert wird, erscheint das oftmals als nicht zeitgemäß. Es wird bestenfalls milde belächelt in jener vermeintlich liberalen Gesellschaft, die offiziell Offenheit will, aber bei klaren Bekenntnissen misstrauisch wird. Die Schwestern, die seit der Jahrtausendwende in dem in einem Kraftakt des Bistums Eichstätt umgebauten Kapuzinerklosters leben, bekommen die Glaubensdistanz draußen zu spüren. „Es stagniert, es kommen zu wenige nach“, sagt Evamaria. Für ein paar Tage, ja, da gebe es hin und wieder Interessentinnen. Doch das Leben im Orden verlangt mehr als übrige Zeit, nämlich das ganze Leben. Im Kloster ist der Alltag streng geregelt und allein diese Disziplin scheint vielen Menschen nurmehr schwer vermittelbar: 5.05 Uhr Aufstehen, 5.35 Uhr Laudes, anschließend inneres Gebet; 7 Uhr Eucharistiefeier, anschließend Terz. Sodann Kaffee, Arbeitszeit – Kerzenund Kartenproduktion sowie Haus- und Gartenarbeit.
Weitgehend versorgen sich die Schwestern selbst. Sie ernähren sich vegetarisch, Obst und Gemüse werden im Garten auf dem gut 4000 Quadratmeter großen Gelände des Klosters angebaut. Um 11.30 Uhr folgt die Sext, das Gebet zur sechsten Stunde. Im Anschluss gehen die Karmelitinnen zum Mittagessen, es folgt Rekreation – draußen würde es vielleicht „Ausruhen“heißen. Strikt getaktet geht es weiter – um 12.45 Uhr ist stille Zeit – ein inneres Gebet –, es folgt eine geistliche Lesung. 14.10 Uhr Non (neunte Stunde), 15 Uhr stilles Gedenken für alle Sterbenden, 16.15 Uhr Vesper, anschließend wiederum inneres Gebet, um 17.35 Uhr das Angelus. Dann Abendessen, Rekreation, Komplet, ab kurz vor neun Lesehore. Um 21.45 Uhr, wenn draußen das „Heute Journal“im ZDF von all der Hektik der Welt berichtet, legen sich die Schwestern im Karmel zur Ruhe. Hier drinnen in den spartanischen Zellen gibt es keinen Fernseher und auch kein Radio – „Gott sei Dank“, wie Schwester Evamaria anfügt. Sie meint es ernst.
„Als ich das erste Mal am ersten Tag im Kloster an der Mauer entlangging, dachte ich: ’Jetzt bin ich endlich frei’.“Die Schwester lächelt, spricht den Satz sanft und überlegt aus, sieht dem Gegenüber dabei freundlich in die Augen.
Frei hinter Mauern? Ja, sagt sie, so sei es. Keine Rechtfertigung mehr für den offen gelebten Glauben, kein Belächelt-Werden, keine verletzenden Sprüche und stumpfen Blicke. Für sie sei die gewünschte Konzentration auf das Wesentliche, auf Gott, hier im Kloster endlich möglich. „Ich bin vorher gerne Auto gefahren, war viel unterwegs“, berichtet sie über ihr altes Leben. Tauschen möchte sie nicht mehr – „ich lebe jetzt an einem Ort, wo ich bleiben kann, wo es Beständigkeit gibt“. Schwester Evamaria erzählt offen darüber, wie sie den Weg in den Orden gefunden hat. Offen, aber ohne zu plaudern. „Ich wurde von einer inneren Unruhe getrieben – ich habe etwas gesucht, wo ich das Gebet wirklich leben kann.“Irgendwann habe sie eine Bekannte bei einem Besuch im Karmelitinnenkloster begleitet – das habe sie nicht mehr losgelassen, es habe sie förmlich dorthin gezogen.
Die Altersstruktur der neun Karmelitinnen sei derweil bedenklich. Sie liege zwischen 50 und 80 Jahren. Ein starker Wille hin zu einer vermeintlichen Unabhängigkeit präge viele Menschen dieser Tage. Das freilich widerspreche dem geforderten Sich-Einfügen in die Gemeinschaft, den Ritus, die Abläufe.
Als eine Art christliche Elite mag man sich indessen nicht sehen im Kloster. Es sei ein Weg des Christseins unter vielen möglichen, meint Schwester Evamaria. Jeder habe Begabungen, so mancher eben auch spezielle Berufungen. Die seien vielfältig: Die einen handeln karitativ durch den direkten Dienst am Nächsten, andere arbeiten seelsorgerlich – und wiederum andere sehen ihren Dienst für Gott und die Mitmenschen im Gebet. Die einen seien katholisch, die anderen evangelisch, freikirchlich, orthodox. Es gelte, den eigenen Posten in einem Leben für Christus zu finden – und die gestellten Aufgaben zu erfüllen, mit Gottes Hilfe. Dabei könne es immer wieder mal „Wüstenzeiten“geben, wie es die Schwester nennt. Zeiten, die anstrengend seien, auch in der Gemeinschaft. „Es ist wie in jeder Familie.“Gesprochen wird nicht viel. Schweigen – das sei oft sinnvoller im Leben als reden. „Es schafft oft mehr Gemeinschaft“, ist sich Evamaria sogar sicher. Und die Stille erzeuge ein ganz anderes Authentisch-Sein. Sie schaffe Raum zum Beten – für die Welt drinnen und draußen gleichermaßen.