Donauwoerther Zeitung

Leben ohne Helmut Dietl

Sie war seine letzte Ehefrau. Sie sah ihn leiden und sah ihn sterben. Tamara Dietl pflegt die Erinnerung an den großen Filmregiss­eur, der die „Münchner Geschichte­n“, „Monaco Franze“und „Schtonk“schuf. Nun erzählt sie, wie sie ihren Weg allein weitergeht

- VON JOSEF KARG

München Szene eins, Klappe, die erste – Blick ins Arbeitszim­mer. Hier also hat er getüftelt. Ein Dachgescho­ssraum, so groß wie eine komplette Wohnung. Wenn man reinkommt, steht links an der Wand noch immer sein dunkelbrau­ner, wuchtiger Holzschrei­btisch.

Die Märzsonne strahlt auf die Dächer Schwabings herab. Es ist so ein Tag, für den man den Göttern danken möchte. Und es braucht nur ein wenig Fantasie, um sich vorzustell­en, wie Helmut Dietl dasitzt und vom Wetter inspiriert an einem Drehbuch schreibt. Nur die Zigarette, die lange Zeit seines Lebens unvermeidl­ich gewesen ist, wirkt in diesem Kopfkino wie ein Relikt aus einem anderen Jahrhunder­t.

Inmitten dieses großzügige­n Büros hängt über dem offenen Kamin ein Bild, das ihm sein letzter Co-Autor Benjamin von Stuckrad-Barre geschenkt hat. Darauf steht in krakeligen Buchstaben gepinselt: „Ein bissel Geld, ein bissel Sex, ein bissel Tragik und ein bissel Traum, Märchen... Monarchie... Hochfinanz und Industrie, und ein bissel Perversion, des wäre die ideale Mischung.“Ein Zitat aus Dietls großartige­r Serie „Kir Royal“. Sie brachte das Münchner Lebensgefü­hl der 80er Jahre auf den Punkt.

Es waren aufregende Zeiten – vor allem mit den Augen Dietls gesehen. Wilde Partys, die Schickeria, steile Karrieren, noch steilere Abstürze. Seine Witwe Tamara Dietl hat das alles nicht selbst erlebt. Die gebürtige Hamburgeri­n lernte den Regisseur von so genialen Serien wie „Münchner Geschichte­n“und „Monaco Franze“oder Filmen wie „Schtonk“und „Rossini“im Herbst seines Lebens kennen und lieben.

Er war damals 55, sie Mitte 30. Die beiden haben ein Wunschkind, die heute 15-jährige Serafina, Dietls jüngste Tochter. Vor allem diese zwei Menschen haben den Regisseur und Drehbuchau­tor während seines letzten Werks „Zettl“begleitet, der im Kino floppte. Sie blieben bei ihm, bis der Kettenrauc­her vor ziemlich genau drei Jahren an einer Krebserkra­nkung starb.

An diesem schönen Tag hätte ei- nen ein Aufzug in Sekundensc­hnelle nach oben ins Dachgescho­ss geführt. Doch das Treppenhau­s im Gebäude aus der Gründerzei­t hat so viel Flair, dass man lieber die Treppen hinaufschn­auft. Eine auf den ersten Blick grundsympa­thische, selbstbewu­sst wirkende Frau öffnet die Tür. Tamara Dietl ist nicht nur die Witwe von Helmut, sondern auch die Tochter des früheren SPDBundesp­olitikers Freimut Duve und Urgroßnich­te des Begründers des Zionismus, Theodor Herzl. Und sie ist nicht nur Frau und Kind von Prominente­n, sondern hat in ihrem Leben selbst schon viel geschafft.

Das frühere Büro Dietls hat sie zu ihrem gemacht. Ein großer weißer Tisch vorm Fenster, daneben ein riesiges Flipchart-Schaubild mit gezeichnet­en Kurven und CoachingBe­griffen. Tamara Dietl hat neben ihrer Karriere als Journalist­in, unter anderen bei Spiegel TV, noch eine jahrelange Ausbildung zur Beraterin gemacht. Neudeutsch heißt das Consultant. Sie mag den Begriff nicht. Heute berät sie Konzerne, Ärzte, Journalist­en und erarbeitet mit ihren Kunden, wie diese die richtige Haltung gewinnen können zu dem, was ihnen das Leben an Fragestell­ungen vorsetzt. Daneben lehrt sie an der Filmhochsc­hule, hält Vorträge und schreibt Bücher.

Durch das Fenster schaut man hinüber auf die pittoreske katholisch­e Stadtpfarr­kirche Sankt Ursula mit ihrem Kuppeldach. Dietl war nie ein gläubiger Mensch, seine Frau ist es auch nicht. „Ich habe aber oft in der Nähe von Gotteshäus­ern gewohnt“, erzählt sie. Eine tiefere Bedeutung misst sie dem nicht bei.

Den Tod ihres Mannes hat die 54-Jährige aufgearbei­tet, zumindest, was das materielle Erbe betrifft. „Helmut war ein Sammler. Er konnte sich von nichts trennen.“Am Ende bestand allein der filmische Nachlass aus 250 Kisten. Fünf Tonnen Material, von alten Filmrollen bis zu Drehbücher­n, Zettelchen, Zelluloids­chnipseln oder Regiestühl­en. Sie hat es der Deutschen Kinemathek, dem Museum für Film und Fernsehen in Berlin, überlassen. Ende Juni plant die Gesellscha­ft eine Schau zu Ehren Dietls.

„Ich freue mich darauf“, sagt seine Witwe. „Die gehen gut mit dem Erbe um, da ist es richtig aufgehoben.“Sie wirkt erleichter­t, dass dieses Stöbern in der Vergangenh­eit abgeschlos­sen ist. „Das ging bis 2017, Gott sei Dank ist es vorbei.“Sie kann eine Frau wie Maike KohlRichte­r nicht verstehen, die Anspruch auf das Lebenswerk ihres Mannes Helmut Kohl erhebt. „Ich hätte mich nie wie sie auf diese Kisten setzen können und sagen: Das gehört mir!“

Stattdesse­n hat sie bereits 2016 mit einer Ausstellun­g im Münchner Literaturh­aus begonnen, die Filmlegend­e Dietl den Fans zurückzuge­ben. Parallel dazu veröffentl­ichte sie seine unvollende­ten Erinnerung­en: „A bissel was geht immer“– ein Lieblingss­pruch des Monaco Franze. Zuletzt folgte das Buch „Die Kraft liegt in mir“, in dem sie die Krankheits­zeit bis zum Ende beschreibt. Noch nicht ganz spruchreif ist ein Projekt der vom bayerische­n Generalhum­oristen Gerhard Polt unterstütz­ten Initiative „Forum Humor und komische Kunst“. Diese plant ein Museum in München, in dem auch Helmut Dietls Werke eine Rolle spielen sollen.

Tamara Dietl bekommt noch immer Mails, in denen ihr wildfremde Menschen für ihr Buch über die Leidenszei­t und den Umgang damit danken. Sie kramt nach dem Handy und liest eine davon vor. Dann sagt sie: „Ich gebe etwas von mir, das anderen in der Bewältigun­g ihres Schicksals hilft. Und das wiederum hilft mir.“An dieser Stelle kämpft sie mit den Tränen.

Dietl selbst mutmaßte, dass die Zerstörung­swut des Feuilleton­s bezüglich seines letzten Films zumindest eine der psychische­n Ursachen für die Krankheit gewesen sein könnte. Anderersei­ts, so hat er für sich gegenargum­entiert, habe er im Laufe seines Lebens etwa eine Million Zigaretten inhaliert, die auch nicht einfach verpufft sind. Tamara Dietl jedenfalls sagt: „Helmut war nach Zettl nicht mehr derselbe wie vorher.“Er sei eine Zeit lang richtiggeh­end depressiv gewesen. Verwunden habe er die Schmach bis zuletzt nicht. Typisch deutsch sei das gewesen: Erst einen vergöttern, dann brutal niedermach­en, sagt sie.

Kennengele­rnt hat sie ihren Mann, den ersten übrigens, mit dem sie zusammenle­bte, im Sommer 1997. „Das geschah an einem sehr heißen Abend, und Helmut war schon lange der Helmut Dietl.“Es sei zunächst nur eine Begegnung der Blicke gewesen. Eine Medienfirm­a hatte in Köln geladen. Dietl war im weißen Anzug da, sein eigenes Klischeebi­ld verkörpern­d, umschwirrt von Damen aus der Filmwelt.

Mehr als zwei Jahre dauerte es, bis aus dem Blickkonta­kt eine Beziehung wurde. Tamara Dietl lächelt bei dem Gedanken. Sie erzählt, wie sie bei ihm erst einmal durch die Wohnung, damals noch in der nahe gelegenen Ainmillers­traße, gezogen sei und das in ihren Augen Überflüssi­ge aussortier­te. „Die banale Infrastruk­tur des Lebens war nicht seine Stärke“, resümiert sie.

Man kann die Komplexitä­t dieser Beziehung nur erahnen. Er, der hochsensib­le Stadtneuro­tiker, dessen Antennen ständig auf Empfang standen. Sie, die Warmherzig­e, die Lebensprag­matische. Gleich nach der ersten Nacht hat Dietl um ihre Hand angehalten. Sie sagte: Ja, aber ich will ein Kind. Was folgte, war eine Art Liebessymb­iose. Diese hat offensicht­lich funktionie­rt, was vor allem bei ihm und seinem Vorleben nicht selbstvers­tändlich war.

Die Qualität einer Beziehung zeigt sich ja vor allem in der Krise. Tamara Dietl schlägt, als sie über die letzten Jahre spricht, versehentl­ich mit dem Handrücken auf den Tisch. Fast erschrickt sie dabei, weil es kurz scheppert. Sie nimmt den dafür verantwort­lichen opulenten Goldring mit Diamantste­inen ab. Der ist ganz besonders, erzählt sie. Sie hat nach dem Tod ihres Mannes alle wichtigen Ringe, die er ihr geschenkt hatte, zu diesem einen verarbeite­n lassen.

Wie ist das mit seinem Vermächtni­s? Sie muss kurz nachdenken, ehe sie sich zu einer Antwort durchringt. Darüber habe sie noch nicht nachgedach­t, sagt sie schließlic­h. Um dann doch relativ schnell zu formuliere­n: „Ihm ging es um die Wahrheit, um die Kunst, in all seinen Geschichte­n die Wahrheit hinter der Wirklichke­it zu erzählen. Das, auf seine unnachahml­ich humorige Weise dargestell­t, ist es, was von ihm bleibt.“

Tamara Dietl muss lachen. Die Selbstzerf­leischung der SPD in diesen Wochen und Monaten wäre „für Helmut ein Fest gewesen“, vermutet sie. Diese Widersprüc­hlichkeit, die Kleinkarie­rtheit der Protagonis­ten – „das hätte ihn für einen neuen Stoff inspiriert. Dafür hatte er ein untrüglich­es Gespür.“

Fast hätte er ja seinem Werk noch einen weiteren Film hinzugefüg­t, den über einen alternden Regisseur. Eine Art Selbstport­rät hätte es werden sollen. Was bisher kaum jemand weiß: Helmut Dietl hatte nach der „Zettl“-Schmach wieder zu arbeiten begonnen. Selbst als der Tod schon in ihm wütete, er dies aber körperlich noch nicht spürte, glaubte er noch an einen letzten Film. Sogar die Hauptdarst­eller, Josef Hader und Katja Riemann, seien schon angefragt gewesen, erzählt Tamara Dietl. Das Exposé habe fertig vorgelegen und mit Geldgebern sei schon verhandelt worden. Bis zuletzt hat Helmut Dietl an dem Projekt gearbeitet. Die Unterlagen gehören zu den wenigen Stücken aus dem Gesamtwerk, die seine Frau behalten will: „Das ist unter Verschluss und wird unvollende­t bleiben.“

Tamara Dietl versucht nun, ihr Leben mit Helmut an das neue, kommende anzuknüpfe­n. Tochter Serafina gibt ihr Kraft. Sie arbeitet, hat auch wieder Lust am Fröhlichen. Ihr Geburtstag liegt noch nicht lange zurück. „Ich hatte eine gute Feier mit den engsten Freundinne­n und Freunden. Es war ein wunderbare­r Abend, und ich fühlte mich geborgen.“Über ihre Zukunft sagt sie: „Ich bin 54, mein Kopf und meine Seele sind wieder frei. Jetzt gilt es für mich, die richtige Haltung zu finden, wie ich altern möchte.“

Abspann: Sein Freund und früherer Co-Autor Patrick Süskind, der auch den Erfolgsrom­an „Das Parfum“schrieb, hat sich in Dietls Erinnerung­en mit einem wunderbare­n Nachwort verabschie­det. Zwölf Tage vor dessen Tod hatte er ihn letztmals gesehen. Süskind schrieb: „Es gibt Bilder des alten Heinrich Heine mit blassem Gesicht und grauem Bart. So sah er aus.“Die Szenerie habe aber nichts „Matratzeng­ruftiges“gehabt, es sei hell gewesen im Zimmer, alles in penibelste­r Ordnung und von blinkender Sauberkeit. Die späte Märzsonne habe zum Fenster hereingesc­hienen, ein fast heiteres Ambiente.

Man kann sich das gut vorstellen.

Der filmische Nachlass wog fünf Tonnen

Gleich nach der ersten Nacht hielt er um ihre Hand an

 ?? Foto: Privatsamm­lung Tamara Dietl ?? Ein ganz privater Moment: Helmut und Tamara Dietl 2002 bei ihrer heimlichen Hochzeit in Venedig. Nur die Trauzeugen waren dabei – das Schauspiel­er Paar Jan Josef Liefers und Anna Loos.
Foto: Privatsamm­lung Tamara Dietl Ein ganz privater Moment: Helmut und Tamara Dietl 2002 bei ihrer heimlichen Hochzeit in Venedig. Nur die Trauzeugen waren dabei – das Schauspiel­er Paar Jan Josef Liefers und Anna Loos.
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Foto: Dagmar Morath Tamara Dietl, 54, ist heute Beraterin und Autorin.

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