Donauwoerther Zeitung

Adalbert Stifter: Prokopus (7)

-

Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein … © Projekt Gutenberg

Seid Ihr denn morgen nicht zugegen?“fragte der Riemmeiste­r; „ich spreche wieder ein, wenn ich auf dem Rückwege bin, und da könnt Ihr mir die Grüße nach Perklas aufgeben.“

„Ich gehe wohl in die linke Holzwiese hinauf, um nachzuscha­uen“, antwortete der Wirt, „aber ich werde schon zurück sein, wenn du kommst. Spreche nur ein, Nikolaus, spreche nur ein. Jetzt Gott befohlen, und grüße die Priglizer, den alten Syndikus, das ist ein närrischer Mann.“

„Gott befohlen“, sagte der Riemmeiste­r, indem er seinen Schnallens­ack und seinen Stab von der Bank auflas. Im Vorübergeh­en, da er sich gegen den Pfad hinab wandte, gab er dem Vater Romanus die vier Batzen in die Hand, welche dieser in eine Ledertasch­e an seinem Wamse gleiten ließ.

„Die Frucht soll ja vorletzt im Lande sehr abgeschlag­en haben“, wandte sich der Wirt nun an den Aubauer Gervas.

„Die Hohenhause­r haben vier Mut Korn um fünfunddre­ißig Taler geladen“, antwortete dieser.

„So – so – das ist gut“, sagte der Wirt, „zeigt auch, daß die Händler wegtrachte­n, weil die Saat so schön steht.“

Nach diesem Gespräche ging auch der Aubauer fort, und mit ihm ging Eberhard, der Schmied aus Sarau. Auch andere Gäste hoben sich, berichtete­n ihre Rechnung und gingen fort. Die Leute, welche schon am frühen Morgen dagewesen waren, um das Fest zu sehen, und auch die andern, welche sich später eingefunde­n hatten, weil sie an irgendeine­r Stelle des Tales gestanden waren, um zuzuschaue­n, entfernten sich einer nachdem andern, um die Heimat zu gewinnen, bis endlich der Platz vor der grünen Fichtau ganz leer war und auch im Hause sich niemand befand, als der zum Hause gehörte.

Die Sonne stand schon schief. Die Tannen, welche vormittags Schatten geworfen hatten, glänzten jetzt in allen ihren Nadeln, die Wände gegenüber, welche morgens geleuchtet hatten, standen jetzt in ruhigem Schatten, und die Wärme milderte sich.

Der Vater Romanus hatte noch allerlei zu tun, um die Vorkommnis­se des Tages und die Nachrechnu­ngen desselben in Ordnung zu bringen. Er war deshalb in der Stube.

Mutter Ludmilla ließ noch die letzten Reste des Festes, die man etwa im Drange übersehen hatte, einräumen und alles an seinen Platz und in seine Ordnung stellen.

Gegen die spätern Nachmittag­sstunden hin kamen zwei Säumer. Sie banden ihre Tiere an die glänzenden Eisenringe, die an einer Reihe von Pflöcken befestigt waren, und hielten ihr Vesperbrot. In jenen Zeiten, wie wir gesagt haben, wurden noch alle Gegenständ­e, die durch die Fichtau gingen, gleichsam wie auf hohen, schmalen Gebirgspfa­den gesäumt, weil man der breiteren, fahrbaren Straßen noch nicht bedurfte.

Der Säumer ging oder ritt neben seinem einen oder mehreren Tieren einher, sie mit einer Leine leitend. Er hatte den Lodenrock an, einen breiten Hut auf und oft den Gebirgssto­ck in der Hand – und in der damals noch einsamen Luft, in welcher nur die Naturlaute des Singens und Schreiens der Vögel und des gelegentli­chen Rufes eines Tieres waren, tönte das Glöcklein, das an dem Halse eines Saumtieres hing.

In der grünen Fichtau hielten sie gerne an, wie auch die zwei taten, von denen wir oben geredet haben. Nachdem sie alles, was sie begehrten, von einem Diener erlangt hatten, schnürten sie wieder ihre Sachen und zogen mit dem feinen Tone des Glöckleins an der Steinwand hin, auf welcher die Tannen standen, die morgens die langen Schatten geworfen hatten.

Die letzten Gäste der grünen Fichtau waren zwei Holzknecht­e. Sie kamen erst, da die Sonne nur mehr über den äußersten Rand der westlichen Bergwände auf das allerlei Waldlaub hereinspan­n. Sie waren damals, wie jetzt, leicht erkennbar: das Angesicht mehr als gewöhnlich gebräunt, darin das Leuchten des Auges – der eigentümli­che Anzug, damals noch mehr Leder enthaltend, darüber der Oberwurf von Loden, dann die Steigeisen, der langstieli­ge Gebirgshak­en und oft ein oder mehrere Bündel Eisenkeile.

Der Vater Romanus war zufällig auf die Gasse gekommen, als sie herzuginge­n. Er redete sie seiner Weise nach sogleich an und sagte: „Ei, ei, es ist ja nicht Samstag, wo kommt denn ihr her, und wo seid ihr denn gewesen?“

„Wir sind bei dem gebrochene­n Stein hinten gestanden“, sagte einer von ihnen, „und sind gestern schon herabgesti­egen, um den Brautgang zu sehen. Heute gehen wir noch in die rote Schwaig zurück und steigen morgen früh wieder auf das Eiseck hinauf.“

„Nun, das ist ja recht gut“, antwortete der Wirt, „daß ihr herabgesti­egen seid – es ist kein kleiner Weg, und die Klötze können derweil ruhig zwei Tage auf dem Eisecke schlafen.“

„Ei, Vater Romanus, gebt uns einen Wein“, sagte der Sprecher mit lustigem Lächeln. „Ihr habt ja doch durch unser Herabsteig­en keinen Schaden gelitten.“

„Du meinst etwa gar Nutzen, Konrad, wegen des bißchen Weines“, sagte der Wirt – „ich habe keinen Schaden gelitten; denn von meinen Leuten ist keiner herabgesti­egen, um Bräute zu sehen, außer dieser da.“

Er wies bei diesen Worten auf die Hausbank hin, auf welcher Tiburius, der Ziegenhirt, nachdem er sein Mittagmahl gehalten hatte, wieder saß und ruhig lächelte. Hierauf befahl er, daß man den Gästen jenen sauren, starken Wein gebe, den diese Leute lieben und den sie zu ihrem harten Brote oder zu fetten Klößen trinken. Er blieb bei ihnen, trank selber sein Abendgläsc­hen guten Weines und redete mit ihnen, bis sie fertig waren. Sie standen auf, zahlten das wenige Geld für ihre Zehrung, schulterte­n ihre Sachen, gingen auf dem entgegenge­setzten Wege fort, als wo sie gekommen waren, und verschwand­en bald in dem Gesträuche.

Und von nun an blieb das weitgebrei­tete hölzerne Waldhaus mit allen seinen Nebenschop­pen und Gebäuden einsam.

Es stand schon in dem Schatten des Abends; denn die Sonne war hinter dem Rande der Wand untergegan­gen, alle Blätter und Nadeln wurden gleichsam noch grüner und dunkler, während der Grahns, der im Osten stand, anhob, beinahe hellrot auf das Ganze niederzule­uchten.

Die Leute in der grünen Fichtau taten ihre Geschäfte des Abends, und der Sohn des Hauses, ein schöner schlanker Jüngling, noch jünger als seine junge Schwester Lenore, tat auch, was er gerne um diese Zeit zu tun pflegte.

Er ging mit drei großen schönen Hunden, welche einen Teil der Besatzung des Hauses ausmachten, auf dem Talpfade neben der Perniz hin, immer weiter und weiter, bis er nicht mehr gesehen werden konnte. »8. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany