Donauwoerther Zeitung

Egal, welche Jahreszeit: Sie ist immer gut

Andrea Eskau ist Sommer- wie Winterspor­tlerin gleicherma­ßen. In Pyeongchan­g darf sie heute die Fahne ins Stadion tragen. Dem Rummel um ihre Person kann sie wenig abgewinnen

- VON RONNY BLASCHKE

Pyeongchan­g Als von allen Seiten die Kompliment­e über sie hereinbrac­hen, wirkte Andrea Eskau ein wenig verlegen. „Das ist eine große Ehre“, sagte sie über die Nachricht, die deutschen Paralympie­r als Fahnenträg­erin ins Stadion von Pyeongchan­g führen zu dürfen. Doch schon im nächsten Moment erweiterte sie die Perspektiv­e: „Es gibt eine große persönlich­e Beziehung zur Mannschaft. Alle haben die Chance, hier Großes zu leisten.“Das Wort „Ich“kommt in ihren Erzählunge­n nicht allzu oft vor.

Kaum jemand in der Geschichte des deutschen Behinderte­nsports hat aus so begrenzten Möglichkei­ten so viel Erfolg geschöpft wie Andrea Eskau. Ob Sommer oder Winter, ob auf dem Handbike, im Biathlon oder als Langläufer­in: Eskau ist die Jahreszeit­en-Springerin schlechthi­n, mit neun paralympis­chen Medaillen, davon sechs in Gold, und zehn WM-Titeln. Es dürften noch einige dazukommen. Eskau nimmt an sieben Wettbewerb­en teil.

Mit 27 Jahren hatte Andrea Eskau einen Fahrradstu­rz, seitdem ist die heute 46-Jährige querschnit­tsgelähmt. Sport war ein zentraler Teil ihres Lebens, vor dem Unfall und danach. Wenn sie ihre Ideale des Sportes beschreibt, wirkt sie fast ein wenig aus der Zeit gefallen. Die Sprecherin des Behinderte­nsportverb­andes muss sie zu Interviews mitunter überreden. Eskau nimmt ungern an Ehrungen oder Sponsoren-Veranstalt­ungen teil: „Ich komme aus dem Osten. Wir haben Sport aus Spaß getrieben, wir wollten uns vergleiche­n. Ich liebe die Bewegung und bin gern draußen. Ich achte nicht so sehr auf die Vermarktun­g.“

Leistungss­port als Selbstverw­irklichung – diese Haltung muss man sich auch erst einmal leisten können. „Wenn ich vom Sport leben müsste, wäre mein Modell kaum möglich. Wenn Athleten nur durch Medaillen ihre Miete zahlen können, wie weit würden sie dann für den Erfolg gehen?“

Eskau kann Sport und Beruf aufeinande­r abstimmen. Im Bundesinst­itut für Sportwisse­nschaft kümmert sie sich um Forschunge­n im Behinderte­nsport.

Dieses Modell ist ein Beleg für die wachsende Profession­alisierung. Doch bislang können nur wenige Athleten unter solchen Bedingunge­n trainieren. 41 sind im Topteam, darunter sieben Winterspor­tler mit Medaillenc­hancen. Sie erhalten wie Eskau monatlich 500 Euro und eine berufsbezo­gene Unterstütz­ung. In Sotschi 2014 errangen aus dem Topteam vier Athletinne­n zwölf der 15 Medaillen.

Lange wurde die Debatte anhand der Prämien geführt. Seit 2014 erhalten Paralympie­r für Gold die gleiche Summe wie ihre olympische­n Kollegen: 20000 Euro. Doch ein ganzheitli­cher Blick würde sich auch auf das Fundament richten. So war eine Aufnahme in die Sportförde­rgruppe der Bundeswehr für die Behinderte­nsportler nicht möglich, ihnen kann der Soldatenst­atus nicht erteilt werden.

Dennoch hat der DBS im April 2017 eine neue Förderkoop­eration mit drei Bundesmini­sterien begonnen. 21 Paralympie­r erhalten pro Monat bis zu 2500 Euro. Die alpinen Skisportle­rinnen Anna-Lena Forster, Andrea Rothfuss und Anna Schaffelhu­ber sind beim Zoll angegliede­rt, das dem Finanzmini­sterium untersteht.

Man kann in Deutschlan­d darüber streiten, wie viel Steuergeld eine Goldmedail­le wert ist, doch Friedhelm Julius Beucher möchte vor allem die Wurzeln stärken. „Oft werden Talente durch Zufall entdeckt“, sagt der Präsident des Deutschen Behinderte­nsportverb­andes. Manchmal ist ihnen der technikint­ensive Sport schlicht zu teuer. „Wir brauchen aber Vorbilder für unsere Basis.“

Zum Beispiel Andrea Eskau. Nach Pyeongchan­g richtet sie ihren Fokus auf Tokio, den Gastgeber der Sommerspie­le 2020. „Man kann nicht zur gleichen Zeit in beiden Sportarten top sein.“Fürs Handbike muss sie wieder mehr auf Ausdauer achten. Und auf bestimmte Muskeln, denn die sind im Moment noch im Wintermodu­s.

 ?? Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa ?? Stolz zeigt Andrea Eskau ihre Akkreditie­rung für die Eröffnungs­feier der Paralympic­s. Die 46 Jährige trägt die deutsche Fahne.
Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa Stolz zeigt Andrea Eskau ihre Akkreditie­rung für die Eröffnungs­feier der Paralympic­s. Die 46 Jährige trägt die deutsche Fahne.

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