Donauwoerther Zeitung

Ein Leben geht zu Bruch

Der Schriftste­ller Ulrich Alexander Boschwitz starb 1942 im Exil unter tragischen Umständen. Sein Zeitgeschi­chts-Roman „Der Reisende“ist jetzt erstmals auf Deutsch zu lesen

- VON ROLAND MISCHKE

Er war voller Hoffnung, als er den Dampfer bestieg, voller Zuversicht auf den Durchbruch seines überarbeit­eten Romans. Ulrich Alexander Boschwitz hatte ihn 1938 wie in einem Rausch in vier Wochen geschriebe­n, 1939 erschien er in London unter dem Titel „The Man Who Took Trains“. Doch die Erstfassun­g gefiel dem Autor dann doch nicht ganz, er überarbeit­ete das Manuskript gründlich. Boschwitz hatte seiner in Großbritan­nien lebenden Mutter die ersten 109 Seiten der Neufassung geschickt, er schrieb ihr, dass er glaube, „dass in diesem Buch etwas steckt, was es zu einem Erfolg machen wird“.

Die Zusendung hat die Mutter vermutlich nie erreicht. Und auch der Autor, in der Nazi-Termologie ein Halbjude, schaffte es nicht mehr auf die britische Insel. Er war einer von 43 Emigranten, die nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von England, wohin er mit seiner Mutter geflohen war, nach Australien deportiert wurde. 1942 durfte er zurück, er wollte freiwillig in den Kriegsdien­st für sein Gastland eintreten. Am 29. Oktober dieses Jahres aber wurde das Schiff mit Namen „Abosso“700 Seemeilen nordwestli­ch der Azoren von einem deutschen U-Boot torpediert. Von den rund 400 Passagiere­n überlebten 30, auch Ulrich Alexander Boschwitz verlor sein Leben, als das Schiff „in wenigen Minuten“sank. Er wurde 27 Jahre alt.

Der Berliner Verleger Peter Graf, ein Spezialist auf dem Gebiet literarisc­her Funde, hat das Buch wiederentd­eckt. Aus Israel hatte er einen Tipp bekommen, im Deutschen Exilarchiv fand sich das Typoskript des Romans. Schon Heinrich Böll soll das Buch gekannt haben, angeblich versuchte er, einen deutschen Verlag zur Veröffentl­ichung zu bewegen, jedoch vergeblich. 76 Jahre nach Boschwitz’ Tod ist „Der Reisende“nun in einer Neubearbei­tung endlich als deutsche Erstveröff­entlichung erschienen.

Erzählt wird die Geschichte eines jüdischen Kaufmanns, der nach der Reichspogr­omnacht in Berlin alles verloren hat. Otto Silbermann steht beispielha­ft für alle jüdischen Geschäftsi­nhaber, denen ihr Eigentum weggenomme­n wurde und die sich infolge der lebensbedr­ohenden Ereignisse auf eine Odyssee durch Europa begaben, um zu überleben. Denn kaum jemand wollte ihnen eine neue Heimat gewähren.

Boschwitz beschreibt in „Der Reisende“das unstete Leben auf der Flucht. Er selbst verließ mit seiner Mutter, die einer Lübecker Senatorenf­amilie entstammte, seine Heimatstad­t Berlin. Erst ging es nach Schweden, dann nach Norwegen, schließlic­h Richtung England. Grund für die Flucht soll gewesen sein, dass Boschwitz 1935 einen Musterungs­befehl für die Wehrmacht erhalten hatte. Sein Vater war bereits 1915 gestorben, kurz vor der Geburt seines Sohnes. Dieser Vater könnte hinter der Figur des Otto Silbermann im Roman stehen. Ulrich Alexander Boschwitz soll in privaten Aufzeichnu­ngen immer wieder über seinen toten Vater geschriebe­n haben.

Der Roman erzählt von jenem November 1938, als überall im Land Synagogen und jüdische Geschäfte angezündet wurden. Silbermann war, wie viele deutsche Juden, ein Patriot, er hatte im Ersten Weltkrieg aufseiten der Deutschen gekämpft. Nun muss er aber erkennen: „Mir ist der Krieg erklärt worden, mir persönlich.“Sein „arischer“Teilhaber drängt ihn aus der Firma, mit dem Erlös seiner Firmenante­ile in einer Aktentasch­e sitzt Silbermann im Zug nach Belgien, kommt dort aber nie an. An der Grenze wird ihm die Einreise verweigert mit den Worten: „Es können nicht alle nach Belgien kommen!“Als ihm seine Aktentasch­e gestohlen wird, will er den Diebstahl des Geldes bei der Polizei anzeigen – und wird zeitweise verhaftet, man droht ihm sogar mit dem KZ.

Wie Boschwitz, dessen Flucht auch über Frankreich, Belgien und Luxemburg erfolgte, wird auch Otto Silbermann mit dem eingestemp­elten „J“in seinem Reisepass zum Nomaden, der ängstlich auf Bahnsteige­n und in Zugabteile­n hockt. Gestapoleu­te waren überall, und Deutsche wandten sich von Juden rigoros ab, auch wenn sie mit ihnen lange verbunden waren. Grotesk ist, dass erst durch die Nürnberger Gesetze die Hauptfigur und ihr Autor erfahren, dass sie jüdisch sind. Boschwitz war christlich erzogen worden, ein verträumte­r Heranwachs­ender, der unbedingt Schriftste­ller werden wollte.

„Der Reisende“ist ein Zeitdokume­nt, im Stil überarbeit­et vom Herausgebe­r Peter Graf. Einer, der dabei war, hat da geschilder­t, wie es wirklich war.

Ein Patriot wird zum Außenseite­r gestempelt

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Foto: picture alliance Die Reichspogr­omnacht im November 1938 in Berlin ist auch im Roman „Der Reisende“ein folgenreic­hes Ereignis.
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» Ulrich Alexander Boschwitz: Der Rei sende. Herausgege­ben von Peter Graf. Klett Cotta, 303 S., 20 €

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