Zeit zu gehen
Sabine Postel hat „Tatort“-Geschichte geschrieben. Seit über 20 Jahren ist sie Kommissarin Inga Lürsen. Nächstes Jahr ist damit Schluss. Warum sie die Rolle nicht länger spielen will und was sie an der Krimi-Reihe stört
Frau Postel, seit mehr als 20 Jahren ermitteln Sie im „Tatort“aus Bremen und kommen als Kommissarin Inga Lürsen zu Millionen Menschen regelmäßig ins Wohnzimmer. Sehen Sie selber sonntags auch den „Tatort“? Sabine Postel: Ich weiß, das klingt jetzt wirklich wahnsinnig spießig, aber wenn ich nicht gerade im Flugzeug oder im Zug sitze, weil ich am nächsten Tag drehen muss, bin ich ein sehr passionierter „Tatort“-Gucker. Gerne daheim, mit Freunden oder alleine.
Vor fast genau einem Jahr kündigten Sie Ihren Abschied von der Rolle an. Wurde Ihnen die Figur zu langweilig? Postel: Überhaupt nicht. Ich habe nur irgendwann gemerkt: Ich habe überhaupt keine Zeit, andere Angebote anzunehmen, die mich interessieren. Ich drehe für die Serie „Die Kanzlei“jedes Jahr sechs Monate am Stück, dazu kommen zwei „Tatorte“, das sind auch noch mal drei Monate. Ich weiß, das ist Jammern auf hohem Niveau, aber ich bin fit, ich bin gesund, ich bin regelrecht arbeitswütig – und solange das so ist, möchte ich auch noch andere Rollen spielen.
Einer Studie zufolge ist es für Schauspielerinnen ab einem gewissen Alter gar nicht so leicht, überhaupt noch Rollen zu finden …
Postel: Ab 45, 50 werden die Rollen weniger bei den Frauen, und das finde ich betrüblich. Ich selber befinde mich aber zum Glück in einer privilegierten Ausnahmesituation, und dafür bin ich sehr dankbar.
Tut Ihnen der Abschied vom „Tatort“nach all den Jahren denn gar nicht leid?
Postel: Natürlich bin ich ein bisschen traurig, aber die Entscheidung war richtig. Oliver Mommsen wollte ebenfalls aufhören, und das war für uns der Moment zu sagen: Wir gehen, wenn es am schönsten ist.
Sie haben 1997 Ihren ersten Fall als Bremer „Tatort“-Kommissarin gelöst und seitdem in 37 Folgen ermittelt. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Postel: Wir haben mit einem relativ kleinen Etat, verglichen mit dem anderer Sendeanstalten, eine gute Marke erarbeitet. Wir hatten sehr oft Themen, die sozialkritisch waren, wir haben oft den Finger in die Wunde gelegt. Deshalb mögen uns die Leute.
Lürsen war bei ihrem Start eine der ersten Ermittlerinnen in der „Tatort“-Geschichte. Sind Sie zufrieden damit, wie sie sich entwickelt hat? Postel: Die Figur hat sich gut entwickelt über die Jahre. Inga Lürsen war am Anfang ganz anders. Wenn ich manchmal Wiederholungen frü-
herer Fälle sehe, denke ich: Du liebe Zeit! Sie ist gereift in ihrem Job, auch einsamer geworden. Man hat ihr ein paar Liebhaber gegeben, die dann aber schnell das Zeitliche gesegnet haben. Ansonsten ist sie ein trauriger Don Quichotte: Sie glaubt an das Gute im Menschen und kämpft mit ihrer 68er-Vergangenheit für Gerechtigkeit. Das macht sie sehr liebenswert, finde ich, und deshalb ist sie auch so beliebt, wie ich gerade verstärkt erfahre.
Für Ihren und Mommsens Abschied hat der Programmdirektor von Radio Bremen ein furioses Finale angekündigt. Hätten Sie ein Problem damit, wenn Inga Lürsen in der letzten Folge, die nächstes Jahr ausgestrahlt wird, stirbt?
Postel: Momentan habe ich noch keine Ahnung, wie der letzte Fall aussehen wird, ob Stedefreund und Lürsen beide in die Luft fliegen oder nur einer. Aber ich finde es grundsätzlich toll, dass das Finale furios werden soll.
Wie bewerten Sie die generelle Ent-
wicklung der Krimireihe „Tatort“in den vergangenen Jahren?
Postel: Ich verfolge das intensiv und muss sagen: Manches verändert sich zum Guten, manches zum Schlechten. Ich freue mich, dass die „Tatorte“immer noch ein hohes Niveau haben, sowohl was die Bücher angeht als auch von der Besetzung. Schlecht finde ich, dass mittlerweile generell zu viele Krimis gezeigt werden. Das wird inflationär. Man blickt ja allmählich nicht mehr durch, und damit meine ich nicht nur den „Tatort“, sondern auch die ganzen Vorabendkrimis und so weiter. Ich merke, dass da bei mir und vielen Leuten, die ich kenne, eine Übersättigung eintritt.
Ist es also kein Ritterschlag mehr, „Tatort“-Kommissar zu werden? Postel: Von Ritterschlag kann man nicht mehr reden. Das liegt auch daran, dass jede Stadt einen eigenen „Tatort“haben möchte – dadurch verwässert das. Außerdem wurden zuletzt viele Teams ausgetauscht oder verändert.
Und das ist schlecht?
Postel: Die Zuschauer haben deshalb zunehmend Schwierigkeiten, an Ermittlerfiguren anzudocken. Ich glaube, darum bedauern auch so viele Leute, dass wir aufhören. Es ist doch schön, Charaktere zu sehen, mit denen man gealtert ist.
„Es werden mittlerweile zu viele Krimis gezeigt. Das wird inflationär.“Sabine Postel