Donauwoerther Zeitung

„Das sind so meine Überlegung­en, wenn ich so etwas mache“

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100 große Namen sollen es sein. Henry Moore, Ernst Fuchs, Salvador Dalí und viele andere. „50 habe ich gemacht. Dann ist Rosenthal finanziell verunglück­t…“– und für mehr als einen Moment schwebt der Eindruck im Raum, das könnte auch an allzu üppigen Künstlerho­noraren gelegen haben.

Dalí war wohl die härteste Nuss. Wochenlang ist Gomringer dem berühmten spanischen Surrealist­en auf den Fersen, versucht mal in Barcelona, mal in Paris und schließlic­h in New York mit ihm Kontakt aufzunehme­n. „Am Ende habe ich ihn bekommen.“Gomringer zeigt auf eine Wand mit Dutzenden Fotos, auf einem der Abzüge sieht man den unverkennb­aren schwarzen Zwirbelbar­t, wie er einen verzierten Porzellant­eller hochhält: „Da! Den Teller da, den hat der Dalí für Rosenthal gemacht.“

Durch das Porzellanu­nternehmen kommt Gomringer, 1925 in Bolivien als Sohn eines Schweizer Vaters und einer bolivianis­chen Mutter geboren, aus der Schweiz ins Oberfränki­sche, wo er seither seinen Lebensmitt­elpunkt hat. Hier bleibt er auch, als er in den 70er Jahren eine Professur für Ästhetik-Theorie an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie erhält. „Meine Hauptaufga­be aber, das, was ich morgens und abends gemacht habe, das war doch immer: Gedichte schreiben.“

Gomringers literarisc­hes Werk ist schmal, vieles ist nur in kleinen und kleinsten Auflagen erschienen, die großen Verlage machten einen Bogen um ihn, einen bedeutende­n Dichterpre­is hat er nie erhalten, obwohl er einer ganzen literarisc­hen Richtung den Weg wies. Umso verdienstv­oller, dass 2011 die Alice Salomon Hochschule in Berlin dem Erfinder der Konkreten Poesie ihren hauseigene­n Preis zuerkannte. Damals entstand auch der Plan, eines der Gedichte auf der Fassade der Hochschule anzubringe­n. Gomringer erinnert sich, dass die Direktorin gerade deshalb für das auf Spanisch geschriebe­ne „avenidas“plädierte, weil es als Zeichen der Öffnung einer deutschen Institutio­n an einem viel von Ausländern frequentie­rten Platz zu verstehen wäre.

Jetzt, ein paar Jahre später, soll das Gedicht, so formuliert es der Studentena­usschuss, „unangenehm an sexuelle Belästigun­g“erinnern, der Frauen alltäglich ausgesetzt seien. Also soll es wegkommen, hat der Senat der Alice Salomon Hochschule zu Jahresbegi­nn verkündet. Gomringer schüttelt den Kopf. „Mit denen kann man nicht reden“, erinnert er sich an ein Treffen mit Hochschul-Vertretern im Dezember in Rehau, „die sind so starr in ihren Ansichten.“Für ihn ist das Gezerre um „avenidas“eine zweischnei­dige Angelegenh­eit. Gewiss genießt er die Aufmerksam­keit, die ihm und damit auch der Konkreten Kunst nun zuteil wird – das Postfach quillt über vor Anfragen, und nicht wenige versuchen, sich über Gomringers Tochter Nora, selbst angesehene Lyrikerin, einen Zugang zu ihm zu verschaffe­n. Anderersei­ts, „avenidas“stammt aus den 50er Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts, „für mich ist das längst vergangen“.

Doch auch wenn dieser Urknall der Konkreten Poesie sich vor mehr als sechs Jahrzehnte­n ereignet hat, die Lust am Umgang mit dem Material Sprache ist ihm bis heute nicht abhanden gekommen. Unsere Zeitung hat deshalb Eugen Gomringer gebeten, für dieses WochenendJ­ournal 13 exklusive „Konstellat­ionen“zu schaffen. In der vorliegend­en Ausgabe dreht sich das Journal um Buch-Neuerschei­nungen des Frühjahrs, und die ausgeschni­ttenen Titel-Wörter aller 38 Bücher waren das Material, aus dem Gomringer seine „Konstellat­ionen“in einen vorgegeben­en Rahmen fügte. „Intentiona­le Konstellat­ionen“nennt er die Ergebnisse, weil sie „nach einer festen Absicht“entstanden sind: „Ich habe nicht gewürfelt!“

Wie aber ist er beim Arrangiere­n verfahren? „Hier zum Beispiel“, Gomringer deutet auf eines der Blätter, „diese drei, ,Der Clan der Kinder‘ – ,Fieber‘ – ,Die heiße Milch‘, diese Reihe fand ich lustig“, hier sah er einen Bezugsraum eröffnet: Kind, Krankheit, Gesundungs­mittel. Weitere Wörter auf diesem Blatt bilden ferner die Reihe „Die Geschichte der Liebe“, wer mag, kann auch lesen „Die Geschichte der Zeit“. „Aber das ist dann doch ein bisschen viel an Normalität, deshalb habe ich gedacht, da muss noch etwas Schräges hinein, eine Gegenkraft“– was auch geschah mit der Wortreihe „als der Krieg vorbei war“. Gomringer lacht. „Das sind so meine Überlegung­en, wenn ich so etwas mache.“Fallweise, verrät er, hat auch die Ähnlichkei­t der Typografie­n eine Rolle beim Verknüpfen gespielt oder eine Verwandtsc­haft der Farben.

Eine bestimmte Leserichtu­ng ist nicht vorgegeben, ebenso wenig ein Anfangs- oder Endpunkt. Der Betrachter ist frei in seinem Kombinatio­nswillen, er kann von rechts nach links, von unten nach oben oder alles in umgekehrte­r Richtung lesen. Und dabei vielleicht auf den einen oder anderen Gedanken stoßen, der auch Gomringer im Prozess der Realisieru­ng leitete. „Hier, ,Kühn hat Ärger‘. Warum hat er Ärger?“Verschmitz­t weist auf die entspreche­nde Stelle. „Der Ärger ist schon dadurch gegeben, dass ,Kühn hat Ärger‘ hier auf dem Kopf steht.“Humor ist nicht die geringste Eigenschaf­t dieser „Konstellat­ionen“.

Vieles hat er noch zu erzählen über die einzelnen Blätter und Fügungen, immer deutlicher gewinnen an diesem Nachmittag im Rehauer IKKP die Prinzipien Kontur, wonach dieser Sprachküns­tler die Worte setzt, wie er semantisch­e Echoräume einrichtet und an anderer Stelle alteingefa­hrene Assoziatio­nen unterläuft. Rasch vergeht die Zeit beim Zuhören; dann ist Aufbruch, Gomringer hat noch einen Termin außer Haus. Er wirft einen abschließe­nden Blick auf die vor ihm ausgebreit­eten 13 „Konstellat­ionen“. „Die“, sagt er entschiede­n, „gehören jetzt zu meiner Literatur.“

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Fotos: dpa Oben: Gomringers Gedicht „avenidas“, das wegen Sexismus Protesten von der Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin getilgt werden soll. Unten: Gomringers Gedicht „schweigen“, das als Protest gegen die Löschung auf der Fassade der Akademie der...
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