Endlich weg von der Mutter
Sofia begleitet ihre hypochondrische Mutter Rose in eine Spezialklinik nach Spanien, in der Hoffnung, deren gelähmten Beine mögen geheilt werden. Aber kann die Mutter wirklich nicht laufen oder täuscht sie die Krankheit nur vor, um die Tochter an sich zu binden?
Im Roman „Heiße Milch“entwirft die britische Schriftstellerin Deborah Levy eine Mutter-Tochter-Beziehung, die für beide Seiten lähmend ist. Bis sich die 25-jährige Sofia Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit ihrer Mutter befreit. Die studierte Anthropologin entdeckt ihre Sexualität neu, wagt Alleingänge und handelt selbst, anstatt nur zu beobachten. Der Roman brachte Levy 2016 eine Nominierung für den Booker-Prize ein. Dabei ist es weniger die Handlung, die das Buch auszeichnet, als vielmehr der poetische Sprachstil, der von starken Bildern durchzogen ist. Immer wieder tauchen Milchmotive zum Zeichen der Abhängigkeit zwischen Mutter und Kind auf und Quallen lassen sich wie die Protagonistin selbst durch das Meer treiben, um von Zeit zu Zeit lästige Touristen mit einem Stich abzuwehren. Levy jongliert mit Worten, dreht sie weiter und bettet sie in neue Sinnzusammenhänge. Davon geht auch in der deutschen Übersetzung von Barbara Schaden nichts verloren. Doch manche Bilder und Erzählstränge bleiben unklar. Dadurch wirkt der Roman an manchen Stellen unschlüssig und fast schon überladen an rätselhaften Symbolen. Trotzdem liest man weiter. Deborah Levy: Heiße Milch
Aus dem Englischen von Barbara Schaden, Kiepenheuer & Witsch,
288 S., 20 ¤
Nun also der vierte Band. Und wer ist noch mal Alfonso? Genau, schüchterner Sohn des Halsabschneiders Don Achille. Und Michele Solara, der CamorraBoss, mit wem war der noch mal liiert? War das nicht die Konditorentochter Gigliola? Was ist mit Carmen, Tankstellenwärterin, ihrem Bruder Pasquale, dem militanten Kommunisten, dessen Ex-Freundin Nadia, Bürgerstöchterlein im Untergrund… Kompliment, wer sich in der neapolitanischen Saga von Elena Ferrante nach hunderten Seiten noch mit allen Verstrickungen so gut auskennt, dass er nicht gelegentlich doch aufs Personenregister zurückgreifen muss. Im nun erschienenen letzten Band, „Die Geschichte des verlorenen Kindes“, gerät jedenfalls selbst die Ich-Erzählerin Elena Greco an ihre Grenzen. „Ich schreibe schon zu lange und bin müde, es wird immer schwerer, im Chaos der Jahre, der kleinen und großen Ereignisse und auch der Launen den roten Faden nicht zu verlieren“, klagt Elena, genannt Lenu, zu Beginn des Romans, bevor sie dann all diese Geschichten zum Ende führt. Immer streng entlang jedoch des roten Fadens: „Es geht immer nur um uns zwei.“Um Lenu und Lila, aufgewachsen in einem der ärmsten Viertel Neapels als Pförtnersund Schusterstochter, mittlerweile die berühmtesten Freundinnen der zeitgenössischen Literatur.
Der erste Band beschrieb so derart mitreißend die Entstehungsgeschichte dieser Freundschaft, dass sich der Hype ums Buch vielleicht auch ohne all den Rummel eingestellt hätte, auch ohne all die Mutmaßungen über die Autorin, die hinter dem Pseudonym steckt. Band zwei und drei dann ließ die beiden jungen Frauen auseinanderdriften, im vierten Band rücken sie wieder näher zusammen. Auch räumlich. Lenu, die erfolgreiche Schriftstellerin, hat sich von ihrem Ehemann, einem Universitätsprofessor aus einer einflussreichen Intellektuellenfamilie, getrennt und ist mit ihren zwei Töchtern von Florenz nach Neapel zurückgekehrt. Als Geliebte ihres Jugendschwarms Nino Sarratore, ein Windhund. Dass der verheiratet ist, nicht daran denkt, sich zu trennen, auch nach der Geburt der gemeinsamen Tochter, nimmt sie zumindest eine Zeit lang hin.
Und Lila? Die schillernde Freundin, hochbegabt, aber ohne Schulbildung: Auch ihr ist eine Flucht geglückt, die aus der Armut, mit ihrem Freund Enzo hat sie eine eigene kleine Computerfirma gegründet, über die Grenzen des Rione ist sie jedoch nicht hinausgekommen. Dafür gilt sie dort nun als Instanz, und als Einzige, die es mit den CamorraBrüdern Michele und Marcello noch aufzunehmen wagt. Bald wohnen die zwei Freundinnen wieder Tür an Tür. Die zwei Töchter wachsen gemeinsam auf, bis …
… ja bis. Der Leser weiß seit dem ersten Band, was dann geschehen wird. Erst verschwindet die kleine Tochter von Lila spurlos, womöglich ein Racheakt der Camorra, dann die Mutter selbst. Die vier Bände sind die Erinnerungsarbeit der Zurückgelassenen. Ein Liebesbeweis, um ihre Freundin vor dem letztendlichen Verschwinden zu bewahren. Ein letzter Versuch aber auch, die