Donauwoerther Zeitung

Was bleibt von Horst Seehofer?

Fast zehn Jahre lang hat der 68-Jährige Bayern regiert. Er führte die CSU wieder zur absoluten Mehrheit. Doch seine Partei jagte ihn aus dem Amt. Wo der Ingolstädt­er Erfolg hatte und wo er seinem Widersache­r Baustellen hinterläss­t

- VON ULI BACHMEIER

München Heute ist der dreitausen­dvierhunde­rtfünfundz­wanzigste Arbeitstag von Horst Seehofer als bayerische­r Ministerpr­äsident und zugleich sein letzter. Was wird über ihn dereinst in den Geschichts­büchern stehen? So genau weiß das niemand, weil heute niemand sagen kann, was den Historiker­n der Zukunft im Rückblick auf das frühe 21. Jahrhunder­t in Bayern wichtig sein wird. Offene Fragen freilich gibt es schon jetzt eine ganze Menge. Hier eine kleine Auswahl:

Wer hat es besser gemacht, Horst Seehofer (2008 bis 2018) oder Edmund Stoiber (1993 bis 2007)? Abwegig ist die Frage nicht. Seehofer nämlich hat alles Mögliche rückgängig gemacht, was Stoiber in Bayern eingeführt hatte: die 42-StundenWoc­he für Beamte, die Studiengeb­ühren, das achtjährig­e Gymnasium, die Stellenein­sparungen im Öffentlich­en Dienst. Stoiber wollte in wirtschaft­lich schwierige­r Zeit sparen, den Haushalt ausgeglich­en halten und den Staat schlanker machen. Seehofer hatte das Glück, dass die Konjunktur nach der Finanzkris­e 2008 mächtig an Fahrt aufnahm und der Boom bis heute anhält. Zwar trieb die Rettung der Landesbank die Schuldenla­st des Freistaats zu Beginn von Seehofers Regierungs­zeit um zehn Milliarden Euro in die Höhe. Danach aber konnte er aus dem Vollen schöpfen, ohne neue Schulden zu machen. Die Zahl der Polizisten, Lehrer und Beamten stieg wieder kräftig an. Auch deshalb konnte die CSU im Jahr 2013 die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag wieder zurückerob­ern. Die Staatsausg­aben kletterten von 38 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf 60 Milliarden Euro im Jahr 2018. Ob das zukunftsfe­st ist, wird sich erst zeigen, wenn es wirtschaft­lich mal wieder nicht so gut läuft. Aktuell verfügt der Freistaat über Reserven in Höhe von fünf Milliarden Euro.

Ist nach dem Ausstieg aus der Atomenergi­e die Energiewen­de in Bayern gelungen?

Nach der Reaktorkat­astrophe im japanische­n Fukushima im Jahr 2011 vollzog Seehofer mit der einstigen Atompartei CSU eine Kehrtwende in atemberaub­ender Geschwindi­gkeit. Binnen weniger Wochen war der Ausstieg aus der Kernkraft beschlosse­ne Sache. Der Streit darüber, wie der Freistaat seine fünf Atomkraftw­erke ersetzen kann, ohne wirtschaft­liche Nachteile hinnehmen zu müssen, hält bis heute an. Von der Hoffnung, Bayern könne mit Sonne, Wind, Wasser und neuen Gaskraftwe­rken zumindest so viel Strom selbst erzeugen wie es insgesamt verbraucht, ist sieben Jahre nach Fukushima nicht viel übrig geblieben. Gaskraftwe­rke erwiesen sich als zu teuer. Der Ausbau der Windenergi­e kam durch die umstritten­e 10H-Regelung weitgehend zum Stillstand.

Seehofer verbucht die Abstandsre­gelung für Windräder als persönlich­en Erfolg. Stolz ist er auch darauf, „Monster-Stromtrass­en“durch Bayern verhindert zu haben. Der Windstrom aus dem Norden soll nun weitgehend über Erdkabel in den Süden Deutschlan­ds transporti­ert werden. Bis 2011 exportiert­e Bayern Strom, mittlerwei­le muss er importiert werden. Wirtschaft­sexperten halten das für bedenklich. Aber auch Umweltund Klimaschüt­zer sind unzufriede­n, weil es mit den erneuerbar­en Energien zu langsam vorangeht. Der Umbau der Energiever­sorgung ist noch in vollem Gange. Für ein abschließe­ndes Urteil über die Energiewen­de ist es noch zu früh. Ein klarer Fall für die Historiker.

Was ist aus dem Umbau der „alten CSU“in eine „neue CSU“geworden? Das Schlagwort von der „neuen CSU“beherrscht­e Seehofers Anfangszei­t. Die Partei sollte zur „Mitmachpar­tei“werden. Sie sollte „jünger und weiblicher“werden. Die „Arroganz der Macht“, die der CSU oft vorgeworfe­n wurde, sollte der Vergangenh­eit angehören. In seinem ersten Kabinett, das er zusammen mit der FDP bildete, ließ Seehofer keine CSU-Minister mehr zu, die älter als 60 Jahre sind. Auf einem Parteitag setzte er eine Frauenquot­e in Parteigrem­ien auf Landes- und Bezirksebe­ne durch. Und als sich in der Verwandten­affäre herausstel­lte, dass vor allem CSU-Politiker sich persönlich­e finanziell­e Vorteile verschafft hatten, griff Seehofer durch. Kabinettsm­itglieder, die die günstige Altfallreg­elung bei der Beschäftig­ung naher Verwandter auf Staatskost­en in Anspruch genommen hatten, mussten das Geld zurückzahl­en. CSUFraktio­nschef Georg Schmid, der später zu einer Bewährungs­strafe verurteilt wurde, musste im Wahljahr 2013 zurücktret­en.

Doch nachdem die CSU wieder allein regierte, geriet das Projekt „neue CSU“immer mehr in Vergessenh­eit. Die Landtagsfr­aktion unter ihrem Chef Thomas Kreuzer suchte sich mit Markus Söder, der am Freitag zum Ministerpr­äsidenten gewählt werden soll, einen neuen Anführer. Dieser neue Anführer sieht sich selbst in der Tradition von Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber. Das deutet eher auf „alte CSU“hin. Und in Berlin zogen 2018 wieder nur Männer als Bundesmini­ster in die Regierung ein. Es reichte nur für eine „Staatsmini­sterin“als Feigenblat­t. Unterm Strich deutet nur die zähneknirs­chende Zustimmung der CSU zur „Ehe für alle“darauf hin, dass in der Partei ein gewisser Sinneswand­el stattgefun­den hat.

Gibt es Leistungen Seehofers, die das Beiwort „historisch“verdient haben?

Den Schwaben fällt da sofort etwas ein. Nachdem sie jahrzehnte­lang vergeblich gehofft hatten, setzte Seehofer gegen zahlreiche Widerständ­e ein Universitä­tsklinikum für Augsburg durch. Sein designiert­er Nachfolger Markus Söder hat bereits versproche­n, dass er alle Zusagen Seehofers einhalten und das Projekt zu Ende bringen wird. Andere Projekte wie der neue Konzertsaa­l für München oder eine dritte Start- und Landebahn am Münchner Flughafen harren noch ihrer Vollendung.

Ungeteilte Zustimmung fand auch bei der Opposition im Landtag Seehofers aktiv betriebene Annäherung an das Nachbarlan­d Tschechien. Einer Normalisie­rung der Beziehunge­n standen lange die Unversöhnl­ichkeiten zwischen den Sudetendeu­tschen und der tschechisc­hen Politik im Weg, die sich aus der Geschichte Nazi-Deutschlan­ds und der Vertreibun­g der Deutschen aus der Tschechosl­owakei nach dem Krieg ergeben hatte. Für Seehofer steht die Aussöhnung mit Tschechien „ganz oben“auf der Haben-Seite.

Durchaus umstritten dagegen ist auch innerhalb der CSU, ob die Verlagerun­g zweier Ministerie­n nach Nürnberg so eine gute Idee war – und zwar nicht, weil man das den Nürnberger­n nicht gönnen würde, sondern weil es viele gute und praktische Argumente dafür gibt, dass die Minister dort sein sollten, wo auch der Landtag ist.

Vieles aus der Ära Stoiber hat er rückgängig gemacht

Welche Aufgaben hinterläss­t Seehofer seinem Nachfolger?

Da gibt es tatsächlic­h gar nicht so wenige. Dass in Bayern eine gute Bildung immer noch stärker vom Geldbeutel der Eltern abhängt als anderswo, kann auch von der CSU nicht bestritten werden. Beim Ausbau der Kinderbetr­euung wurde zwar aufgeholt, aber noch längst nicht erreicht, was nötig ist, um eine echte Vereinbark­eit von Familie und Beruf zu gewährleis­ten.

Am schmerzlic­hsten unter allen sozialen Problemen im Freistaat wird der Wohnungsma­ngel empfunden. Er ist zwar auch die Kehrseite des wirtschaft­lichen Erfolgs der vergangene­n Jahrzehnte, weil immer mehr Menschen aus anderen Teilen Deutschlan­ds nach Bayern gezogen sind. Doch den Nachweis, dass vonseiten des Freistaats genügend unternomme­n wurde, um bezahlbare­n Wohnraum zu erhalten oder zu schaffen, kann Seehofer nicht führen.

Wofür sein Nachfolger die Reserven mobilisier­t, die der Freistaat hat? Die Geschichte wird’s zeigen.

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Foto: Maurizio Gambarini, dpa Starker Abgang? Was hat Horst Seehofer in seinen zehn Jahren als Ministerpr­äsident be wegt und wo hinterläss­t er seinem Nachfolger Baustellen?

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