Blog spielt mit Terror-Angst
Anschlag in Mannheim Seit dem Wochenende hat nicht nur die Medienbranche ein neues Aufregerthema. In der Nacht von Samstag auf Sonntag berichtete das Rheinneckarblog unter anderem auf Facebook: „In Mannheim kam es zum bisher größten Terroranschlag in Westeuropa. Offiziell wurden bislang 136 Tote gezählt, 237 Personen sind verletzt“. Die Folgen: Anrufe bei Polizei und Feuerwehr, eine Klarstellung der Polizei („Bei dem Beitrag ... handelt es sich um einen erfundenen Text“, unser Foto), Beschwerden beim Presserat und ein Ermittlungsverfahren gegen den Redaktionsleiter des Blogs, Hardy Prothmann, der auf Kritik teils beleidigend und ausfällig reagierte.
Er erklärte: „Wir haben aktuell Fake News veröffentlicht, die morgen schon Real News sein könnten. Warum? Weil wir mit unserem Journalismus provozieren und Debatte befördern wollen.“Sowie: „Unsere ,Story‘ ist vollständig erfunden. Unser Mitarbeiter Helle Sema ist ein ,Gonzo‘-Reporter, der Fiktion und Fakten mischt, als wären es Cocktails.“Unter Gonzo-Journalismus („gonzo“ist englisch für „exzentrisch“, „verrückt“) versteht man eine radikal subjektive Form des Erzählens, die teilnehmende Beobachtung, journalistische und literarische Herangehensweisen und Stilmittel mischt. Ihr bekanntester Vertreter: Hunter S. Thompson („Fear and Loathing in Las Vegas“). Was Ingrid Brodnig, Autorin der Bücher „Hass im Netz“und „Lügen im Netz“, von der „Story“des Blogs hält? Sie antwortet per Mail: „Das ist eine der eigenartigsten Falschmeldungen, die mir bisher unterkam. Hier ruiniert ein lokales Blog seinen Ruf zur Gänze – und verteidigt das Unverteidigbare. Es ist natürlich nicht okay, einen fiktiven Anschlag zu erfinden und ohnehin schon bestehende Ängste weiter zu schüren. Die Argumentation des Rheinneckarblogs ist unbehaglich – weil so getan wird, als seien Fakten nichts mehr wert.“
Und weiter: „Das Rheinneckarblog argumentiert quasi: Man könnte selbst aus einer erfundenen Meldung etwas lernen. Aber das ist Unsinn: Eine erfundene Meldung trägt nicht zur Aufklärung bei, sie lenkt von der Realität ab. Das Problem an dieser erfundenen Geschichte ist, dass sie mit bestehenden Ängsten spielt: Bürger haben ja zu Recht Angst vor Terrorismus, sie fürchten Anschläge in ihrer Region. Es ist zutiefst verantwortungslos, diese Angst auch noch für Klicks für die eigene Webseite zu missbrauchen. Diese fiktive Meldung lehrt uns auch nichts Neues: Dass potenziell Terroranschläge stattfinden können, ist ohnehin allen bewusst. Und dass Falschmeldungen im Internet ein Problem sind, das wussten wir schon vor dem Rheinneckarblog . ... In diesem Fall haben deutsche Medien gut reagiert: Sie haben prompt die Fälschung aufgezeigt und als solche eingeordnet.“
Ingrid Brodnig hat völlig recht. Und mit Gonzo- oder seriösem Journalismus hat die „Story“des Blogs ebenfalls nichts zu tun.