Unser Kind – ein Vollzeit-Job
Vivien kann nicht verständlich sprechen, nicht alleine essen, muss gewickelt und mehrfach täglich umgezogen werden, hat kein Schlafhormon, ist nachts stundenlang aktiv und spürt nicht, wo Gefahren lauern. Sie kann nicht still sitzen, will Messer aus der Schublade holen, Gläser auf den Boden und Kuchen an die Wand werfen und muss daher 24 Stunden am Tag überwacht werden. Vivien ist sechs Jahre alt und auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkinds, an dem sich wohl auch nichts Wesentliches ändern wird. Aber wenn Vivien lacht, geht die Sonne auf. Und Vivien lacht viel.
Sie fordert ihrer Familie alles an Kraft ab, an Zeit und Zuwendung und gibt doch auch so viel Liebe zurück. Mama Marina Simon, Papa Thomas Simon, die großen Schwestern Chiara (12 Jahre) und Lena (10), die Oma ... haben alle Hände voll zu tun, damit der Alltag nicht aus dem Ruder läuft. Ein Alltag, der sich so gänzlich von dem anderer Familien unterscheidet. Ein Alltag, den sie alle dennoch von ganzem Herzen angenommen haben, obwohl er sie manchmal an ihre Grenzen bringt. „Wir lieben unser Kind über alles“, sagen Marina und Thomas Simon aus Mertingen. „Aber es ist ein Fulltime-Job!“.
Als Vivien vor sechs Jahren zur Welt kam, schien sie völlig normal zu sein. Doch nach und nach zeigte sich, dass das Mädchen all das nicht machte, was Kleinkinder so nach und nach lernen. „Sie wollte nicht sitzen, nicht krabbeln, nicht stehen, nicht laufen, nicht brabbeln ...“, erinnern sich die Eltern, die nach einer langen Reihe von ArztBesuchen endlich mit der Diagnose konfrontiert wurden: Angelman-Syndrom. „Das ist ein Gendefekt“, erklärt Marina Simon. Eine seltene genetische Veränderung auf Chromosom 15, von der etwa eines von 20000 Kindern betroffen ist. Begleitet werden die Symptome oft von epileptischen Anfällen – bei Vivien kommen sie zwei bis dreimal im Jahr vor. Dann mit dem vollen Programm: Notarzt, Sanka, Krankenhaus. Für Marina und Thomas Simon war die Erkenntnis, dass sich ihre Tochter nie normal entwickeln wird, zunächst „ein Schlag ins Gesicht“. „Aber was bringt es, den Kopf in den Sand zu stecken?“, fragt Thomas Simon. „Unser Leben ist nicht schlechter, nur anders.“
Die Simons brauchen Menschen im Hintergrund, die sie unterstützen und entlasten. Etwa die Oma, die mit allem vertraut und immer da ist – auch für die beiden großen Enkelinnen. Etwa Chiara und Lena selbst, die schon jetzt erstaunlich reife, indes fröhliche Kinder und gute Schülerinnen sind. Etwa die Betreuerin, die die Krankenkasse zweimal pro Monat bezahlt. Etwa die heilpädagogische Einrichtung in Möttingen, wo Vivien zur Schule geht, und auch den Verein „Kinder wollen leben spielen lachen“.
Die Familie ist geeicht auf schwierige Situationen und so wird sie es auch meistern, wenn Ende Mai die vierte Tochter zur Welt kommt. „Unsere Emma ist ein absolutes Wunschkind“, strahlen Marina und Thomas Simon in Vorfreude. Dann wird die Sonne im Hause Simon noch ein bisschen heller scheinen.