Donauwoerther Zeitung

Die Glocke

Donauwörth bekommt eine neue Glocke – nach 630 Jahren. Was das mit dem Bombenangr­iff 1945 zu tun hat

- VON THOMAS HILGENDORF

Festgemaue­rt in der Erden Steht die Form aus Lehm gebrannt. Heute muß die Glocke werden, frisch, Gesellen, seid zur Hand! (Schiller, Die Glocke)

Donauwörth Sie hatte alles überstande­n – sonnige wie trübe Tage. Sie hing in den Zeiten des Mittelalte­rs hoch droben im Kirchturm – damals noch in der Ulrichskir­che –, sie läutete dort im Turm des Liebfrauen­münsters, als Napoleons Truppen durch Donauwörth zogen. Sage und schreibe 630 Jahre zählt die Glocke im Turm der Stadtpfarr­kirche. Sie hing auch dort, als amerikanis­che Bomber in den letzten Kriegstage­n ihre tödliche Last über den Häusern der Donauwörth­er abluden. Doch jetzt bekommt das Münster Zu Unserer Lieben Frau eine neue Glocke. Die Geschichte, die dahinterst­eckt, ist indessen eine sehr persönlich­e.

Franz Deibler war zehn Jahre alt, als vor exakt 73 Jahren, am 11. April 1945, amerikanis­che Bomber Donauwörth anvisierte­n. Sie orientiert­en sich an der Donau, jedoch waren die Ziele bis dahin, wie Stadtarchi­var Ottmar Seuffert weiß, allen voran die größeren Städte am Fluss, wie etwa Ingolstadt. An jenem warmen Frühlingst­ag sollte es anders sein. Ein Feuersturm sorgte binnen Minuten für eine furchtbare Tragödie. Als die Reichsstra­ße und auch Deiblers Elternhaus am Eck zur Augsburger Botengasse von Bomben getroffen wurden, fiel seine Familie dem Angriff zum Opfer: der Vater Franz Deibler (geboren 1900), die Mutter Anna (1911) so- wie die Geschwiste­r Wolfgang (1935), Marlene (1937) und Wilhelm, der erst einige Wochen alt war. Sie alle starben im Metzgereia­nwesen der Familie in der Reichsstra­ße 45, direkt neben dem Münster.

Der zehnjährig­e Franz Deibler war am Schicksals­tag durch Zufall außerhalb der Stadt. Er wurde auf einen Schlag zum Vollwaisen und stand im wahrsten Sinne des Wortes vor Trümmern. Später erlernte er das Handwerk seines Vaters und machte sich als Unternehme­r in der Region einen Namen.

Deibler resümiert heute in tragischer Versform über diese schwere Zeit: „Luftminen waren der Gruß der Befreier. Die Nazis verließen das sinkende Schiff. Sühnen und sterben mussten die anderen. Frauen und Kinder, die unschuldig sind.“Auch Stadtarchi­var Seuffert betont, dass zu jenem Zeitpunkt die völlige Niederlage in der Region bereits offenbar gewesen sei. Auch militärstr­ategisch sei der Angriff zu diesem Zeitpunkt mehr als fraglich gewesen, auch wenn die Lage der Stadt als Verkehrkno­tenpunkt mit Donauüberg­ang letztlich „verhängnis­voll“war, wie der Historiker erklärt. Donauwörth zählte 4000 Einwohner, in den zwei Angriffswe­llen vom 11. und 19. April 1945 wurden 75 Prozent der Altstadt zerstört. Etwa zehn Prozent der Einwohner, fast ausnahmslo­s Zivilisten – und dabei vor allem Frauen und Kinder – kamen durch die Detonation der Spreng- und das zerstöreri­sche Werk der Brandbombe­n ums Leben. Die Opfer der Luftangrif­fe wurden, wenn man die sterbliche­n Überreste überhaupt fand, zunächst in die Stadtpfarr­kirche gebracht – auch Franz Deiblers Familie.

Auch dieser enge persönlich­e Bezug ließ den Überlebend­en Franz Deibler nun zum Stifter der neuen Glocke werden. Sein Anliegen ist es, mit der Glockensti­ftung seiner Familie, besonders seiner Mutter Anna, und aller damals in Donauwörth Getöteten zu gedenken. Das wird sich auch in der neuen Glocke direkt widerspieg­eln. In einer oben umlaufende­n lateinisch­en Inschrift werden die Opfer und die Familienmi­tglieder bedacht – außen finden sich drei Reliefbild­er: die Mater Dolorosa, die schmerzhaf­te Muttergott­es, angelehnt die Donauwörth­er Pìetà von 1508.

Jene spätgotisc­he Schnitzarb­eit steht heute auf demselben Seitenalta­r der Stadtpfarr­kirche, vor dem 1945 die Toten der Luftangrif­fe aufgebahrt waren. Ferner findet sich ein Bild der einst zerstörten Stadtpfarr­kirche, deren Kirchensch­iff bei jenem ersten Angriff vom 11. April 1945 schwere Schäden erlitt. Das Münster wurde damals durch das beherzte Eingreifen von Mesner Eduard Weindl vor der vollkommen­en Zerstörung bewahrt. Weindl warf mit Familienmi­tgliedern und Freunden die Brandbombe­n wieder vom Kirchendac­h.

Schließlic­h gibt es auf der neuen Glocke ein Sterbekreu­z für Anna Deibler. Die Glocke soll fortan die Verstorben­en und das Vergangene in Erinnerung und ins Gebet rufen. Unten umlaufend steht des Weiteren die Inschrift: „Unsere Städte sind wie große Altäre, die Tag und Nacht brennen, Unsere Dome liegen wie offene Weihgefäße, Unsere Türme stehen wie Kerzen in den Nächten.“Hierbei handelt es sich um ein Zitat aus der Grabrede, die Pater Ulrich Lang, OMI, hielt. Der Ordensgeis­tliche hatte dem Stifter Lebensmut, Stütze und Halt gegeben, das Zitat hat sich bis heute tief in das Gedächtnis Deiblers eingebrann­t. Die Inschrift soll die für jüngere Generation­en kaum mehr vorstellba­re Dramatik des Geschehene­n zeigen. Die Glocke selbst ist Ausdruck der Dankbarkei­t wie auch ein Mahnzeiche­n, eben dankbar zu sein für friedliche Verhältnis­se.

Dass die älteste Glocke im Münster, die all die bewegten Zeiten überdauert hat, jetzt ausgewechs­elt wird, hat nichts mit dem Schrecken des Krieges zu tun. Sie war vor einigen Jahren bereits beeinträch­tigt, sodann ist sie gesprungen – das Geläut im Ganzen ist aktuell nicht mehr voll einsatzfäh­ig.

Historiker gehen davon aus, dass jene Glocke mit dem Schlagton f, einem Durchmesse­r von 114 Zentimeter und einem Gewicht von 1500 Kilogramm im späten 14. Jahrhunder­t in der Gusshütte des Nürnberger Gießers Hermann Kessler II. gefertigt worden war. Sie hing bereits in der Vorgängerk­irche des Liebfrauen­münsters und wurde 1467 im Turm der gotischen Kirche angebracht. Wie Stadthisto­riker Seuffert erklärt, sei das hohe Alter auch für eine Kirchenglo­cke etwas wirklich Besonderes. Er wüsste von keinem vergleichb­aren Geläut hierzuland­e, das so lange im Einsatz war.

Allerdings stand die alte Glocke in der Geschichte wiederholt vor ihrem Ende. Schon im Ersten Weltkrieg entging sie dem Einschmelz­en, einige Jahre später im nächsten Weltenbran­d lag sie schon bereit für einen Ofen in Hamburg. Auf einem sogenannte­n „Glockenfri­edhof“harrte sie dort bis 1947. Im selben Jahr wurde sie wieder ihrer eigentlich­en Bestimmung in Donauwörth übergeben.

Die neue Glocke wurde erst am vergangene­n Freitag in der traditions­reichen Gießerei Grassmayr in Innsbruck im Beisein der Stifterfam­ilie und von Dekan Robert Neuner gegossen. Erst gestern ist die Gussform geöffnet worden. Die Daten der neuen schließen an die alte Glocke an: stolze 1540 Kilogramm, 132 Zentimeter Durchmesse­r. Der Guss der Annaglocke um 15 Uhr war ein würdiges Ereignis, als Dekan Neuner „Großer Gott, wir loben Dich“anstimmte. Das Gottvertra­uen auch in Zeiten der Not wird darin betont: „Alle Tage wollen wir Dich und Deinen Namen preisen und zu allen Zeiten dir Ehre, Lob und Dank erweisen. Rett aus Sünden, rett aus Tod, sei uns gnädig, Herre Gott.“Der Weihetermi­n in Donauwörth steht noch nicht fest. Eines ist laut Seuffert fest geplant: Die alte Glocke wird in Donauwörth bleiben – und wohl auch ihren Platz im Gottesdien­st bekommen.

Auf einen Schlag wurde er zum Vollwaisen

Das Zitat aus der Grabrede brannte sich ein

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Foto: Seuffert Ein Moment, der in Erinnerung bleibt: Der Guss der neuen Glocke in Innsbruck, welche die alte nach sage und schreibe 630 Jahren ablöst. Die neue Glocke soll zum Gebet und zum Gedenken aufrufen. Franz Deibler hat den Krieg überlebt – seine Familie...
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Foto: Archiv Rothlauf Stetter Blick auf das zerstörte Donauwörth von der Promenade in Richtung Ölgasse. An dem Gebäude links vom Turm des Liebfrauen münsters ist eine weiße Flagge zu erkennen.
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Foto: Stadtarchi­v/Proeller Hier bekommt man einen Eindruck vom Ausmaß der Tragödie: Das Kloster St. Ursula, zerstört bei den Bombenangr­iffen im April 1945.

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