Lieber Gefängnis als Aserbaidschan?
Im Landkreis lebende abgewiesene Asylbewerber werden verurteilt, weil sich die Familie keine Pässe beschafft hat. Dabei wurde sie 15-mal vom Amt dazu aufgefordert
Nördlingen Es geht wohl über den Einzelfall hinaus und ist eher ein gesellschaftliches Problem, was da am Amtsgericht Nördlingen unter dem Vorsitz von Richter Gerhard Schamann und zwei Schöffen verhandelt wurde: Eine ganze Familie aus Aserbaidschan saß auf der Anklagebank. 2012 war sie nach Deutschland gekommen und hatte Asyl beantragt – vor allem ging es offenbar um das Wohl der Kinder, die Söhne sind heute 17 und 20 Jahre alt. 2014 wurde der Asylantrag abgelehnt und 2015 das Verfahren abgeschlossen.
Da hätte die Familie das Land verlassen müssen, wozu sie erst einmal Pässe hätte besorgen müssen. Doch das versuchte sie nur halbherzig: Die ganze Familie, die in einer Flüchtlingsunterkunft im Ries lebt, machte kein Hehl daraus, dass es nicht in ihrem Interesse lag, Unterlagen für die eigene Abschiebung zu beschaffen. Die Mutter erklärte, ihre Hauptsorge sei, dass die Söhne bei ihrer Rückkehr Wehrdienst ableisten müssten und als „Verräter“in der Armee schlecht behandelt würden bis hin zu bewusst lebensgefährlichen Militäreinsätzen. Der Vater versicherte, dass alle zusammen zweimal in der Aserbaidschanischen Botschaft in Berlin waren und er auch die Behörden in der alten Heimat angeschrieben, doch keine Rückmeldungen bekommen hatte.
Eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde beim Landratsamt erklärte, beim Pass-ErsatzpapierVerfahren, das die Behörde angestoßen habe, sei vom Integrationsfachdienst in Aserbaidschan schnell mitgeteilt worden, dass die Personalien nicht korrekt waren. Dennoch gab die Familie bei zwei weiteren Verfahren die gleichen Personalien an. Insgesamt 15-mal wurde die Familie jeweils monatlich aufgefordert, sich um Papiere zu bemühen. Von einem Bekannten aus dem Heimatland war die Rede, der geschäftlich öfter nach Deutschland komme und die Papiere mitbringen könne, doch auch das verlief im Sand. Laut Erfahrung der Ausländerbehörde sei es in anderen Fällen durchaus kein Problem gewesen, Papiere aus dem Ausland zu beschaffen. So wurden denn die Soziallleistungen der Familie gekürzt und schließlich aufgrund unerlaubten Aufenthalts ohne Pass Strafantrag wegen Vergehens gegen das Aufenthaltsgesetz gestellt.
Die ganze Misere wurde am ältesten Sohn besonders deutlich: Er spricht gut deutsch, machte einen Schulabschluss und trat eine Handwerkerlehre an, die er jedoch verlor, weil sie vom Lehrbetrieb nicht ordnungsgemäß angemeldet worden war. Der Jugendliche wurde straffällig: Körperverletzung, Führen einer verbotenen Waffe, dann schwerer Bandendiebstahl. Im Mai 2017 wurde er schließlich wegen unerlaubten Aufenthaltes zu gemeinnützigen Arbeitsstunden verurteilt. Auch danach legte er keine Papiere vor. Staatsanwältin Alexandra Krug machte den Angeklagten klar, dass der Weg in die Abschiebehaft vorgezeichnet sei: „Wenn sie lieber in Deutschland ins Gefängnis als nach Hause gehen ...“Der Richter und die Schöffen verurteilten die Eltern zur Zahlung von 100 Tagessätzen à zehn Euro, die auch abgearbeitet werden können. Der älteste Sohn bekam unter Einbeziehung einer offenen Bewährungsstrafe ein Jahr Jugendarrest auf Bewährung und 200 Stunden Hilfsdienste, der jüngere eine Verwarnung und 80 Stunden Hilfsdienste als Auflage.
„Ich würde auch nicht nach Aserbaidschan wollen“, zeigte Richter Schamann persönliches Verständnis, „aber die Gesellschaft in Deutschland ist darauf angewiesen, dass Regeln, Recht und Gesetz eingehalten werden. Sie müssen in den sauren Apfel beißen und nach Aserbaidschan zurückkehren, sonst wird das Gefängnis in Deutschland die Endstufe sein.“