Donauwoerther Zeitung

„Heute bin ich sittlich und moralisch gefestigt“

Bundestags-Vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki über sein neues Leben in Berlin, den angebliche­n Streit mit Christian Lindner, über den Wirbel um einen Handkuss und seine Art, mit den Provokatio­nen der AfD umzugehen

- Interview: Michael Stifter

Herr Kubicki, wie oft am Tag bereuen Sie, dass die FDP Nein zu Jamaika gesagt hat?

Wolfgang Kubicki: Ich bereue gar nichts. Es ist schade, dass es nicht geklappt hat. Aber wenn es inhaltlich nicht passt und zu wenig Vertrauen da ist, dann ist es einfach so.

Aber Sie wären schon gerne Finanzmini­ster geworden, oder?

Kubicki: Wenn Jamaika geklappt hätte, war es im Bereich einer überwiegen­den Wahrschein­lichkeit gewesen, dass das Finanzmini­sterium an die Freien Demokraten gegangen wäre. Und dann hätte es wieder eine Wahrschein­lichkeit gegeben, dass ich dieses Amt ausgefüllt hätte. Aber mir ging und geht es nicht darum, Minister zu werden. Das wollte ich nie in meinem Leben.

Nun hat Olaf Scholz Ihren Job. Trauen Sie ihm zu, die Finanzen stabil zu halten?

Kubicki: In Hamburg hat er das einigermaß­en ordentlich gemanagt. Ich traue ihm zu, dafür Sorge zu tragen, dass Deutschlan­d nicht mehr Geld ausgibt als es einnimmt.

Die ersten Minister fordern schon ein höheres Budget. Wird Scholz dagegenhal­ten?

Kubicki: Wenn es einer schafft, standhaft zu bleiben, ist es Olaf Scholz mit seiner trockenen Art.

Auch Horst Seehofer ist neu im Kabinett. Wie beurteilen Sie sein Comeback als Bundesmini­ster?

Kubicki: Seehofer ist besser, als ich es vor den Sondierung­sgespräche­n gedacht hatte. Aber seinen Verspreche­n, in Sachen Abschiebun­gen oder Integratio­n Großes leisten zu wollen, sind bisher ja keine Taten gefolgt. Ich warte also noch darauf, dass Horst Seehofer mehr wird als ein Ankündigun­gsminister. Momentan macht er ja vor allem Wahlkampf für Bayern.

Das tut auch Markus Söder. Was halten Sie von der Entscheidu­ng, in allen bayerische­n Behörden Kreuze aufhängen zu lassen?

Kubicki: Davon halte ich wenig, weil der Staat per Verfassung zur Neutralitä­t verpflicht­et ist. Herr Söder will dem ausweichen, indem er erklärt, das Kreuz habe mit der kulturelle­n Geschichte Bayerns zu tun. Das ist Unsinn und die Kirche hat auch angemessen darauf reagiert.

Sie entspannen bekanntlic­h am besten mit Kriegsfilm­en. Schalten Sie in letzter Zeit wieder öfter den Fernseher ein? Kubicki: Ich schaue gelegentli­ch noch Kriegsfilm­e, aber deutlich weniger als früher. Mir fehlt einfach die Zeit. Wir tagen im Bundestag ja teilweise bis nach Mitternach­t.

Sie haben ja mal gesagt, Sie wollen gar nicht nach Berlin, weil Sie dort mit hoher Wahrschein­lichkeit zum Trinker oder Hurenbock werden würden. Verläuft Ihr Privatlebe­n nun in geordneten Bahnen?

Kubicki: Das ist ja schon einige Jahre her. Heute bin ich sittlich und moralisch gefestigt. Außerdem ist meine Frau sehr häufig hier. Es ist wirklich wichtig, auch mal einen Abend oder ein gemeinsame­s Frühstück zu haben, um sich in Ruhe zu unterhalte­n. Ich habe außerdem von Claudia Roth, mit der ich seit über 40 Jahren befreundet bin, eine Liste von 15 Restaurant­s bekommen, die ich jetzt nacheinand­er abarbeite.

Wie weit sind Sie schon gekommen? Kubicki: Erst bei Position drei, ich habe also noch ein bisschen was vor.

Der Abschied aus Kiel ist Ihnen schwer gefallen. Sie haben sogar Ihrem Lieblingsg­egner Ralf Stegner eine Träne nachgewein­t, was war denn da los? Kubicki: Wenn Sie nach 25 Jahren weggehen, dann ist das schon ein Abschied aus der Heimat. Ich habe mich gerne mit Ralf Stegner gestritten, aber wir waren uns auch immer bewusst, dass wir eine hohe Verantwort­ung für die Gemütslage der Menschen tragen. Wir haben im Umgang miteinande­r nie absichtlic­h Grenzen überschrit­ten, wie manche Kollegen von der AfD das tun.

Haben Sie Angst um die Debattenku­ltur in Deutschlan­d?

Kubicki: Ein bisschen Polemik und Witz können in der politische­n Auseinande­rsetzung durchaus dabei sein. Aber vor allem sollen sich Argumente kreuzen. Bei vielen Beiträ- gen der AfD – nicht bei allen – geht es aber nur um Populismus und Provokatio­n. Ich habe mal versucht, meinen Freunden von den Grünen zu erklären, dass sie sich nicht immer gleich darüber aufregen sollen, denn dadurch bekommt die AfD mehr Aufmerksam­keit als ihr zusteht. Je entspannte­r wir mit der AfD umgehen, desto weniger funktionie­rt deren Taktik des ständigen Provoziere­ns.

Aber auch Sie haben sich schon mit der AfD angelegt.

Kubicki: Manche Dinge darf man nicht unwiderspr­ochen lassen. Zum Beispiel, wenn Alexander Gauland Menschen in Anatolien „entsorgen“will. Menschen sind kein Abfall. Das muss man diesen Leuten klarmachen. Aber natürlich ist das gefährlich, weil sich durch die Verschärfu­ng des Tones wiederum andere bemüßigt fühlen könnten, unflätig darauf zu reagieren.

Als Bundestags­vize müssen Sie eher moderieren. Fällt Ihnen das schwer? Kubicki: Das fällt mir in der Tat schwer. Aber ich habe ja die Möglichkei­t, durch Mimik und Gestik oder eine kurze Bemerkung deutlich zu machen, was ich von einem Wortbeitra­g halte, ohne dabei Grenzen zu überschrei­ten.

Sie sind ja nie um einen lockeren Spruch verlegen – auch Frauen gegen- über. Sind Sie froh, dass Sie die Sexismus-Debatte einigermaß­en unbeschade­t überstande­n haben?

Kubicki: Ich gebe zu, es ist mir öfter schon passiert, dass sich Frauen über einen Spruch beschwert haben. Aber wenn Frauen sich schon beeinträch­tigt fühlen, wenn ich sie anlächele, dann ist es eben so.

Zuletzt gab es Wirbel um einen Handkuss, den Sie Katrin Göring-Eckardt gegeben haben ...

Kubicki: Sie selbst hat sich nicht beschwert. Ich habe ihr aber nach vier Wochen Jamaika gesagt, dass das nie wieder vorkommen wird. Aber mein grüner bayerische­r Kollege Anton Hofreiter, der ja weiß, wie Frauen denken – zumindest hat er mir das mal in einer Talkshow erklärt –, hat sich sehr empört. Er hält den Handkuss für eine verächtlic­he Geste. Kann ich nicht nachvollzi­ehen, ist mir aber auch egal. Es gehört im Übrigen auch nicht zu meinem ständigen Repertoire, Frauen so zu begrüßen.

Stimmt es, dass Ihr Verhältnis zu Christian Lindner angespannt ist? Kubicki: Ich habe natürlich Verständni­s dafür, dass die Medien gerne über einen Streit spekuliere­n, aber der Eindruck täuscht.

In der Frage des Umgangs mit Russland hat Lindner Ihre Position aber als Einzelmein­ung in der FDP abgetan. Kubicki: Auch Christian Lindner ist der Meinung, dass wir neue Gesprächsk­anäle nach Moskau eröffnen müssen. Für ihn wäre der erste Schritt, Russland in den Kreis der G8 zurückzuho­len. Dafür brauchen wir aber die Zustimmung der anderen. Ich glaube, dass wir mit der Lockerung der Wirtschaft­ssanktione­n einen ersten Schritt auf Russland zumachen sollten, denn das kann Deutschlan­d alleine entscheide­n.

Lindner wirkt genervt von dem Thema, lässt er Sie das spüren?

Kubicki: Ihn nerven vielleicht die ständigen Nachfragen und der Versuch, ein Zerwürfnis zwischen uns beiden zu konstruier­en. Aber noch einmal: Das ist kein persönlich­er Streit und erst recht keine Machtprobe.

Droht diese Meinungsve­rschiedenh­eit auf dem Parteitag Mitte Mai zu eskalieren?

Kubicki: Nein, wir werden eine gemeinsame Linie finden, weil wir uns im Ziel ja weitestgeh­end einig sind. Wir wollen wieder eine gute Nachbarsch­aft zu Russland herstellen. Denn eines steht fest: Es geht nur mit und nicht gegen Russland.

Zumal die USA unberechen­bar geworden sind. Hat es Sie enttäuscht, dass die Kanzlerin Donald Trump nicht von Strafzölle­n abbringen konnte? Kubicki: Nein, sie hat das Mögliche getan, um den amerikanis­chen Präsidente­n von einem Handelskri­eg mit Europa abzuhalten. Aber das passt nicht zum Naturell von Donald Trump. Der Mann ist Bauunterne­hmer. Er hat in seinem Leben gelernt, dass er etwas erreicht, wenn er erst einmal auf den Tisch haut. Für ihn gibt es nur eine Devise: Trump first. Wir werden ihn weniger durch Argumente überzeugen, als durch konkrete Reaktionen.

Das heißt, Europa soll in einem möglichen Handelskri­eg mit Strafzölle­n zurückschl­agen?

Kubicki: Das wäre sicherlich nicht die beste aller Lösungen. Wir sollten der US-Administra­tion vielmehr zeigen, dass wir bereit sind, auch mit anderen Staaten Handelsabk­ommen abzuschlie­ßen. Washington muss merken, dass wir am Freihandel weiterhin interessie­rt sind und entspreche­nde Abkommen auch mit Japan oder Südkorea eingehen. Dann stellen vielleicht alle Beteiligte­n fest, dass es sinnvoller ist, nicht gegeneinan­der Politik zu machen, sondern miteinande­r.

Bis dahin kann aber schon ein großer atmosphäri­scher und wirtschaft­licher Schaden entstanden sein ...

Kubicki: Ja, aber das ist im Leben eben so. Die Alternativ­e wäre, nicht zu reagieren. Und dann glaubt der andere irgendwann, dass er immer so weitermach­en kann. Amerika kann einen Handelskri­eg nicht gewinnen. Nicht gegen Europa und erst recht nicht gegen China. Das müssen wir Donald Trump klarmachen.

 ?? Foto: Florian Gaertner, Imago ?? „Ein bisschen Polemik und Witz können in der politische­n Auseinande­rsetzung dabei sein.“
Foto: Florian Gaertner, Imago „Ein bisschen Polemik und Witz können in der politische­n Auseinande­rsetzung dabei sein.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany