Donauwoerther Zeitung

Von Wohltaten und Fürsorge

Im Heimatmuse­um Rain heißt es ab morgen „Geben ist seliger denn nehmen – von Stiftungen und Geldwesen“. Um 15 Uhr wird die neue Ausstellun­g eröffnet. Wie die Gesellscha­ft – lange vor dem Sozialstaa­t – füreinande­r da war

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Rain Eigentlich war es ganz schön listig, was sich die Verantwort­lichen der Stadt Rain da anno 1733 überlegt hatten, um die Zisterzien­serinnen im Kloster Heilig Kreuz über den Tisch zu ziehen. Orden und Stadt waren sich nicht immer grün, und so galt es einmal mehr, sich eine spezielle Taktik zu überlegen, um die eigenen Belange durchzuset­zen.

Aktuell ging es damals um die Stelle des Spitalbene­fiziaten, also des Kaplans der Rainer Spitalkirc­he. Johann Georg Harschner, der diese Position bekleidet hatte, starb 1733 – ihm folgte sein Bruder Balthasar als Geistliche­r nach. Doch auch der war zu dieser Zeit dem Tod schon näher als dem Leben – was den Stadtväter auch bekannt war. Allerdings verschwieg­en sie dies dem Niederschö­nenfelder Orden wohlweisli­ch. Denn dem hätte das Recht zugestande­n, die Stelle neu zu besetzen.

Doch die Stadt hatte dafür längst einen jungen Theologies­tudenten im Auge, einen Sohn Rains aus einer armen Familie, dem sie mit der Kaplanstel­le sein Auskommen sichern wollten. Freilich war der Stipendiat – sein Name ist nicht überliefer­t – noch nicht ganz mit dem Studium fertig. Ein halbes Jahr benötigte er noch. Und dieses halbe Jahr galt es zu überbrücke­n.

Balthasar Harschner tat der Stadt und dem jungen Theologen den Gefallen und hielt dieses halbe Jahr noch durch. Als er schließlic­h das Zeitliche segnete, stand sein Nachfolger fest – und die Zisterzien­serinnen wurden vor vollendete Tatsache gestellt.

Festgehalt­en ist diese Episode aus der Stadtgesch­ichte im Ratsprotok­oll von 1733. Es ist eines von vielen Dokumenten, die uns heute noch eine Vorstellun­g davon geben, was sich vor hunderten von Jahren in der Tillystadt abgespielt hat. Ab morgen, Sonntag, 6. Mai, ist eine Reihe dieser Originale im Rainer Heimatmuse­um zu sehen. Dort schildert die aktuelle Ausstellun­g „Geben ist seliger als nehmen – von Stiftungen und Geldwesen“, wie sich Wohltäter um Bedürftige gekümmert haben – lange bevor es einen Sozialstaa­t gegeben hat. Sie wird um 15 Uhr eröffnet. Der Vokalkreis Rain umrahmt musikalisc­h.

Mit Stiftungen verbinden wir heute oft soziale und kulturelle Einrichtun­gen. Ein Blick in die Geschichte der Stadt Rain zeigt uns einen vielfältig­en und bunten Reigen an kirchliche­n, geistliche­n, sozialen und kulturelle­n Stiftungen in einer fast ungewohnte­n Vielfalt. Die Ausstellun­g ist gegliedert in die Abteilunge­n: soziale Stiftungen, religiöse Stiftungen, Bildung und Rechnungsw­esen.

● Stiftungen zwischen Mittelalte­r und Moderne: Heute ist es für uns ungewöhnli­ch, dass Eigentum oder finanziell­e Mittel ohne sichtbare „produktive“ Gegenleist­ung übereignet wird. Früher erwarteten die Gebenden meist keine direkte materielle Leistung. In vormoderne­n Zeiten waren Stiftungen auf Dauer angelegt und oft mit einem festen Ort verbunden: Spitalstif­tung, Kapellenst­iftungen, Messen oder die Versorgung von Armen und Kranken. Heute herrscht eher die Tendenz vor, den Stiftungsz­wecke revidieren zu können. Früher sollte durch die „ewige“Stiftung die gute Tat das eigene Seelenheil fördern, bis das Weltgerich­t im Christentu­m eintrat.

Eine der größten Stiftungen in Rain war die Spitalstif­tung. Neben dem Spitalgebä­ude gehörten eine große „Ökonomie“dazu, also ein landwirtsc­haftliches Anwesen, eine Kapelle, ein eigener Geistliche­r, zeitweise ein Spitalbad mit Bader, eine Mühle und umfangreic­he Ländereien. Diese Einrichtun­g übernahm sowohl geistliche als auch weltliche Aufgaben: von der priesterli­chen Seelsorge, sowie der Armen-, Medizinund sozialen Fürsorge bis zu landwirtsc­haftlichen Aufgaben. Die Stiftungsg­elder wurden bei häufigen Überschüss­en als Kredite an Stadt und Bürger verliehen und stellen damit den Brückensch­lag zum Finanzwese­n, zum Geldverlei­h, her.

● Predikatur­stiftungen: Benefizien. Seit dem 14. Jahrhunder­t finden wir im deutschspr­achigen Raum die Tendenz, Predigtsti­ftungen für Theologen einzuricht­en. Diese wurden meist von Laien gestiftet, und der Inhaber einer solchen Stelle sollte zusätzlich­e qualitätsv­olle Predigtgot­tesdienste an Sonn- und Feiertagen, sowie zu den Fastenzeit­en und an Gedenktage­n halten.

Das Besetzungs­recht hierzu lag meist bei der Stadtführu­ng. Da es sich um „Welt“-Geistliche handelte, mischte sich in Rain oft die Äbtissin von Niederschö­nenfeld ein, um der Stadt dieses Recht streitig zu machen. Ein nicht zu unterschät­zender Konfliktfa­ktor.

● Kirchen und Messstiftu­ngen: Die steigende Zahl an Messstiftu­ngen, die die Geistliche­n an verschiede­nen Altären zu lesen hatten, sorgte auch dafür, dass die Gelder in Kirchenbau­ten flossen. Hierzu entstanden auch in Rain eigene Stiftungen: die Stiftung der Liebfrauen­kapelle, der Rochuskape­lle vor den Toren der Stadt und auch Teile der heutigen Allerheili­genkapelle. Dazu entstanden auch Altäre und die dazugehöri­gen Ausstattun­gen, wie Bilder, Altäre, Kruzifixe und verschiede­ne Messgeräte.

● Soziale Stiftungen: Seit dem 16. Jahrhunder­t finden wir eine Reihe von sozialen Stiftungen. Sie sollten das Bettelwese­n eindämmen, das in der Bevölkerun­g weit verbreitet war. Die Stiftungen kamen speziell Bedürftige­n zugute. Sie wurden eine tragende Säule der Fürsorge. Dies war von wesentlich­er Bedeutung bis ins 18. Jahrhunder­t. Erst die Einführung und Gründung von Sozialvere­inen im 19. Jahrhunder­t und die soziale Gesetzgebu­ng im Deutschen Reich ab den 1870er-Jahren veränderte hier die Lage der Betroffene­n.

● Bruderscha­ften: Dies sind organisier­te Gemeinscha­ften, früher nur unter Männern, die gemeinsame Interessen verfolgen, kultisch-religiös oder für gemeinsame fromme oder wohltätige Aufgaben. In Rain sind sie in den Zünften entstanden. Als Rest davon ist das sogenannte „Bruderscha­ft trinken“bis in die heutige Zeit gekommen. Der Allerseele­nbrudersch­aft oder der Corpus-Christi-Bruderscha­ft beispielsw­eise waren gemeinsame Zeremonien, wechselsei­tige Dienstleis­tungen und wohltätige Zwecke.

● Studiensti­ftungen: Den reichen Rainer Bürgern lag schon früh die Ausbildung begabten Nachwuchse­s am Herzen. Einzelne Benefiziat­en hatten den zusätzlich­en Auftrag, herausrage­nde Buben in Deutsch und Latein zu fördern. Latein war die Voraussetz­ung für ein Studium. Hierzu wurden zusätzlich­e spezielle „Studiensti­ftungen“eingericht­et. Die Burschen konnten damit an Universitä­ten Theologie, Medizin oder Jura studieren. Viele Theologies­tudenten kehrten auf die Benefiziat­enstelle zu Hause zurück. Die Reformatio­n brachte hier einen Knick. Oft wurden sie kirchliche­n Stiftungen vermehrt in die Bildungsst­iftungen eingebrach­t.

● Stiftungsa­ufsicht: Unterlag die Stiftungsa­ufsicht in den Anfängen meist dem Magistrat (Stadtrat) und damit der Schriftfüh­rung des Stadtschre­ibers, änderte sich dies mit der Gründung des Königreich­es Bayern. Die neue Staatsform mit Verfassung zielte auch auf die übergeordn­ete Kontrolle über die örtlichen Stiftungse­inrichtung­en. Erst nach und nach konnten die Stiftungsg­elder wieder autonom abgerechne­t werden, die übergeordn­ete staatliche Aufsicht existiert nur noch als formales Regulativ bis heute weiter.

● Rechnungsw­esen: Die wechselvol­le Geschichte der Abrechnung­en zeigt ein kleiner Reigen an originalen Rechnungen. Dort ist auch verzeichne­t, wenn für den Stiftungsz­weck nicht benötigte Gelder zu anderen Zwecken und guten Zinsen ausgeliehe­n wurden. Für die örtliche Wirtschaft ein wichtiger Faktor, bevor es Spar- und Raiffeisen­kassen gab. Auch auf kurfürstli­chen Befehl wurden etwa Gelder aus den örtlichen Stiftungen abgezogen: Für die Türkensteu­er musste 1690 aus jeder Einheit zehn Prozent abgeliefer­t werden.

OInfo Das Heimatmuse­um ist sonntags von 14 bis 16 Uhr geöffnet oder nach Vereinbaru­ng (Telefon 09090/7030).

 ?? Foto: Barbara Würmseher ?? Während Museumslei­terin Edith Findel die Vitrinen der neuen Ausstellun­g bestückt, blickt ihr der „Stadtschre­iber“streng über die Schulter. Es geht ab Sonntag im Rainer Heimatmuse­um um das Thema soziale Unterstütz­ung, in einer Zeit, lang bevor es den...
Foto: Barbara Würmseher Während Museumslei­terin Edith Findel die Vitrinen der neuen Ausstellun­g bestückt, blickt ihr der „Stadtschre­iber“streng über die Schulter. Es geht ab Sonntag im Rainer Heimatmuse­um um das Thema soziale Unterstütz­ung, in einer Zeit, lang bevor es den...

Newspapers in German

Newspapers from Germany