„Uns kann es immer treffen“
Mit Freiburg kämpft Sportvorstand Jochen Saier gegen den Abstieg. Ein Gespräch über den Druck und die Emotionen am letzten Spieltag, an dem der Sportclub den FCA erwartet
Herr Saier, gemessen an Toren ist Nils Petersen derzeit bester deutscher Stürmer. Muss Bundestrainer Löw ihn mit zur WM nehmen?
Saier: Nils spielt eine außergewöhnliche Saison und hat eine tolle Torquote. Er hat uns mit seinem Charakter und Wesen nicht nur auf, sondern auch abseits des Rasens geholfen. Ich würde es ihm gönnen, habe aber auch gerne einen ausgeruhten Nils in der kommenden Spielzeit bei uns.
Petersen blieb trotz eines Abstiegs in Freiburg, in Köln bleiben jetzt Horn und Hector dem Klub treu. Sind Profifußballer gar nicht so geldgierig, wie immer alle glauben?
Saier: Ich weiß nicht, ob und auf wie viel Geld die Spieler in Köln verzichten. Der Standort ist so wuchtig, dass der sofortige Wiederaufstieg gelingen muss. Nils Petersen ist mit uns einen ähnlichen Weg gegangenen und hat öfters gesagt: Wenn man ein Stück Heimat gefunden hat, warum sollte man das für die Summe X aufgeben? Die Abwägung – mehr Geld statt Lebensqualität und Zufriedenheit – ist ab einem gewissen Punkt ein schlechter Deal. Speziell auf Petersen ruhen am Wochenende gegen Augsburg Hoffnungen. Sie haben vor dem letzten Spieltag die besten Voraussetzungen im Abstiegskampf. Ein Punkt genügt zum Klassenerhalt. Inwieweit ist das trügerisch? Saier: Uns ist bewusst, dass das ein kompliziertes Jahr mit einem komplizierten Ende ist. Mit alldem, was wir in dieser Saison durchlebt haben, ist das keine schlechte Ausgangsposition. Wir haben die Qualität und können unser Saisonziel erreichen. Dass das gegen Augsburg schwierig wird, wissen wir.
Werden Sie sich über den Stand in den anderen Stadien informieren?
Saier: Ich persönlich schon. Alles andere wäre gelogen. Ich glaube allerdings, dass wir selber punkten müssen. Weil ich die anderen Konstellationen nicht so sehe, dass diese für uns positiv ausgehen.
Werden Mannschaft und Trainer über aktuelle Spielstände informiert? Saier: Nein. Selbst im positiven Fall, sollte etwa Wolfsburg zurückliegen, verändert das nichts für uns. Wir brauchen eine gute Leistung und einen Punkt, die Aufmerksamkeit gilt allein unserem Spiel.
Ihr Trainer Christian Streich reagiert allgemein sehr emotional, er lebt den Fußball. Befürchten Sie, dass das für ihn am Samstag unerträglich wird? Saier: Die Anspannung ist nicht nur bei ihm da, auch bei allen anderen im Verein. Wichtig ist, dass wir selbst agieren und Situationen in unsere Richtung steuern können. Dass Christian seit Jahren die Mannschaft emotional begleitet und ihr viel Energie weitergibt, das ist bekannt und total wichtig.
Nils Petersen sprach von „kurzen Nächten“. Wie gehen Sie mit dem Druck im Abstiegskampf um?
Saier: Natürlich müssen wir uns mit allen möglichen Szenarien beschäftigen – alles andere wäre fahrlässig und unprofessionell. Weil vieles dranhängt, ist der Rucksack nicht nur mit Leichtigkeit gefüllt. Aber ich kann gut damit umgehen.
Sie setzen also keine besonderen Reize vor diesem Saisonfinale?
Saier: Nein. Wir werden jetzt nicht noch mehr Gespräche führen oder ins Kurztrainingslager gehen. Wenn das helfen würde, hätten wir vorher etwas falsch gemacht. Unser Ansatz ist, über die gesamte Saison alles auszuschöpfen und daher nicht auf Situationen besonders reagieren zu müssen. Die Kommunikation mit der Mannschaft, die Intensität der Arbeit oder der Blick auf Details begleiten uns das gesamte Jahr. Den berühmten Knopf zu drücken, ist nicht unsere Art von Arbeit.
In der Vergangenheit hat der SC Freiburg Betriebsunfälle postwendend korrigiert. Inwieweit wirkt sich so ein Abstieg dennoch aus?
Saier: Das ist immer ein Einschnitt. Standorte wie Freiburg können nicht am Reißbrett entwerfen, sorglos durch die Liga zu kommen. Uns, aber auch zehn andere Standorte, kann es immer treffen. Weil die Fernsehgelder in der ersten Liga steigen und diese im Fall eines Abstiegs erheblich wegbrechen, wäre ein schneller Wiederaufstieg von Bedeutung. Über Transfererlöse kann man das ein, zwei Jahre steu- ern, dann muss die Korrektur erfolgen. Sonst wird die Planung deutlich komplizierter. Wir können uns schwerlich mit Köln oder Hamburg vergleichen. Diese Klubs bewegen sich finanziell in anderen Bereichen.
„Die Abwägung – mehr Geld statt Lebensqualität und Zufriedenheit – ist ab einem gewissen Punkt ein schlechter Deal.“Freiburgs Sportvorstand Jochen Saier
Wenn ein Spieler wie Maximilian Philipp zu Borussia Dortmund geht, ist das frustrierend oder gehört das zum System Freiburg dazu?
Saier: Wir bewegen uns in einem Markt mit extremen Fliehkräften. Wenn Dortmund Top-Spieler nicht halten kann, stellt sich erst recht die Frage: Können wir das? Des Öfteren lautete die Antwort Nein. Wir müssen die Balance halten. Wenn wir die Klasse halten, haben wir personell eine gute Ausgangslage für die kommende Saison und können uns mit guten Transfers besser machen.
Auf den ersten Blick ähnelt Ihre Ausgangslage der des FC Augsburg. Saier: Grundsätzlich ja. In der Infrastruktur und bei den Einnahmemöglichkeiten hat Augsburg einen Vorsprung. Ich nehme den FCA deshalb und wegen seiner breiten Kaderstruktur als stabilen Bundesligisten wahr.
Gleiches ließe sich über Freiburg sagen. Saier: Dafür arbeiten wir jeden Tag intensiv. Vielleicht machen wir uns manchmal auch kleiner, als wir sind. Aber alles ist so volatil. Innenpfosten, rein – man hat gut gearbeitet; Außenpfosten, raus – wird alles kompliziert. Fest steht aber auch: Man hält nicht nur aus Glück die Klasse und steigt nicht nur aus Pech ab.
Hannovers Klubboss Martin Kind will die 50+1-Regel kippen, will Geldgebern die Stimmmehrheit eines Klubs übertragen. Wie stehen Sie dazu? Saier: 50+1 ist eine wertvolle Regel, die für die Solidarität in der Bundesliga und die Kultur im deutschen Fußball steht. Die Frage ist doch, wo die Liga hin will? Letztlich ginge es nur noch darum, wer den potentesten Investor bzw. neuen Eigentümer hat – und nicht mehr um den Wert gewachsener Strukturen und von Standorten. Zudem ist klar: Wer Geld gibt, möchte legitimerweise mitentscheiden. Schon jetzt gibt es für Bundesligisten ausreichend Modelle, Gelder zu generieren.
Letzte Frage. Was machen Sie am Samstag um 17.20 Uhr?
Saier: Tief durchatmen. Hoffentlich haben wir dann eine anstrengende Saison positiv abgeschlossen. ● Jochen Saier, 40, übernahm beim SC Freiburg im April 2013 kom missarisch den Posten des Sportdi rektors, im Oktober 2014 ist er für den Bereich Sport in den Vorstand des Bundesligisten aufgerückt.