Die Geschwister arbeiten als Tagelöhner in Thailand
in dem selbst für einen Gesunden das Überleben ein täglicher Kampf ist. „Als Kind war sie oft traurig“, erzählt ihre Mutter Kheng Hart, 56. Weil sie wie die anderen sein wollte. Vieles aber einfach nicht konnte.
Torts Eltern sind Reisbauern. So wie 80 Prozent aller Kambodschaner, die als Kleinbauern von dem leben, was ihre Felder hergeben. Vater Hass Hoy, 60, verdient mit dem Flicken von Fahrrad- und Mopedreifen ein bisschen was dazu. Auf ihrem Grundstück stehen drei einfache Stelzenhäuser aus Holz. Im Hof spielen Torts Nichten und Neffen. Ein paar Hunde dösen in der Sonne, Hühner picken im Staub. Einer der Neffen treibt die sechs Kühe der Familie in den Stall. Auf dem angrenzenden Feld wuchern Bananen, Kürbisse, Wasserspinat und Tabak.
Tort teilt sich mit ihrem jüngeren Bruder und dem kleinen Neffen eine der Hütten, zu der eine steile Treppe hinaufführt. Ein Bett, ein Moskitonetz, ein paar Kisten und Plastiktüten, ein Stapel Hefte und Bücher – das ist Torts Besitz. Die Wand hat sie mit bunten Postern von thailändischen Schauspielerinnen und Sängern tapeziert. Ein paar Säcke voller Reissaat, die fast so hoch sind wie die zierliche junge Frau, teilen den Raum. „Tort ist ehrgeizig“, sagt Kheng Hart stolz. Ein Vorbild. Sie hat trotz ihres Handicaps Radfahren gelernt, später Mopedfahren. Sie holt Wasser an der Pumpe hinter dem Grundstück, hilft der Mutter am offenen Feuer beim Kochen. Sie hat sich ein gleichberechtigtes Leben erkämpft. Obwohl sie jedes ihrer sieben Kinder zur Schule geschickt haben, sagt Kheng Hart, ist Tort die einzige mit Abschluss. Die anderen sind nach der ersten oder der vierten Klasse abgegangen und arbeiten heute im Nachbarland Thailand als Tagelöhner.
„Sogar beim Kühehüten hatte Tort ihre Bücher dabei“, erzählt die Mutter. Sie selbst hatten diese Chance zum Lernen nicht, die Eltern können weder lesen noch schreiben. „Als wir jung waren, wären wir auch gerne zur Schule gegangen“, sagen sie, „aber das gab’s damals nicht.“Als sie jung waren, lag das Land am Boden – durch jahrzehntelange Bürgerkriege und die Terrorherrschaft der Roten Khmer, die einen Einheits-Bauernstaat formen wollten und alle Intellektuellen, Künstler, Wissenschaftler und Lehrer umbringen ließen. Keiner kümmerte sich damals um das Thema Bildung – weil alle damit beschäftigt waren, überhaupt zu überleben. Das ist vier Jahrzehnte her – doch die Folgen sind immer noch spürbar: weil Lehrer fehlen und eine gebildete Mittelschicht.
Tort zieht eine zerknitterte Plastikhülle hervor. Darin bewahrt sie einen Brief auf gelbem Papier auf, den sie wie einen Schatz hütet. Als sie zehn war, wurde Tort als eines der ersten Patenkinder in ihrem Dorf in das Förderprogramm des Kinderhilfswerks Plan International aufgenommen. Sie bekam Unterstützung und Briefe der Pateneltern, einem deutschen Ehepaar. 2500 kambodschanische Kinder haben einen Sponsor in Deutschland. Die Spendengelder aber kommen dem gesamten Dorf zugute, sagt PlanProgramm-Manager Yi Kimthan: etwa in Form von Schulprojekten, Ausbildungsprogrammen, Kinderschutz-Maßnahmen oder Hygieneschulungen. Es geht immer um den gesamten Ort – damit kein Neid entstehe unter den Bewohnern.
Tort hat ihren Highschool-Abschluss gemacht, studiert. Inzwischen ist sie Grundschullehrerin und leitet die Schulbibliothek der Phum Nokor Krao-Grundschule, die elf Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt ist. Mit dem Moped kurvt sie jeden Morgen auf der löchrigen Sandpiste zur Arbeit. Mit den 900 000 Riel – etwa 185 Euro –, die sie dort monatlich verdient, unterstützt sie die Eltern. Und spart einen Teil für ihren großen Traum: In spätestens zehn Jahren, sagt sie, möchte sie als Hochschullehrerin arbeiten und ihre Lieblingsfächer Englisch und Khmer-Literatur unterrichten. Das Lehrerstudium in der Hauptstadt Phnom Penh dauert vier Jahre, es wird staatlich gefördert, einen Teil davon müssen die Studenten aber selbst aufbringen.
Nach Angaben der Regierung gehen in dem Land, in dem 40 Prozent der Bewohner jünger als 18 Jahre sind, 98 Prozent aller Kinder zur Schule. Doch was heißt das schon – in Klassen mit 50 oder 60 Kindern? In Schulen, in denen ein Lehrer drei Klassen gleichzeitig unterrichten muss, weil zu wenige Kollegen aufs Land wollen? Jedes dritte Kind verlässt die Schule nach der vierten Klasse. Um dann – wie Torts Geschwister – als Hilfsarbeiter auf dem Feld zu schuften, in den Textilfabriken oder in Thailand auf dem Bau.
Vor allem für Mädchen reicht die Grundschule aus, meinen viele Eltern. Weil sie sowieso heiraten. Kinder kriegen. Das Haus versorgen. Dieses Rollenbild ist tief verankert in der kambodschanischen Gesellschaft. Jedes Schulkind hat das „Chbab Srey“, ein Gedicht aus dem 19. Jahrhundert, bis 2007 im Unterricht gelernt. In einer verkürzten Version wird es bis heute gelehrt. „Der Weg, eine perfekte Frau zu