Drogen an Minderjährige verkauft
Ein 33-Jähriger ist wegen Abgaben von Marihuana an Jugendliche in 26 Fällen angeklagt. Ein folgenschwerer Satz kostet ihn die Freiheit
Landkreis Wenn sein „Berufshandy“klingelte, dann wusste er meist schon Bescheid. Er fragte nur noch auf Englisch, wie viel und nannte die Kosten auf die Antwort – 15 Euro für ein Gramm Marihuana. Bei zwei Gramm kostete die Bestellung das Doppelte. Die Kontakte knüpfte er zu Beginn selbst, sprach junge Menschen vor Supermärkten an und fragte, ob sie Marihuana rauchen wollen. Innerhalb weniger Monate war sein Spitzname in entsprechenenden Kreisen bekannt. Wer Drogen kaufen wollte, rief eben an. Dann traf man sich, entweder am Bahnhof in Nördlingen, an der eigenen Unterkunft, bei den Frickhinger-Anlagen oder vor dem Supermarkt. Mal war er selbst da, mal ein Freund, mal eine ganze Gruppe. Über eineinhalb Jahre hatte er damit einen guten Nebenverdienst – insgesamt mehrere hundert Euro. Dass es sich bei seinen „Kunden“oft um Minderjährige gehandelt hat, wusste er. Für die meisten waren es die ersten Kontakte zu dem Rauschmittel. Nun musste sich der mittlerweile 33-jährige Afrikaner vor einem Schöffengericht mit Vorsitzender Andrea Eisenbarth in Nördlingen verantworten. Er war in 26 Fällen wegen Abgaben von Drogen an Minderjährige und in elf Fällen wegen unerlaubten Handels von Betäubungsmittel angeklagt. Die Straftaten ereigneten sich in dem Zeitraum vom Juni 2015 bis September 2016.
Flankiert von zwei Justizvollzugsbeamten und an Handschellen gekettet, betritt der Angeklagte den Gerichtssaal. Er verzieht keine Miene, wischt sich aber immer wieder mit der Hand über das Gesicht. Seit Februar sitzt er wegen eines anderen Deliktes in Untersuchungshaft, jetzt könnte eine Haftstrafe folgen – denn auf eine Abgabe von Drogen an Minderjährige steht eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Zu Beginn der Verhandlung will sich der Angeklagte nicht zu den Vorfällen äußern: Zuerst sollen die Zeugen reden, so der Angeklagte. Bei einem heute 17-Jährigen wurde vor mehr als zweieinhalb Jahren Marihuana im Zimmer gefunden. Bei seiner früheren Aussage bei der Polizei im November 2015 gab er den Namen und die Telefonnummer des Angeklagten an. Nun sitzt er als Zeuge vor Gericht. „Ich habe mir fünf- bis sechsmal etwas bei ihm gekauft“, sagt er. Damals war er gerade einmal 14 Jahre alt. Auf die Nachfrage der Richterin Andrea Eisenbarth, ob der Angeklagte sein „Dealer“sei, identifiziert er ihn. Ebenso belastend für den 33-Jährigen sind weitere Zeugenaussagen von jungen Männern, die als Minderjährige Drogen bei ihm kauften. Alle Schilderungen sind ähnlich – zuerst kam der Anruf für die Bestellung und dann das Treffen an den vereinbarten Orten. Die Situation für den Angeklagten bessert sich nicht, als ein Polizist erzählt, dass die Beamten bei einer Durchsuchung seiner Unterkunft mehrere Gramm Marihuana und Verpackungsmaterial fanden. Nach dem die Beweislage erdrückend erscheint, beginnt auch der 33-Jährige im Gerichtssaal zu reden. „Ich hatte keine Chance in Deutschland, es tut mir leid. Manches davon habe ich getan, manches nicht“, sagt er mit ruhiger Stimme.
Für Staatsanwältin Irmina Palczynska ist das ein Teilgeständnis, das nicht mehr ins Gewicht fällt. Sie plädiert für eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, da der Asylantrag des Angeklagten abgelehnt wurde und er keine Bindung zum Landkreis habe. Strafverteidiger Roman Gercek äußerte Zweifel an der Glaubhaftigkeit mancher Zeugen und sieht eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren als angemessen an. Noch vor dem Urteilsspruch sagt der Angeklagte einen für ihn folgenschweren Satz: „Ich möchte nach Italien zurück.“Das Schöffengericht hat keinerlei Zweifel an den Vorwürfen und verurteilt ihn zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, der Haftbefehl wird noch am selben Tag in Vollzug gesetzt – wegen der bestätigten Fluchtgefahr.