Donauwoerther Zeitung

Wenn es klingelt, ist es Blindentor­ball

Der SV Reha Augsburg schafft den Verbleib in der Bundesliga. Was den Sport ausmacht und warum mehr Spannung dahinterst­eckt, als auf den ersten Blick zu sehen ist

- VON GALINA BAUER

Augsburg/Donauwörth Werner Maier sitzt auf dem Boden, er ist still, versucht sich so wenig wie möglich zu bewegen. Der 52-Jährige trägt eine Augenbinde, sobald er eine Bewegung auf dem gegnerisch­en Spielfeld wahrnimmt, weiß er, der Ball ist unterwegs. Sofort wirft er sich auf den Boden, wird zur menschlich­en Zielscheib­e. Der 450 Gramm schwere Ball trifft nicht das Tor, prallt an Maier ab. Er greift sich den Ball, tippelt vom linken Spielfeldr­and an den rechten, holt von unten aus, fast so, als wolle er einen Strike beim Bowling erringen und wirft. Zwei Pfiffe signalisie­ren dem Sportler: Tor.

Maier kommt aus Donauwörth und spielt seit 1990 für Augsburg Blindentor­ball. Der SV Reha ist einer von 21 Vereinen in Deutschlan­d, die sich bis 2016 noch über eine Nord- und Südrunde für die Meistersch­aft qualifizie­ren mussten. Vor zwei Jahren führte der deutsche Blinden- und Sehbehinde­rtenverban­d den Ligabetrie­b ein. Pro Liga spielen sieben Teams. Die ersten fünf Plätze halten die Klasse. Der SV Reha trat zunächst in der zweiten Liga an, stieg aber noch in derselben Saison auf. Erst kürzlich schafften es die Augsburger knapp, in der ersten Bundesliga zu bleiben – auch wenn die Spieler des SV Reha nicht mehr zu den jüngsten zählen.

Wer ein Blindentor­ballduell zum ersten Mal sieht, ist mitunter verwirrt. In der Halle herrscht Stille. Eine Partie dauert zehn Minuten, gespielt wird drei gegen drei. Die Sportler sitzen jeweils auf einer ein Mal zwei Meter großen Matte auf dem Boden – sie dient der Orientieru­ng. Hinter den Spielern das Tor, das sich über die gesamte Grundlinie erstreckt. In der Mitte des Spielfelds sind drei Leinen gespannt, die mit einem Glöckchen versehen sind, genauso wie der Spielball. Wer die Leinen berührt – mit Ball oder Körper – bekommt einen Strafstoß. Wirft ein Spieler, fallen gleich drei auf der gegenüberl­iegenden Seite um. Gegenangri­ff. Wieder liegen drei auf der Matte. Hin und wieder flüstert ein Spieler eine Zahl oder schnippt kaum wahrnehmba­r. Verklausul­ierte Anweisunge­n – umfallen ist also nicht gleich umfallen, dahinter stecken Überlegung­en.

Für Augen und Ohren, die an schnelle Pässe beim Fußball, emotionale Trainer und laute Fangesänge gewöhnt sind, könnte es an Spannung und Tempo fehlen. Doch der Schein trügt, versichert Werner Maier, der schier pausenlos über Taktik philosophi­eren kann. „Wenn man im richtigen Winkel wirft, kann man ein Schlupfloc­h finden“, erklärt Maier. Während seine Kollegen gerade trainieren, steht er am Spielfeldr­and. Er hört heraus, ob die Spieler sich vor, links oder rechts von der Matte befinden, wer angreift und bei wem der Ball gerade angekommen ist. Wie so oft ihm Leben lässt ihn sein Gehör nicht im Stich.

Mit 23 Jahren begann sein Augenlicht sich zu verschlech­tern. Damals spielte er noch Fußball. Als das nicht mehr ging, wechselte er zum Blindentor­ball. Heute hat er nur noch ein Prozent seiner Sehkraft. Beim Torball spielt es keine Rolle, ob oder wie viel jemand sieht. Theoretisc­h können auch Sehende mitspielen. Denn: Für gleiche Verhältnis­se sorgt eine Augenbinde.

Was einen guten Torballspi­eler ausmacht? „Er ist schnell, beweglich, hat eine gute Kondition und kann sich auf dem Spielfeld orientiere­n“, sagt Werner Maier. Auf Masse, mit der man den Ball abfangen kann, komme es nicht so sehr an. Auf einen gezielt scharfen Wurf und Reaktionsv­ermögen dagegen schon. Als Blindentor­ball 1963 in Augsburg eingeführt wurde, gab es noch junge Spieler. Heute ist Willi Brem, dreifacher Paralympic­ssieger im Biathlon, mit 40 Jahren der jüngste. Das Urgestein der Mannschaft ist Erwin Pelz. Er ist 77 Jahre alt. „Wir machen das aber mit Routine wieder wett“, sagt Maier.

Bundesweit klagen Vereine über mangelnden Nachwuchs. Beim SV Reha wird das besonders deutlich. Gabriele Pelz trainiert die Mannschaft seit über 50 Jahren. Gemeinsam mit Bärbel Maier organisier­t sie das Training, holt die Spieler vom Bahnhof ab, ist Mädchen für alles. „Ich würde gerne aufhören, sagt die Rentnerin. „Aber ich finde keinen Nachfolger.“Werner Maier erklärt das wenige Interesse für Blindentor­ball so: „Das ist ein harter Sport. Ja fast schon Schinderei.“Immerhin lasse man sich freiwillig abwerfen. Das Hinfallen und Wiederaufs­tehen sei ermüdend. „Junge Menschen finden das zu anstrengen­d.“

Für Maier ist Blindentor­ball mehr als eine Sportart. Weil die Anzahl an Spielern deutschlan­dweit überschaub­ar ist, kenne jeder jeden, erklärt der Donauwörth­er. „Wir sind fast wie eine Familie.“Außerdem habe man als Blinder nicht allzu viel Sportarten zur Auswahl. Als ehemaliger Fußballer genießt Maier den Ballkontak­t umso mehr.

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Foto: Bauer Beim SV Reha Augsburg ist der Donau wörther Werner Maier der Mann für ge fährliche Angriffe.

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