„Natürlich treten wir Leuten auf den Schlips“
Hajo Seppelt hat das russische Staatsdoping aufgedeckt und gilt dort seitdem als Staatsfeind. Fraglich ist, ob er zur Fußball-WM einreisen darf und will. Im Verhalten Russlands sieht er ein bekanntes Muster aus der Politik
Hajo Seppelt spricht mit leiser Stimme. Der formuliert seine Sätze mit Bedacht, scheut aber keine klaren Aussagen. Auf sein Konto geht eine der größten Enthüllungen des Sports. Seppelt hat aufgedeckt, dass in Russland massiv gedopt wurde, als es darum ging, bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi ein gutes Bild abzugeben. Staatsdoping nennt er das, was die Putin-Regierung bestreitet. Seppelt hat sich mit seinen Recherchen mächtige Feinde gemacht. Während der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro stand er unter Personenschutz. In Russland gilt er als Staatsfeind. Aufhalten lässt sich Seppelt davon nicht. Die Fußballklubs besitzen eine stärkere Eigenständigkeit, als es in den olympischen Sportarten der Fall ist. Dass es Doping im Fußball gab, ist unstrittig, aber es war nach unseren Recherchen nicht so stark ausgeprägt wie beispielsweise in der Leichtathletik.
Es gibt Menschen, die behaupten, Doping nutze im Fußball gar nichts. Zuletzt hat sich sogar Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Teamarzt des FC Bayern und der Nationalmannschaft, zu dieser Theorie bekannt. Wie bewerten Sie das?
Seppelt: Was soll ich darauf antworten? Die Erde ist eine Scheibe? Man fragt sich dann nur, warum so viele Fußballer überhaupt gedopt haben, wie ja allein schon ein Blick ins Archiv zeigt. Ich weiß auch nicht, ob Müller-Wohlfahrt seine Aussage wirklich so ernst gemeint haben kann. Oder ob das eine unbedachte Äußerung war. Es belegen unzählige Dokumente und Hinweise, dass sehr viele offensichtlich anders darüber gedacht und gehandelt haben. Ob in Italien, Frankreich, Südamerika oder auch, wenn wir etwa nur an Toni Schumachers Buch „Anpfiff“denken, auch in Deutschland. In so einem athletischen Sport wie Fußball spielen
Kraft und Ausdauer natürlich eine Rolle.
Und diese beiden Dinge sind durch Doping sehr gut zu beeinflussen, wie jedem Experten klar ist. Insofern ist das eine Aussage, die der Realität nicht standhält. Seppelt: Die Belege zum Staatsdoping sind so deutlich und massiv, dass der Weltsport es anerkannt hat. Sonst hätte es die ganzen Sanktionen gegen Russland ja nicht gegeben. Und das wird auch noch weitergehen, auch wenn manche Leute glauben, dass das Thema nun vom Tisch sei. Es wird vermutlich noch etliche Fälle geben, die sanktioniert werden. Wer das Staatsdoping bestreitet, will nicht richtig hinschauen. Ich empfinde das Verhalten Russlands aber nicht als Bestätigung, merke nur, dass sie sehr empfindlich getroffen zu sein scheinen. Außer einem permanenten Nein, also Abstreiten, kommt da ja nicht viel an Gegenargumenten. derzulassung der Russischen AntiDoping-Agentur. Man wird jetzt mit Spannung verfolgen dürfen, wie die Wada regiert. Russland bleibt also eigentlich weiter stur und bewegt sich allenfalls in kleinen Schritten. Momentan ist das ein Ringen um Worte.
Empfinden Sie das russische Verhalten als persönliche Bedrohung? In den sozialen Netzwerken werden Sie teilweise massiv beschimpft und auch bedroht. Es ist ja bekannt, dass Sie beispielsweise während der Olympischen Sommerspiele in Rio unter Personenschutz standen …
Seppelt: Ich schaue mir das alles genau an. Das Ausmaß der Reaktionen speziell aus Russland ist manchmal schon krass. Ich habe in vielen Ländern der Welt recherchiert. In Südamerika, Mittel- und Nordamerika. In Afrika. In vielen Ländern Europas. In Deutschland natürlich, in China. Natürlich treten wir Leuten immer auf den Schlips mit dem, was wir tun. Weil wir die Interessen der Lobbyisten aus dem Sportbusiness tangieren. Das können die natürlich nicht gut finden. Aber so massiv, wie Russland reagiert, das ist tatsächlich schon eine andere Ebene. Das heißt, dass man lernen muss, damit umzugehen und sich darauf einzustellen. hen einiger Sportfunktionären dem ein oder anderen in den Redaktionen ein Licht aufgegangen ist, in welchem Milieu man sich da mitunter bewegt.
Haben Sie den Eindruck, dass sich durch Ihre Berichterstattung etwas an der Dopingproblematik geändert hat? Seppelt: Ich glaube schon, dass das Publikum durch die jahrelange intensive Berichterstattung – nicht nur von uns, sondern weltweit – auch die anderen Seiten des Sport-Business mehr wahrnimmt und sich dadurch ein besseres Bild von manchen Umständen machen kann. Dadurch wird der Sport heutzutage sehr viel kritischer wahrgenommen, weil das Bild realistischer ist. Nicht zuletzt deshalb sind Olympia-Bewerbungen gerade in westeuropäischen Ländern, wo besonders intensiv über Missstände berichtet wird, oft nicht mehr mehrheitsfähig. Früher hat die Berichterstattung solche Dinge einfach ausgeblendet. Das ist heute anders.
Haben Sie dann auch den Eindruck, dass wir heute einen saubereren Sport sehen als noch vor 20 Jahren? Seppelt: Man soll es kaum glauben, aber ich denke tatsächlich, dass der Sport heutzutage sauberer ist als noch vor 20, 30 Jahren. Nur haben wir durch die intensive Berichterstattung den Eindruck, dass es noch viel schlimmer geworden sei. Ich glaube, dass nur mehr sichtbar geworden ist von den teilweise katastrophalen Zuständen im internationalen Sport. Vor 20, 30 Jahren konnten die zwielichtigen Gestalten noch hinter den Kulissen im Schatten arbeiten. Vor allem das AnabolikaDoping grassierte extrem. Dem wurde kaum Einhalt geboten, weil es kaum Kontrollen gab. Der Vertuschung im großen Stil waren noch mehr Tür und Tor geöffnet. Deshalb waren die Zustände vermutlich noch schlimmer, als sie es heute sind. Nur heute ist es zumindest in manchen Ländern nicht mehr ganz so einfach, Korruption im Sport zu verschleiern. Die Gefahr der Aufdeckung ist größer geworden. Hajo Seppelt, 55, begann seine Lauf bahn 1985 als Sportreporter bei der ARD und kommentierte vor allem Schwimmwettkämpfe. Seit 2006 arbeitet er als freier ARD Journalist mit dem Schwerpunkt Doping. Am 7. Juni wird ihm von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier der Ver dienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen. (AZ)