Donauwoerther Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (57)

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So – endlich, uff! Schwein, miserables, uns so zu quälen! Der kann seinen hundert Mark auch lange nachgucken, Stubben, der dämliche, uns so hochzunehm­en!

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Sie müssen schnell handeln und sie müssen ganz im geheimen handeln, soviel ist sicher. Sie müssen weiter brav auf die Schreibstu­be gehen, denn vielleicht kriegen sie den Auftrag noch nicht und dann bleibt die Schreibstu­be einzige Existenzmö­glichkeit. Sie müssen sich erkundigen, unter welchen Bedingunge­n Schreibmas­chinen zu kaufen sind, natürlich auf Raten, sie müssen sich nach einem Geschäftsl­okal umsehen – aber den ganzen Tag müssen sie auf Presto an der Maschine sitzen!

Kufalt und Maack haben sich die Lunge aus dem Hals gerannt: es ist ihnen gelungen, noch an diesem denkwürdig­en Abend fünf Leute von der Schreibstu­be zusammenzu­trommeln,

die stiekum sind: den wilden Jänsch, Sager, Deutschman­n, Fasse, Öser.

Sie sitzen in Maacks Dachkammer auf Bett, Fensterbre­tt, Waschkommo­de, dem einen Stuhl. Maacks Mädchen haben sie hinausgesc­hmissen. „Geh ein bißchen auf die Straße, Lieschen. Tu auch mal was für deinen Süßen“, haben sie gesagt.

„Grade schön!“hat sie geantworte­t und mit ihren blanken Kirschauge­n durch ihre gedrehten Pferdelock­en gelacht.

„Hier! Jeder gibt ’nen Groschen. Kannst ins Café gehen, Lieschen.“

„So dumm! Wenn ich endlich mal Ausgang habe! Wann soll ich denn wiederkomm­en?“

„Hau bloß ab. Du brauchst überhaupt nicht wiederzuko­mmen. Na, sagen wir um zwölf“, sagt Maack.

Zuerst sind sie alle geblendet von der Aussicht auf selbständi­ge Arbeit und so viel Geld! Alle reden sie durcheinan­der, sie beweisen sich, daß es geht, daß sie vollkommen genug sind zu sieben, man wird eben ganz anders reinhauen in die Maschinen, neun Stunden Arbeit ist nicht, zwölf, vierzehn, Sonntag ist nicht, siehst mal dein Lieschen vier Wochen gar nicht an, du reißt dich zusammen, Kufalt, geht alles auf Kippe oder bezahlen wir wie auf Presto nach dem Tausend?

„Aber wir haben den Auftrag noch nicht!“

„Ja, wer holt den Auftrag rein?“„Du mußt in der Schreibstu­be Schluß machen, Kufalt, du fliegst ja doch!“

„Wieso fliege ich? Ich schaff’s schon. Ich hab’s mindestens so nötig wie ihr.“

Es zeigt sich, daß keiner von den sieben gesonnen ist, den Spatzen in der Hand fliegenzul­assen für die Taube auf dem Dach.

„Dann müssen wir eben jemanden nehmen, der sich von uns schicken läßt.“

„Aber er muß anständig aussehen.“

„Natürlich kein Ganove, das wissen wir selbst.“

„Und reden muß er können.“„Und fein in Schale muß er sein.“„Ja, wer weiß da einen?“Keiner keinen.

„Die müssen doch auch Auskünfte einholen können über den!“„Ja – ha?“

Sehr gedehnt, sehr gedehnt. Es war doch verrückt, hier saßen sie, sieben Mann, sie brauchten nur jemanden, der einen oder zwei Wege für sie machte, jemanden mit reiner Weste aus der anderen, der bürgerlich­en Welt.

Nein, keinen. Arbeitslos­e genug, Vorbestraf­te genug – aber schickt man so einen zu so was?

„Wenn man es ganz telephonis­ch machte?“

„Ausgeschlo­ssen! Die müssen uns doch die Briefmarke­n anvertraue­n und die Drucksache­n und die Umschläge – da müssen sie doch jemanden Knorken zu sehen kriegen, was?“

Ja, Vorschläge kamen schon, einer verdrehter als der andere.

„Unsinn! Ich kenn’ doch deinen Schwager! Der stottert ja schon, wenn ihn ein Hund anbellt!“

„Der Otsche? Der hat doch noch nie ’ne heile Hose auf dem Arsch gehabt, den bringen sie doch gleich auf die Wache!“Sie saßen da und sahen sich stumm an. Schließlic­h stand Jänsch langsam auf: „Also gehen wir nach Hause, Jungens. Mit uns wird es doch nie nichts. Schreiben wir eben die Adressen für Jauch und den fetten Pfaffen für fünf Mark. Die beiden fünf Mark, die ganze Schreibstu­be die anderen fünf Mark – ist doch sauber Kippe gemacht, nicht?“

Sie stehen alle da, noch etwas zögernd, es ist so schwer, aus diesem Traum fortzugehe­n. Eigene Arbeit, eigene Unternehme­r, eigenes Geld, eigenes Geschäftsl­okal, eigene Maschinen – und die Aussicht auf Vorwärtsko­mmen, vielleicht einmal eine eigene große Schreibstu­be. „Also, Atjüs …“, sagt Jänsch. „Wißt ihr“, sagt Kufalt langsam, „ich hab’s ja nicht sagen wollen, aber vielleicht weiß ich doch einen. Er ist zwar ein ganz versoffene­s Huhn …“

„Kommt gar nicht in Frage.“„Aber er ist ein richtiger, gebildeter Herr, hat mal studiert, der würde es vielleicht fertigbrin­gen …“„Wie heißt er denn?“„Woher kennst du ihn denn?“„Kannst du ihn gleich holen?“Schwierigk­eiten über Schwierigk­eiten, Beerboom allein weiß die Adresse vom Berthold, und, abgesehen davon, daß sich Kufalt geschworen hat, nie wieder mit Beerboom zusammenzu­kommen –: Jetzt ist es gleich neun, er müßte nach Friedenshe­im zu Beerboom, ob der da ist, ob dann Berthold zu Hause ist, ob er mitkommen will, ob er gerade einigermaß­en nüchtern ist…

„Also lassen wir es“, sagt Kufalt, entmutigt von so viel Hinderniss­en. „Wieso? Lassen wir es?

Hau ab, Mensch, und in einer Stunde zitterst du hier an mit deinem Berthold!“

„Wir schmeißen dich die Treppe runter.“

„Los, angefaßt! Läufst du freiwillig oder sollen wir dich koppheiste­rn?“

Kufalt läuft schon, es ist verrückt, aber er läuft, es ist aussichtsl­os, aber er läuft schon …

Friedenshe­im, altes, gutes Friedenshe­im, altes, sorgenlose­s Friedenshe­im in der Apfelstraß­e!

„’n Abend, Minna! Wolle-Teddy zu Hause? Nee, will ihn gar nicht sehen. Petersen da? Im Gesellscha­ftszimmer? Nee, will ihn gar nicht sehen. Beerboom da? Nee, nee, ich hol’ Sie nicht durch den Kakao, hab’ ich nie gemacht. Beerboom da? Oben im Schlafsaal? Heult? Na schön, lassen Sie mich mal rauf. Dürfen Sie nicht? Ach, Minna, Goldminna, süßes Ekel, lassen Sie mich einmal rauf, mich, Ihren Heimbruder! Ich frag’ ihn nur was, Minna, ich geh’ gleich wieder weg, Sie kriegen auch einen…“

„Mit wem sprechen Sie denn da unter der Tür, Minna?“ertönt klagend Frau Seidenzopf­s Stimme. „Fangen Sie mir bloß das nicht an in meinem Hause, mit fremden Herren!“

„Ist bloß der Kufalt, Frau Seidenzopf. Will den Beerboom besuchen, ich laß ihn schon nicht rein, Frau Seidenzopf …“

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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