Der letzten Ausreden beraubt
Wer tatsächlich der Meinung ist, dass jedem Anfang ein Zauber inne wohnt, frage einmal seine übergewichtige Tante nach ihrem Befinden vor dem Start der nächsten Diät. Auch der Start in eine Weltmeisterschaft ist bei aller Vorfreude nicht nur von feiner Magie geprägt. Das gilt für die Spieler wie für die Journalisten.
Ungewissheit. Stimmt der Formaufbau? Auch das fragen sich Reporter. Waren die letzten Texte nicht von erschreckender Schlichtheit geprägt? Über allem schwebt die Frage nach den Arbeitsvoraussetzungen. Was dem Jogi sein feines Geläuf ist, ist dem Schreiber eine stabile Internetverbindung. Ohne Internet keine Texte.
Das Hotel Salut, in dem ein Großteil der deutschen Journalisten während der WM schläft, arbeitet und abends bei einem Bier die Trainingseindrücke diskutiert, ließ erwarten, dass kein Buchstabe jemals die Bettenburg, geschweige denn Moskau verlässt. Eine 20-stöckige Reminiszenz an die sowjetische Architektur-Kunst des kalten Krieges. Eingebettet in ein Wohnviertel, das Wiesenhof als ökologische Freilufthaltung erscheinen lässt. Auf Fassadenfarbe, die hätte abblättern können, wurde wohlweislich verzichtet.
Was nun aber zählt, sind die inneren Werte. Und die bestechen durch schnelle Übertragungsraten. Eine Internetverbindung, die der Deutschen Bahn jegliche Argumente beraubt, weshalb es schwierig sein könnte, Züge eine schnelle kabellose Datenanbindung an die Außenwelt angedeihen zu lassen. Was im Zarenbau funktioniert, sollte auch im ICE klappen.
Und weil auch der DFB in seinem schicken Medienzentrum für optimale Arbeitsbedingungen gesorgt hat, gibt es nun keinerlei Gründe für laue Kommentare oder als Einschlafhilfe dienende Reportagen.
Ob aus Russland von Siegen oder Niederlagen der deutschen Mannschaft berichtet wird, ist hingegen noch vollkommen offen. Trainiert wird auf dem Trainingsplatz von ZSKA Moskau. Ein Platz, der auch in jedem Bundesligastadion als Spielfläche dienen könnte.
Das Ambiente aber hat so gar nichts mit der Idylle des Triumphes von Brasilien gemeinsam. Hier grenzt kein Strand an das Quartier des Teams sondern bestenfalls als Zweckbauten zu bezeichnende Wohnblocks. Das Campo Bahia ist Vergangenheit, man wolle nun eine eigene Geschichte schreiben, sagt Oliver Bierhoff dazu. Ob es eine Geschichte des Erfolgs oder der Enttäuschung wird, weisen die kommenden Wochen. An dieser Stelle wird sie dokumentiert. Dank des russischen Internets.