Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (65)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. ©Pr
Maack belohnte ihn: „Du, Deutschmann, gehst mit Fasse und mietest uns ein Geschäftslokal. Möglichst in der Nähe von der Firma – wie heißt sie doch?“
„Emil Gnutzmann, Stielings Nachfolger“, half Kufalt aus.
„Also schön. Ein Zimmer genügt. Meinethalben unter’m Dach. Gutes Licht. Nicht mehr als dreißig Mark …“
„Ob ich das schaffe!“„Keinesfalls mehr als dreißig Mark!!! Hier hast du Geld, unterschreib die Quittung. Und lass dir eine von unserem neuen Hauswirt geben …“
„In Ordnung“, sagt Deutschmann. „Mach’ ich. Wer sorgt für Lampen?“
„Wart’s ab. Sie, Herr Jänsch…“„Hör bloß mit dem Getu auf! Hier nennen wir uns jetzt alle du, wo wir schon unser Geld zusammengeschmissen haben.“
Maack sagt höflich: „Danke schön, Jänsch. Also, ich bitte dich, geh mit Sager und Monte los und
besorg die Möbel. Vielleicht kriegt ihr Leihmöbel, sonst kauft ihr einfach Böcke, über die man Bretter nageln kann. Dazu drei, vier alte Ziehlampen. Hier ist Geld und Quittung. Und bitte Belege mitbringen.“
„Versteht sich alles. Sabbel bloß nicht so viel.“
„Ich geh mit Kufalt und besorg die Maschinen. Um sieben Uhr dreißig treffen wir uns hier bei Kufalt wieder, und melden, wie alles erledigt ist.“Mit ernster Besorgnis: „Aber, Jungens, ihr wißt, es muß klappen, morgen müssen wir unbedingt sitzen und tippen.“
„Besorg du nur die Maschinen, ich schaff die Möbel schon an.“„Und ich die Wohnung.“„Und was mach’ ich?“fragt Oeser. „Ja, du“, sagt Maack und wird von einer fast verlegenen Feierlichkeit ergriffen. „Für dich hab’ ich einen Spezialauftrag…“
„Quatsch dich rein aus. Daß ich die dreckigste Arbeit machen soll, ist mir schon klar.“
„Gar nicht. Nur, ich weiß nicht, ob es dir unangenehm ist. Ich muß dich was fragen, ich habe mal so was gehört …“
„Nu aber los, Maack“, sagt Jansen.
„Ich hör’ zu“, sagt Oeser. „Zuhören kann man, man muß nicht gleich hauen.“
„Also ich hab’ so was gehört, Oeser“, fängt Maack wieder an, „aber es kann natürlich Gesabbel gewesen sein …“
„Jetzt hau’ ich aber gleich!“erklärt Jänsch. „Falschmünzerei?“fragt Maack. Oeser ist ein langer, schlenkriger Mann, Mitte der Dreißiger, mit einem kantigen, scharfen Gesicht, fuchsroten Haaren, langen Händen mit komischen Fingern, die überall Buckel zu haben scheinen.
„Sabbel nur weiter“, sagt er. „Ich hör’ schon zu…“
„Ihr wißt doch, der Kufalt soll morgen eine Bestätigung abgeben über die Vereinbarung zwischen unserer und deren Firma. Nun haben wir doch keine Briefbogen mit Firmeneindruck und kriegen so schnell keine und wissen noch nicht einmal, wo wir wohnen. Ob du das wohl kannst, daß du uns einen oder zwei Briefbogen machst mit der Hand, weißt du, daß sie genauso wie gedruckt aussehen? Hast du mal die von Presto gesehen?“
„Red nur weiter, ich schlag’ dir schon zur rechten Zeit hinter die Löffel.“Aber Oeser grinst.
Darum fährt Maack auch eifriger fort: „Briefbogen müssen wir haben, es macht sonst einen zu schlechten Eindruck. Und, weißt du, es müßte ein bißchen nett aussehen, so was Modernes, vielleicht ein junges Mädchen an der Schreibmaschine, Schreibstube Cito-Presto, modernster Betrieb des Kontinents, und dann noch: Unerhört rasch – unerhört billig – unerhört genau, und ein Blitz vielleicht durch alles. Weil wir so schnell arbeiten. Aber es müßte genau wie Gedrucktes aussehen …“
„Arschloch!“brüllt Oeser los, aber begeistert. „Hund, dämlicher! Ich habe Zwanzigmarkscheine gemacht mit den Guillochelinien, das sind die ganz feinen verschlungenen Linien, die kein Mensch nachmachen kann, und ich hab’ sie nachgemacht und kein Mensch hat’s gemerkt und die Reichsbank hat sie in Zahlung genommen – und ich soll nicht so ’nen Pimpel-Pampel-Pumpel-Druck-Briefbogen nachmachen können?!!! Kohlköppe, ihr, von wegen Blitz, weil wir so schnell arbeiten! Haut bloß alle ab, laßt mich allein, und heute abend um sieben Uhr dreißig sollt ihr Bauklötzer husten! Gib mir fünf Mark her, ich unterschreib’, kriegst nachher die Belege… Geht doch los, ihr, glotzt nicht so – Kindersch, so ’ne Arbeit, das ist doch ’ne Arbeit für ’nen Facharbeiter! Ich hab’ immer gedacht (glotzt nicht so!), wenn ich so ’ne Arbeit noch mal im Leben kriege, aber solide, solide, denn bei mir stinkt’s immer nach Zet – ach, haut bloß ab, laßt ’nen Arbeiter seine Arbeit alleine arbeiten… Haut bloß ab!“
„Der ist ja rein durchgedreht!“„Na, mach’s gut, Oeser!“„Mach bloß keine Zwanzigmarkscheine auf die Bogen!“
Und lachend ziehen sie los. Sicher war die Aufgabe keiner Abteilung ganz leicht, aber ebenso sicher – darüber waren sich Maack und Kufalt ganz einig –: ihre Aufgabe war die schwerste. Sechs Schreibmaschinen für hundertachtzig borgen, leihen, kaufen – das war schon so eine Sache. Sie hatten ihre Hoffnung auf Herrn Louis Grünspohm gesetzt. Louis Grünspohm inserierte regelmäßig in den Hamburger Zeitungen, daß man auf seinem unerhört reichhaltigen Lager gebrauchte und neue Maschinen, die modernsten Maschinen aller Systeme, kaufen könne. In Monatsraten von zehn Mark an!
Es erwies sich, daß das Geschäftslokal des Herrn Grünspohm in einer etwas abgelegenen, dunklen Trödelgasse lag, daß Herr Grünspohm ein langer, bleicher, strubbelbärtiger Mann war, der über Schreibmaschinen aller Modelle seit Erfindung der Schreibmaschine an befehligte, daß man aber mindestens einen Ministerpräsidenten oder Bankdirektor als Referenz aufgeben mußte, um in den Genuß einer Monatsrate von zehn Mark zu gelangen. Grünspohm sah die beiden Kunden mit seinen eiligen, trüben, schwarzen Äuglein unverwandt an und sagte dabei: „Nehmen Sie doch die! So eine schöne Maschine! Neunzig Mark, zwei Drittel Anzahlung bar, der Rest auf Vierteljahreswechsel mit einem guten, sicheren Giranten.“Die beiden sahen die schöne Maschine an: sie trug auf ihrer Stirn eine Tabelle mit Buchstaben, eine Nadel tippte den gewünschten Buchstaben, eine Walze kam ins Trudeln und wackelte gegen das Papier, oho, oho, schon stand ein Buchstabe auf dem Papier – Kufalt und Maack bewegten die Schultern.
„So ein schönes Maschinchen“, versicherte Herr Grünspohm. „Wie eine Puppe schreibt es, wie eine Puppe!“(Und das war nicht einmal gelogen.) „Ich will Ihnen was sagen“, erklärte Maack.