Zu viel getankt
Eine skurrile Geschichte über eine Notlage, einen Haarschnitt und jede Menge Alkohol
Nördlingen Es war eine skurrile kleine Geschichte, die zusehends eskalierte: Ein 60-jähriger Nördlinger traf Anfang dieses Jahres auf der Straße einen Lkw-Fahrer in Not. Der klagte, er habe seine Schlüssel verloren und sitze mit dem Laster fest. Der Mann nahm ihn mit nach Hause, ließ ihn duschen, schnitt ihm die Haare und sie feierten ausgiebig. Sehr ausgiebig. In der guten Stimmung wollte der Lkw-Fahrer seinem Gastgeber unbedingt eine Belohnung zukommen lassen. Geld nahm dieser nicht an, aber zum Auto volltanken ließ er sich überreden.
Also fuhren die beiden nach ihrer feuchtfröhlichen Feier zur nahen Tankstelle und ließen auch das Auto volllaufen. An der Kasse gab es dann Ärger: Der Lkw-Fahrer bezahlte nur 50 Euro, die Rechnung lag aber bei mehr als 60 Euro; vielleicht hatte er ja nicht mehr dabei. Jedenfalls fuhr der Gastgeber mit seinem Gast davon. Zum Abbiegen aus der Tankstelle auf die Straße brauchte er beide Fahrbahnen und noch den Gehsteig der Gegenseite dazu. Der Tankstellenkassierer meldete wegen des Fehlbetrags sofort Tankbetrug bei der Nördlinger Polizei und gab das Autokennzeichen durch.
Zwei Streifenwagen der Nördlinger Polizei fuhren parallel los – einer zur Tankstelle, einer zur Wohnung des Autobesitzers. Die Beamten fanden den Fahrer völlig betrunken in der Wohnung vor, stellten beim Alkoholtest
2,4 Promille fest; der amtliche Bluttest ergab später einen Wert von 2,34 Promille. Der Führerschein wurde noch in der Nacht sichergestellt. Für Fahrlässigkeit und Trunkenheit im Verkehr erhielt der Autofahrer einen Strafbefehl über 110 Tagessätze à 40 Euro, also 4400 Euro Geldstrafe plus Führerscheinentzug für 13 Monate. Gegen den Strafbefehl legte er Einspruch ein, weshalb es zur Verhandlung am Nördlinger Amtsgericht unter Vorsitz von Richter Gerhard Schamann kam. Dort erklärte der Angeklagte eher halbherzig, dass er erst nach dem Besuch der Tankstelle Alkohol getrunken hatte; zum Fahrmanöver über beide Fahrbahnen samt Gehsteig sei es aus Aufregung um den Streit mit dem Kassierer gekommen. Darauf ging vor Gericht niemand ernsthaft ein, doch wurden einige Gründe festgestellt, warum die Strafe geringfügig herabgesetzt werden konnte: Erstens wird monatlich ein erheblicher Teil vom Lohn des Angeklagten als Unterhaltszahlung direkt an die Ex-Frau überwiesen, sodass statt 40 Euro nur 30 Euro als Tagessatz angerechnet werden können. Außerdem zeigte er größte Einsicht, meldete sich zu einem Erste-Hilfe-Kurs an, bot dem Gesundheitsamt eine Urinprobe als Beweis dafür an, dass er nur gelegentlich trinke, und zeigte sich Polizei und Gericht gegenüber als höchst kooperativ.
Richter Schamann reduzierte die Strafe auf 100 Tagessätze à 30 Euro, also um 1400 auf 3000 Euro. Den Führerscheinentzug setzte er auf weitere sieben Monate fest, sodass er mit den bereits erfolgten Monaten leicht unter der ursprünglichen Strafe liegt. Allerdings stellte er dem Angeklagten in Aussicht: „Das Landratsamt wird Ihnen angesichts der hohen Promillezahl große Schwierigkeiten machen, wenn Sie den Führerschein zurückhaben wollen.“