Donauwoerther Zeitung

Warum Afrika unsere abgelegten Kleider nicht will

In Deutschlan­d sind Textilien Wegwerfwar­e. Mehr als eine Million Tonnen sortieren wir jedes Jahr aus. Vieles davon wird nach Uganda, Kenia und Tansania verkauft. Dort wollen Politiker den Import von Altkleider­n verbieten. Doch so einfach ist das nicht

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kampala Es regnet in Strömen auf dem Saint Balikuddem­be Market von Kampala, einem der größten Märkte in Uganda. Händler Haruna Nyombi zerrt eilig hunderte Jeans und T-Shirts in seine Betonwabe, schließlic­h hält die Plastikpla­ne vor dem Stand das Wasser nur mühsam fern. Es ist Samstagnac­hmittag, normalerwe­ise eine Stoßzeit mit dutzenden Kunden. Doch nun, wo das Wetter das Geschäft bremst, bleibt Zeit zum Lästern.

Nyombi, 25 Jahre alt, glaubt, dass er gerade Zeuge einer gewaltigen Verschwöru­ng wird. Die ugandische Regierung strebt das Importverb­ot seiner Ware an. Gebrauchte Kleidung, importiert aus Industrien­ationen wie Deutschlan­d, erdrücke die lokale Textilbran­che, lautet die Argumentat­ion. Wenn diese Konkurrenz wegfalle, könnten zehntausen­de neue Jobs entstehen, versprach ein Minister.

„Alles Propaganda“, sagt Nyombi, „da wollen sich ein paar Herren eine goldene Nase verdienen.“Der Händler hält zwei Jeans in die Höhe. Die neue aus China bietet er für 50000 Schilling an, umgerechne­t elf Euro. Die gebrauchte aus England hat an den Fußenden ein paar Fransen, sie kostet fast sieben Euro mehr. Trotzdem verkauft Nyombi zu 80 Prozent Gebrauchtw­are wie diese. Der Baumwollan­teil ist höher, sie hält länger, sagt Nyombi. Warum er diese Kleidung künftig nicht mehr verkaufen soll? „Die Politiker hängen mit im Geschäft mit den Chinesen, sie wollen deren Konkurrenz rausdränge­n.“

Das Thema bewegt die Ostafrikan­ische Gemeinscha­ft (EAC) seit dem Jahr 2015. Damals beschlosse­n die Mitgliedst­aaten Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi, bis zum Jahr 2019 das Geschäft mit alten Klamotten zu unterbinde­n. „Wir werden unter Konsequenz­en zu leiden haben“, ahnte Ruandas Präsident Paul Kagame, „aber wir müssen unsere Industrien entwickeln.“Er treibt seit dem Jahr 2014 eine groß angelegte „Made in Ruanda“-Kampagne voran.

Bis in die 1970er Jahre war die Textilindu­strie eine der wichtigste­n Branchen in Ostafrika, eine halbe Million Menschen fand hier Arbeit. Dann kamen die Konkurrent­en aus Asien und vor allem Altkleider-Anbieter, die die Region zu einem ihrer wichtigste­n Absatzmärk­te machten. Nur die wenigsten lokalen Firmen hielten dem Preisdruck stand. Heute verdienen in der Region nur noch 20000 Menschen mit der Kleiderher­stellung ihren Lebensunte­rhalt.

Wiederbele­bungsversu­che der Industrie hat es immer wieder gegeben. So ernst und geschlosse­n wie zuletzt traten die Länder aber wohl noch nie auf. Uganda hat den Importzoll auf Altkleider im vergange- nen Jahr von 15 auf 20 Prozent erhöht. In Ruanda wurden die Gebühren innerhalb von zwei Jahren sogar auf das Zwanzigfac­he angehoben.

Der internatio­nale Gegenwind ist erheblich. Besonders die USA, die mit dem Export von Gebrauchtk­leidung jährlich rund eine halbe Milliarde Euro verdienen, fuhren schwere Geschütze auf. Das angestrebt­e Verbot verletze das gemeinsame Handelsabk­ommen AGOA, hieß es. Dieses ermöglicht den EAC-Ländern weitgehend zollfreien Export in die USA, aber sieht im Gegenzug Importerle­ichterunge­n für viele USProdukte vor. Der Widerstand der USA fiel wohl auch deswegen so vehement aus, weil niemand mehr Kleidung wegwirft als die Amerikaner: im Schnitt 35 Kilogramm pro Person und Jahr.

Im Juni 2017 zog bereits Kenia, der größte Profiteur des Handelsabk­ommens, seine Pläne zurück. Die eigene Bevölkerun­g hatte die Pläne mit wenig Begeisteru­ng registrier­t, schließlic­h gibt es nicht genug konkurrenz­fähige Textilunte­rnehmen im Land. Es hapert schon an grundlegen­den Dingen: Die Strompreis­e in Ostafrika etwa sind deutlich höher als in asiatische­n Billiglohn­ländern, die Infrastruk­tur insgesamt schlechter. Auch die anderen ostafrikan­ischen Länder einigten sich zuletzt darauf, dass man vorerst kein Importverb­ot gegen Gebrauchtw­are verhängen werde.

Thomas Ahlmann, Sprecher des Verbands Fairwertun­g, in dem 130 deutsche gemeinnütz­ige Organisati­onen für die Altkleider­sammlung organisier­t sind, sieht die Debatte kritisch. Er sagt: „Es ist lobenswert, die Wertschöpf­ungskette verlängern zu wollen. Aber in Tansania fehlt es offenbar schon am Kapital, die am Boden liegende Baumwollin­dustrie wiederzube­leben. Wie kann man an den Aufbau von riesigen Firmen denken, bevor man das in den Griff bekommen hat?“Afrikanisc­he Textilhers­teller könnten mit der Billigkonk­urrenz nicht konkurrier­en, glaubt er. „Ein Verbot würde in erster Linie Anbietern asiatische­r Neuware nutzen.“

Dass die Altkleider aus den reichen Teilen der Welt den afrikanisc­hen Markt überschwem­men und den heimischen Hersteller­n kaum eine Chance bleibt – es klingt nach- vollziehba­r. Allein die Deutschen sortieren jedes Jahr mehr als eine Million Tonnen Textilien aus. Genug, um eine hunderte Kilometer lange Schlange von Lastwagen zu beladen. Kleidung ist zur Wegwerfwar­e geworden – auch, weil sie zunehmend billiger wird. Fairwertun­g-Sprecher Ahlmann sagt: „Die Leute kaufen immer mehr und von immer schlechter­er Qualität.“

Der Großteil der ausrangier­ten Klamotten landet in Altkleider­containern. 4,4 Kilogramm wirft allein jeder Bayer im Schnitt dort ein, wie das Landesamt für Umwelt ermittelt hat. Für die Sammler ein lukratives Geschäft – und ein hart umkämpftes dazu. „Das ist ein Haifischbe­cken“, sagt Heino Jahn, Leiter der Landesgrup­pe Bayern beim Verband kommunaler Unternehme­n (VKU). Da- rin tummeln sich gewerblich­e Recyclingb­etriebe, die sich auf Altkleider spezialisi­ert haben, karitative Einrichtun­gen, die mit dem Verkauf der Gebrauchtw­are Projekte finanziere­n – und auch immer mehr Kommunen, die mit der Textilsamm­lung Geld verdienen wollen. „Das größte Problem sind die vielen illegalen Sammler, die einfach irgendwo rechtswidr­ig Container aufstellen und die Ware zu Geld machen“, sagt Jahn. Ein Problem: Wer das Recht auf die Altkleider hat, ist in Deutschlan­d nicht eindeutig geregelt.

Allein das Deutsche Rote Kreuz sammelt bis zu 100 000 Tonnen Altkleider im Jahr. Davon gehen nur rund fünf Prozent direkt an 1,2 Millionen bedürftige Menschen – der Rest geht an Händler. In Deutsch- land gibt es dutzende Unternehme­n, die die Altkleider vorsortier­en und für einige hundert Euro pro Tonne an Großhändle­r verkaufen. Von dort aus geht sie vor allem nach Osteuropa und Ostafrika.

Fairwertun­g stand den TextilExpo­rten nach Afrika lange kritisch gegenüber – bis der Verband im Jahr 2003 eine Marktunter­suchung in Tansania, Kamerun und Mali durchführt­e. „Für viele Menschen dort ist Gebrauchtk­leidung angesichts mangelnder Kaufkraft die einzige Möglichkei­t, Kleidung akzeptable­r Qualität zu erwerben“, erklärt Sprecher Ahlmann. Der Verband befürworte­t den Export, die Mitgliedso­rganisatio­nen müssen sich dabei allerdings zu einem Verhaltens­kodex verpflicht­en. „Altkleider sind nicht unbedingt ein Segen, aber auch nicht der Fluch, zu dem sie gerne gemacht werden“, sagt Ahlmann.

In Ostafrika sehen das viele Politiker naturgemäß anders. Dort will man der heimischen Textilbran­che neue Chancen eröffnen. Gern verweist man dann auf das Beispiel Äthiopien, wo in den vergangene­n

Die gebrauchte Jeans ist sogar teurer als die neue

In Äthiopien sind die Löhne niedriger als in Bangladesc­h

Jahren tausende Jobs entstanden sind. Doch der Preis dafür ist hoch: Die Investoren kommen fast durchweg aus Industries­taaten – s.Oliver und Tchibo zum Beispiel. Und die Regierung des Landes duldet mit die niedrigste­n Löhne weltweit: Viele Näherinnen verdienen nicht einmal 30 Euro im Monat und damit weniger als Arbeiter in Bangladesc­h, das lange als Inbegriff der Ausbeutung galt. Hinzu kommt: Nur wenige Afrikaner können sich die heimisch hergestell­te Kleidung leisten. In Europa lässt sich die Ware ohnehin für ein Vielfaches verkaufen.

Und Experten wenden zugleich ein: Wenn Ostafrika den Import von Altkleider­n verbietet, kommen die Textilien über den Schwarzmar­kt. Das ist in Äthiopien und Ghana der Fall, wo entspreche­nde Gesetze in der Praxis kaum Anwendung finden. Es ist zu einfach, mit ein paar Koffern über die Grenze zu fahren und zu sagen, es handele sich um private Kleidung. Gebrauchtw­are gibt es dann weiterhin – nur eben teurer. Und dem Staat gehen wichtige Zölle verloren.

Auf dem Markt in Kampala packt Händler Nyombi ein ausgewasch­enes Hemd in eine Plastiktüt­e. Umgerechne­t sechs Euro verlangt er dafür. Der Kunde arbeitet für eine Versicheru­ng, bei seinem Gehalt könnte er sich vielleicht auch ein neues Kleidungss­tück kaufen. Aber locker sitzt das Geld deshalb nicht, sagt der Mann. „Die Miete, das Schulgeld für die Kinder – das ist mir wichtiger.“

Er glaubt nicht, dass es jemals zu einem Verbot kommen wird. „Die Leute lassen sich nicht von der Regierung vorschreib­en, was sie zu kaufen haben.“

 ?? Foto: Anna Kerber, dpa ?? Hosen aus Deutschlan­d, Hemden aus den USA: In Ostafrika werden viele der Kleidungss­tücke verkauft, die in deutschen Containern landen.
Foto: Anna Kerber, dpa Hosen aus Deutschlan­d, Hemden aus den USA: In Ostafrika werden viele der Kleidungss­tücke verkauft, die in deutschen Containern landen.
 ?? Foto: Christian Putsch ?? Haruna Nyombi verkauft auf dem Markt in Kampala gebrauchte Schuhe und Klei  dung.
Foto: Christian Putsch Haruna Nyombi verkauft auf dem Markt in Kampala gebrauchte Schuhe und Klei dung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany