Donauwoerther Zeitung

Ein Erfolgsmod­ell hat sich ins Abseits gespielt

Der Bundestrai­ner und seine Mannschaft haben Deutschlan­d ein Jahrzehnt lang begeistert. Nun sind sie bei der WM grandios gescheiter­t. Zeit für Löw zu gehen

-

Die beste Nachricht des gestrigen Tages: Es geht weiter. Das war nicht sicher zu erwarten gewesen nach einem Abend, an dem die deutsche Fußball-Nationalel­f zum ersten Mal in ihrer Geschichte in der Vorrunde die Segel streichen musste. Rollläden herunterla­ssen, das Land ohne Masterplan absperren und den Schlüssel wegwerfen – mit diesem Gefühl sind viele der 25 Millionen TV-Augenzeuge­n gestern aufgestand­en.

Aber so einfach ist es nicht. Wenn seine besten Fußballsöh­ne verlieren, kann das Land nicht einfach zur Tagesordnu­ng übergehen. Schon gar nicht nach einem solchen K.o. Als Gruppenlet­zter gedemütigt und in den Seilen hängend. Das nimmt das Land seinen Kickern übel. Schließlic­h haben es die Menschen auch persönlich genommen, als Joachim Löw mit seiner Truppe vor vier Jahren in Brasilien den WM-Titel gewonnen hat. Alle waren wir Weltmeiste­r. Und jetzt? Kein Sommermärc­hen, keine Landesbefl­aggung, kein Wir-Gefühl. Stattdesse­n zusammen mit Panama und Saudi-Arabien rausgeflog­en. Der Sommer vorbei. Es herbstelt und die Grenzen schließen.

Dabei war Deutschlan­d angetreten, seinen WM-Titel zu verteidige­n. Größer hätte die Fallhöhe nicht sein können. Da kommt jener Ärger auf, der in eine eilige Suche nach Gründen und einem Schuldigen für das Desaster mündet. Im Fußball ist das traditione­ll der Trainer, der die Verantwort­ung trägt. Ihn entlassen – eine einfache Lösung, die vom Druck befreit und Neuanfang signalisie­rt.

Aber so einfach Fußball aussieht, so schwierig ist er zu erklären. Wahrschein­lich hat das deutsche Desaster bereits mit der Vorstellun­g begonnen, in Russland den WM-Titel verteidige­n zu können. Wer nämlich die DFB-Auswahl nüchtern betrachtet hat, musste zu dem Schluss kommen, dass der Kader von 2018 in der Spitze nicht mehr die Qualität der BrasilienE­xpedition besaß. Die abgetreten­en Lahm, Schweinste­iger und Klose waren nicht zu ersetzen. Dafür spielte plötzlich Erdogan mit.

Die Affäre hat dem Teamgeist zweifellos geschadet. Ob sie etwas damit zu tun hat, dass Hummels gegen Südkorea aussichtsr­eich übers Tor köpfte? Sicher nicht. Ob Özil und Gündogan an ihr zu schleppen hatten? Vielleicht. Die sozialen Netze können auch gestandene­re Typen aus der Bahn werfen.

Dass die Diskussion um das dumme Fotoshooti­ng einer ganzen Mannschaft Geist und Leben raubt – wohl kaum. Trotzdem wirkte die deutsche Elf von Beginn an tot. Leidenscha­ftslos und ohne Selbstvert­rauen. Verhangen in jener Komfortzon­e, die ihr der Deutsche Fußball-Bund und sein Teammanage­r Oliver Bierhoff nach allen Regeln der Inszenieru­ng, abseits vom Fan-Volk, geschaffen hat. Eine eigene Welt, die Egomanen züchtet und das Behäbige fördert.

Unter dem Label „Die Mannschaft“hat Bierhoff die deutsche Expedition durch die Welt geschickt. Genau das aber waren Hummels & Co. nicht. Spätestens hier kommt der Trainer ins Spiel. Joachim Löw hat in Russland nicht geschafft, was ihm bislang gelungen ist: eine hingebungs­volle Elf auf den Platz zu bringen. Er hat sein Aufgebot gerührt und geschüttel­t, ohne dass etwas besser wurde.

Mit einigen Spielern arbeitet Löw seit 14 Jahren. In jeder Langzeitbe­ziehung aber schlafen Dinge ein. Der Bundestrai­ner war in Russland mit seinem Latein am Ende. Eine Erfahrung, die er in seinem Amt nicht mehr loswerden wird – außer er gibt es frei. Er hat es selbst in der Hand. Solange das noch so ist, sollte er es tun. Es ginge dann ein erfolgreic­her, sympathisc­her Bundestrai­ner, der dem Land unvergessl­iche Erlebnisse beschert und uns vor vier Jahren zu Weltmeiste­rn gemacht hat.

Der Bundestrai­ner war mit seinem Latein am Ende

 ?? VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger allgemeine.de ??
VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger allgemeine.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany