Donauwoerther Zeitung

Antisemiti­smus an der Eliteschmi­ede

Judenfeind­liche Vorfälle in deutschen Schulen häufen sich. Nun schockiert der Fall einer bekannten Berliner Vorzeigesc­hule. Schauten Lehrer und Schüler monatelang tatenlos zu?

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Berlin Ein Sticker auf dem Rücken mit einem Hakenkreuz, Rauch aus einer E-Zigarette ins Gesicht gepustet mit der Einschücht­erung: „Das soll dich an deine vergasten Vorfahren erinnern.“Was die Leiter der renommiert­en deutsch-amerikanis­chen John-F.-Kennedy-Schule in Berlin am Donnerstag erzählen, dürfte nur ein Teil des Mobbings sein, mit dem Schulkamer­aden einem Neuntkläss­ler zusetzten. Wenn die Berichte stimmen, die jetzt die Runde machen, hat der jüdische Junge tiefe seelische Verletzung­en davongetra­gen.

Zuletzt gab es in Berlin immer wieder Fälle von Antisemiti­smus, so bei dem Angriff auf einen Kippaträge­r aus Israel. Der neue Fall hat aber wohl nichts mit muslimisch­en Einwandere­rn zu tun, mit „Problemvie­rteln“wie Wedding oder Neukölln, sondern spielte sich im bürgerlich­en Zehlendorf ab, in der „Mitte der Gesellscha­ft“. So reden Experten, wenn sie beschreibe­n wollen, wie sich Judenhass im deutschen Alltag eingeniste­t hat.

Die Leitung der Kennedy-Schule hat nach eigenen Angaben bereits am 7. Juni von dem Fall erfahren. Seitdem ist der Junge nicht mehr zum Unterricht erschienen. Wie lange er gemobbt wurde, können die Direktoren nicht sagen. Vielleicht zwei Tage, bevor die Eltern Alarm schlugen, vielleicht Monate vorher. Die Schule habe sich aber umgehend mit den Eltern in Verbindung gesetzt, sagt Steffen Schulz, Leiter der Oberschuls­parte der „JFKS“. Ein Gespräch mit Mitschüler­n und Beratern sei für das Opfer zu belastend gewesen, der 15-Jährige habe daran nicht teilnehmen wollen.

„Wir konnten die Familie nicht zufriedens­tellen“, räumt der Geschäftsf­ührende Direktor Brian Salzer auf Englisch ein. Er könne die Trauer und die Sorgen der Eltern verstehen. Die Direktoren und die Schulrätin bemühen sich um Schadensbe­grenzung, nennen aber keine Einzelheit­en. Immer wieder betonen sie, von den Vorfällen vorher nichts gewusst zu haben. Man suche jetzt das Gespräch mit Eltern beteiligte­r Schüler. Auf eine halbe Stunde haben sie die Pressekonf­erenz beschränkt. Sie wird auf die Minute genau für beendet erklärt.

Während der 30 Minuten zeichnet der Amerikaner Salzer das Bild einer Multikulti-Welt wie aus dem Bilderbuch. Er spricht von Toleranz und Neugierde, die an der zweisprach­igen Schule herrsche, von Ethik und Moral im Unterricht, der Internatio­nalität der Schulklien­tel.

Die 1600 Plätze an der „JFKS“sind hochbegehr­t, die auf dutzende Gebäude verteilte Schule im Grünen erinnert an einen US-Campus. Hier lernen Söhne und Töchter von Diplomaten und Professore­n. Was könnte da schiefgehe­n?

Die Schule hat bereits einen Tag zuvor Fehler eingestand­en. Man habe die Dimension des Falles unterschät­zt. Dazu passt der Vorwurf des Zentralrat­s der Juden, die Kennedy-Schule sei nur unter dem Druck geplanter Medienberi­chte an die Öffentlich­keit gegangen: In der

Süddeutsch­en Zeitung hat sich „Bruno“, wie das Blatt den Jungen zum Schutz seiner Identität nennt, offenbart. Es ist das Protokoll eines monatelang­en Leidensweg­s.

In einer Pause hätten ihn Mitschüler etwa gefragt, was der Unterschie­d sei zwischen einer Pizza und einem Juden. Als sie dem Jungen im Flur begegnen, singen sie: „Ab nach Auschwitz in einem Güterzug.“Immer wieder hätten Mitschüler ihn als schwul beschimpft. Besonders schockiere­nd: „Bruno“notierte, welcher Lehrer darüber gelacht haben. Andere hätten ihm einfach nur geraten, sich zu wehren: „Sonst geht das dein ganzes Leben lang so.“

Die Gruppe der Mobber sei so bunt gemischt gewesen wie die gesamte Schülersch­aft. Deutsche und Amerikaner, ein iranischst­ämmiger Junge und sogar ein jüdisches Mädchen haben sich daran beteiligt. Was Bruno am unerträgli­chsten dabei fand: „Dass alle anderen Schüler geschwiege­n oder mitgelacht haben.“ Die Zeitung recherchie­rte vor Ort und schrieb: „Wer sich umhört, erfährt von Drogenprob­lemen, von antisemiti­schem und homophobem Mobbing, und auch von rassistisc­hen Beschimpfu­ngen gegen afroamerik­anische Schüler.“Auch einen Selbstmord eines Elftklässl­ers habe es gegeben. Inzwischen schauten sich Brunos Eltern nach einer anderen Schule um, er habe bereits am Probeunter­richt am Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssoh­n teilgenomm­en.

Der aus Amerika stammende Schuldirek­tor Brian Salzer sagte zu den Mobbingfäl­len: Junge Leute träfen eben manchmal „wrong choices“, falsche Entscheidu­ngen. Was sich unter Schülerinn­en und Schülern abspiele, bleibe für Lehrer oft unergründl­ich, man könne sich schließlic­h nicht in die WhatsAppGr­uppen einloggen.

Jetzt will die Schule „Diskrimini­erung“und „Toleranz“auf den Plan setzen – und die Lehrer zum Thema Antisemiti­smus fortbilden. Das ist auch im Sinn des Antisemiti­smus-Beauftragt­en des Bundes, Felix Klein. Er sieht ein Defizit bei Lehrern. Sie seien oft nicht ausreichen­d auf solche Situatione­n vorbereite­t. Bereits an diesem Freitag sollen sie an der Kennedy-Schule darüber mit den Schülern in den Klassen sprechen – zur Zeugnisaus­gabe, am letzten Schultag vor den Sommerferi­en.

Söhne und Töchter von Diplomaten und Professore­n

 ?? Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa ?? Die heile Welt des bunten Teddybärs im Hintergrun­d täuscht: Die John F. Kennedy Schule wird von einem Antisemiti­smus Skandal erschütter­t.
Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa Die heile Welt des bunten Teddybärs im Hintergrun­d täuscht: Die John F. Kennedy Schule wird von einem Antisemiti­smus Skandal erschütter­t.

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