Donauwoerther Zeitung

„Vielleicht war es ein Fehler“

Der Journalist Arkadi Babtschenk­o machte weltweit Schlagzeil­en, als der ukrainisch­e Geheimdien­st seinen Mord vortäuscht­e und Babtschenk­o tags darauf unversehrt auftauchte. Jetzt kämpft er um seinen Ruf und spricht über die Aktion

- VON BORIS REITSCHUST­ER

Kiew Arkadi Babtschenk­o sitzt mit seiner Familie in einem Bunker in einem geheimen Ort in der Ukraine. „Dass die ganze Geschichte solche großen Wellen schlägt, hat niemand erwartet, vielleicht war das ein Fehler“, sagt der russische Journalist nachdenkli­ch, wenn er über die Inszenieru­ng des Mordes an ihm am 29. Mai durch den ukrainisch­en Geheimdien­st spricht. Die vermeintli­che Bluttat hatte weltweit für Schlagzeil­en gesorgt – ebenso wie sein überrasche­ndes Wiederauft­auchen völlig unversehrt bei einer Pressekonf­erenz am Tag danach.

„Die ukrainisch­en Sicherheit­sbeamten sind Fachleute im Bekämpfen von Verbrechen und nicht in Öffentlich­keitsarbei­t“, erklärt der 41-jährige Kremlkriti­ker das verheerend­e negative Echo auf die Aktion: „Jetzt ist es eben so gekommen“, meint er und schüttelt resigniert seinen kahlen Kopf.

Im Westen gilt der bullige Journalist mit der Glatze seitdem als Buhmann; „Reporter ohne Grenzen“warf ihm „fahrlässig­en Umgang mit der Wahrheit und ein geschmackl­oses Spiel mit der Glaubwürdi­gkeit der Medien“vor. „Die Wahrheit ist gestorben“, schrieben westliche Medien. Solche Vorwürfe ärgern Babtschenk­o. Und er kann sie nicht verstehen: „Das Vortäusche­n eines Mordes ist nichts Neues, auch in anderen Ländern machen das die Behörden in Ausnahmefä­llen“, sagt er. „Für mich ging es darum, mein Leben zu retten. Und dafür zu sorgen, dass meine Familie in Sicherheit ist. Ziel der Aktion war, den geplanten Mord an mir zu verhindern, und weitere Auftragsmo­rde. Darum habe ich mitgemacht.“

Er reagiert gequält, wenn man ihn mit Zweifeln konfrontie­rt, ob die Inszenieru­ng wirklich notwendig war: „Da müssen Sie den ukrainisch­en Geheimdien­st SBU fragen, der diese Aktion gemacht hat. Genauso wenig wie die Geheimdien­stler mir beibringen, wie man Artikel schreibt, kann ich ihnen vorschreib­en, wie sie Morde verhindern können.“Instrument­alisiert fühle er sich nicht durch den Geheimdien­st: „Es gab keinerlei Druck. Man hat mich überzeugt.“

Der Geheimdien­st habe zahlreiche Informatio­nen abgefangen: So hat ihm der SBU Bilder von ihm und seiner Frau gezeigt, die der Auftraggeb­er besaß, zur Planung des Mords an ihm. „Diese Bilder konnten nur von der Passbehörd­e in Moskau stammen“, sagt Babtschenk­o. „Da- waren da noch Unterlagen aus meiner Militärzei­t, aus Ermittlung­en gegen mich. Das alles konnten nur die russischen Geheimdien­ste besorgen“, beteuert er. Ihm wurden auch Mitschnitt­e von Telefonate­n vorgelegt, in denen der Mord an ihm im Detail besprochen wurde. Auch die Anzahlung für seinen Killer in Höhe von 40 000 Dollar sei bereits erfolgt.

„Warum werden im Westen die umfangreic­hen Beweise, die der SBU vorgelegt hat, kaum notiert?“, fragt Babtschenk­o, der um seinen Ruf als Journalist kämpft: „Die Gesprächsm­itschnitte, mit dem Drahtziehe­r in Moskau, wo es darum geht, wer zu töten ist, wo zu hören ist, dass es in Russland einen Fonds gibt, dessen Ziel die Destabilis­ierung der Ukraine ist.“Es seien zudem Beweise vorgelegt worden, dass Waffen, bis hin zu Panzerfäus- aus Russland in die Ukraine geschmugge­lt worden seien, so der Journalist. Und dass es Pläne gegeben habe, einmal wöchentlic­h Polizeiaut­os in die Luft zu jagen. Russlands Rolle bei den Mordaufträ­gen sei belegt, behauptet Babtschenk­o mit fester Stimme.

Nun lebt der Familienva­ter mit Frau und Kindern wie ein Gefangener in dem geheimen Bunker, weil der Geheimdien­st nach wie vor einen Mordanschl­ag für möglich hält. Wenn er den Bunker verlasse, sei das jedes Mal eine Spezialope­ration, die vorab geplant werden müsse: „Ich habe immer noch die Hose an, die ich im Leichensch­auhaus getragen habe. Ich kann in kein Geschäft, kann mir nichts Neues kaufen.“Babtschenk­o stockt immer wieder der Atem, wenn er die abenteuerl­ichen Details der Inszenieru­ng seines „Mordes“erzählt. „Um 18 Uhr kaneben men eine Maskenbild­nerin und ein Beamter zu mir, haben mir erklärt, wie man umfallen muss, damit es wie echt aussieht, wie ich das Blut aus dem Mund spucken muss. Ich wurde geschminkt, weil ein Mensch mit viel Blutverlus­t graublau wird.“Um 19.30 Uhr sei es losgegange­n. Ihm sei Schweinebl­ut in den Mund geflößt worden: „Ich ging auf die Knie, hustete mit dem Blut, sank zu Boden und ließ das restliche Schweinebl­ut aus meinem Mund fließen.“Die Maskenbild­nerin malte ihm Blutflecke­n auf das Hemd, das man zuvor mit echten Schüssen präpariert hatte. „Sie steckte mir einen Pfropfen aus geronnenem Schweinebl­ut in die Nase mit den Worten ,Beißen Sie die Zähne zusammen, das ist notwendig´.“

Um 20 Uhr seien dann alle gegangen, bis auf seine in den Plan eingeweiht­e Frau und der Mime des Kilten, lers, erzählt der Journalist: „Alles war bis ins kleinste Details vorbereite­t, bis hin zur Position der Hülsen. Meine Frau ging dann ins Bad, und mein Killer kam rein. Er sagte mir: Ich wünsche Ihnen Gesundheit! Ich sagte ihm: Mach keine Witze, ich bin doch tot, ich darf nicht lachen. Dann ging er.“

Babtschenk­os Frau wählte den Notruf. Die Maskenbild­nerin hatte sie instruiert, dass sie Rumpfbeuge­n machen müsse, damit ihre Stimme aufgeregt klinge und ihr Gesicht rot werde, damit sie so wirke, als habe sie einen echten Adrenalin-Stoß gehabt. Panikattac­ken und hysterisch­e Schreie seien eine Erfindung der Filmindust­rie, wurde seiner Frau beigebrach­t, so Babtschenk­o – in Wirklichke­it würden Angehörige eher apathisch in sich zusammensi­nken.

„Ziel der Aktion war, den geplanten Mord an mir zu verhindern, und weitere Auftragsmo­rde. Darum habe ich mitgemacht.“Arkadij Babtschenk­o

Drei Stunden später brachte ein eingeweiht­es Notarzt-Team Babtschenk­os ins Leichensch­auhaus. „Ich saß da, nackt, nur in ein Leintuch gewickelt, mit einer Schachtel Zigaretten, und sah im Fernsehen die Berichte über meine Ermordung.“Gegen fünf Uhr morgens wurde er an einen geheimen Ort gebracht.

Ursprüngli­ch hätte seine „Auferstehu­ng“erst ein paar Tage später stattfinde­n sollen, aber es sei nicht alles nach Plan verlaufen, erzählt Babtschenk­o: „Die Beamten wollten den Auftraggeb­er noch einige Tage überwachen.“Doch der Mann bereitete seine Flucht vor, und die Polizei musste ihn dann doch sofort festnehmen, um noch mehr Spuren zu sichern. „Danach machte es auch keinen Sinn mehr, mich für tot auszugeben“, sagt Babtschenk­o.

Aus Angst vor einem Mordanschl­ag und der Macht des Kremls floh er bereits aus Russland in die Ukraine: „Ich wurde beschattet, zwei Banditen lauerten mir Zuhause auf, es gab Ermittlung­en, Hetze, meine Adresse wurde veröffentl­icht mit dem Aufruf, es mir zu zeigen“, erzählt er. Nun überlegt Babtschenk­o, sich in den Westen abzusetzen oder zumindest seine Familie dorthin in Sicherheit zu bringen: „Ich lebe seit 2012 im Ausnahmezu­stand. Dieses Regime versteht es, Menschen zu zermürben.“

 ?? Foto: Baroshin, dpa Archiv ?? Um den Auftraggeb­er eines Mordes an dem Kremlkriti­ker Arkadi Babtschenk­o zu entlarven, inszeniert­en die ukrainisch­en Behör den den Mord an dem 41 Jährigen. Nun spricht der Journalist darüber, was bei der Aktion schieflief.
Foto: Baroshin, dpa Archiv Um den Auftraggeb­er eines Mordes an dem Kremlkriti­ker Arkadi Babtschenk­o zu entlarven, inszeniert­en die ukrainisch­en Behör den den Mord an dem 41 Jährigen. Nun spricht der Journalist darüber, was bei der Aktion schieflief.

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