Donauwoerther Zeitung

Die Klagen der Sedlmayr Mörder

Vor 28 Jahren töteten zwei Männer den berühmten Schauspiel­er. Sie sind längst wieder auf freiem Fuß. Nun wollten sie, dass ihre Namen aus alten Medienberi­chten verschwind­en

- VON ANDREAS FREI

München/Straßburg Vielleicht hat irgendjema­nd die alte Schreibmas­chine schlicht und einfach vergessen. So wie viele Menschen vergessen haben, dass die beiden Mörder des bayerische­n Volksschau­spielers Walter Sedlmayr schon seit zehn Jahren wieder auf freiem Fuß sind. Geblieben ist die Schreibmas­chine, auf der die Täter ein gefälschte­s Testament getippt haben und die nun, gut verpackt in einem Karton, in der Asservaten­kammer der Staatsanwa­ltschaft München vor sich hinschlumm­ert. Warum sie immer noch aufbewahrt wird? Anton Jofer, wenn man so will Herr über die Asservaten­kammer, fällt dazu nicht viel ein: „Gute Frage“, sagte er erst vor einigen Tagen. Vielleicht werde sie ja irgendwann vernichtet oder lande im Museum. Hat man das Ding also doch vergessen?

Das Internet dagegen vergisst nie. Dort sind unzählige alte Medienberi­chte über die Mörder von Walter Sedlmayr zu finden, die nun den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg beschäftig­t haben. Zur Erinnerung: Sedlmayr, bekannt vor allem durch seine Rolle in der BR-Serie „Polizeiins­pektion 1“, war im Juli 1990 ermordet in seiner Wohnung in München-Schwabing aufgefunde­n worden. Die Täter, Sedlmayrs ehemaliger Ziehsohn und dessen Halbbruder, wurden im Mai 1991 festgenomm­en und 1993 in einem Indizienpr­ozess zu lebenslang­er Haft verurteilt. Ihre Versuche, den Fall später neu aufrollen zu lassen, scheiterte­n. Den letzten Wiederaufn­ahme-Antrag lehnte das Landgerich­t Augsburg im April 2005 ab.

Als die Männer 2007 und 2008 aus der Haft entlassen wurden und, wie sie argumentie­rten, sich wieder in die Gesellscha­ft integriere­n wollten, fielen ihnen archiviert­e OnlinePres­seberichte auf, in denen sie mit vollem Namen genannt wurden. Ein Unding, fanden sie, und reichten Unterlassu­ngsklagen gegen drei Medienhäus­er ein: den Spiegel, das

Deutschlan­dradio und die Tageszeitu­ng Mannheimer Morgen. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) lehnte diese Ende 2009 ab.

Die beiden sahen aber noch immer ihr Menschenre­cht auf Achtung des Privatlebe­ns verletzt und zogen vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg. Dieser verkündete gestern seine Entscheidu­ng. Er bestätigte das BGH-Urteil. Die Sedlmayr-Mörder haben kein Recht auf ein Vergessen im Internet.

Die Pressefrei­heit, so ein Argument der Richter, erlaube es Journalist­en, selbst zu entscheide­n, welche Details sie veröffentl­ichen – zumal dann, wenn wie beim Mord an Sedlmayr ein großes öffentlich­es Interesse bestehe. Bedingung dafür sei, dass die Medien nicht gegen ethische Normen verstoßen. Zweifel an der Wahrhaftig­keit der betref- fenden Texte gebe es nicht. Auch seien die Beiträge nur beschränkt für Leser zugänglich gewesen. Ein Teil verbarg sich hinter einer Paywall, also einer Bezahlschr­anke, ein anderer war Abonnenten vorbehalte­n. Außerdem: Einst hätten die Männer selbst Medien um Berichters­tattung in eigener Sache gebeten, und zwar wiederholt. Beide Seiten können nun innerhalb von drei Monaten gegen das Urteil vorgehen.

Das Straßburge­r Gericht schloss sich in weiten Teilen der Meinung des BGH an. Dieser hatte in seinem Urteil das Recht auf Vergessen im Internet gegen das Recht der Öffentlich­keit auf Informatio­n abgewogen. Den Männern bei ihren Unterlassu­ngsklagen recht zu geben, hätte nach Ansicht der Karlsruher Richter Medien möglicherw­eise davon abschrecke­n können, Texte zu archiviere­n. Mit solchen Archiven wirkten die Medien aber an der demokratis­chen Willensbil­dung mit und erfüllten so ihre Mission.

Nach Ansicht des Medienrech­tlers Karl-Nikolaus Peifer von der Universitä­t Köln bewahrt das Urteil die Medienbetr­eiber vor sehr aufwendige­n Tätigkeite­n, „die erhebliche Kapazitäte­n gebunden und vermutlich auch beträchtli­che Kosten erzeugt hätten“. Ein Spiegel-Sprecher sagte: „Die im öffentlich­en Interesse liegende Funktion eines Online-Archivs als ,historisch­es Gedächtnis‘ einer Gesellscha­ft bleibt damit erhalten.“

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Archivfoto: Frank Mächler, dpa Er war einer der Großen unter Bayerns Volksschau­spielern: Walter Sedlmayr wurde im Juli 1990 ermordet in seiner Wohnung in München Schwabing aufgefunde­n.

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