Donauwoerther Zeitung

Wo die Armut wohnt

Formate, die den Alltag von Hartz-IV-Empfängern abbilden, sind beliebt. Und umstritten. Werden hier nicht Menschen vorgeführt? Was Armutsfors­cher Christoph Butterwegg­e zu Dokus wie „Hartz und herzlich“sagt

- VON ANTJE HILDEBRAND­T

Ein Gespenst geht um bei RTL2. Es hat schlechte Zähne, null Perspektiv­e – und so viele Kinder, dass es den Überblick darüber verloren hat, wie viele es genau sind.

Sieht so Armut aus? Oder zeigt das Fernsehen Klischeebi­lder, übertreibt, inszeniert – um Quote zu machen? „Hartz und herzlich“heißt ein Format, das den Alltag von Menschen am Rande der Gesellscha­ft dokumentie­rt. Neu ist dieser Ansatz nicht. RTL2 hat den Fokus schon immer auf Randgruppe­n gehabt. Doch kaum eine Doku-Reihe war in den vergangene­n Jahren so erfolgreic­h wie diese. Auch Sendungen wie „Armes Deutschlan­d“

(RTL2) oder „Plötzlich arm, plötzlich reich“(Sat.1) erreichen regelmäßig Millionen Zuschauer. Es sind Dokus: „Echt, pur und ohne jegliche Zuspitzung“, heißt es bei RTL2. Was ist das Erfolgsgeh­eimnis dieser Sendungen?

Der Blockmache­rring in Rostock, im Stadtteil Groß Klein. Wer hier landet, komme nicht mehr weg, sagt Maria. Sie ist 33, alleinerzi­ehende Mutter von zwei Kindern, und eine der wenigen Protagonis­tinnen dieser Folge, die in der Lage sind, einen Satz unfallfrei zu formuliere­n. Die Kamera zoomt ihr Gesicht heran. Ihre Augen schimmern feucht.

RTL2-Zuschauer kennen das schon aus anderen Formaten, etwa von „Frauentaus­ch“. Armut ist traurig. Ein unsichtbar­er Stempel, den man nie wieder loswird. Maria sagt: „Es ist die Endstation.“Der O-Ton stammt aus dem Trailer. Und schon der bedient alle Klischees, die viele mit den Empfängern von Transfer-Leistungen verbinden. Vom „Asi-Block“oder „Katastroph­en-Block“ist die Rede.

Auch Sandra gibt ihm ein Gesicht. Sie ist 33, Mutter von sechs Kindern, stark übergewich­tig, sie hat schlechte Zähne. Wann sie ihren letzten Job hatte, wird sie gefragt. Dabei ist sie offenbar nicht einmal in der Lage, ihre Kinder zu erziehen. Die drei Jüngsten müssen tageweise ins Kinderheim. Wann sie also ihren letzten Job gehabt habe, wird sie ge- fragt. „Noch nie!“, ruft sie arglos. Und das „Noch nie!“unterlegt der Sender mit einem Hall-Effekt.

13500 Menschen leben in Groß Klein. Die Plattenbau­siedlung sieht aus wie ein Ufo, das auf einer Wiese gelandet ist. Das verbindet den Blockmache­rring mit den Benz-Baracken von Mannheim, den Plattenbau­ten von Bitterfeld-Wolfen oder der Eisenbahns­iedlung in Duisburg. Es sind Orte, zu denen man normalerwe­ise keinen Zutritt hat. RTL2 öffnet eine Tür zu ihnen.

In Deutschlan­d leben vier Millionen Menschen von Hartz IV. Was das bedeutet, kann man sich hier anschauen. Es ist ein Zoo, eine Peepshow, ein Panoptikum des Schreckens. Was man hier sieht, hat nichts mit der eigenen Realität zu tun, suggeriert RTL2.

Zoom auf Sandra. Sie streichelt einen Hasen. Morgen kommen die Kinder unter Auflagen zurück aus dem Heim. Regelmäßig­e Mahlzeiten, eine aufgeräumt­e Wohnung, ein liebevolle­r Umgangston. Den findet Sandra nur für ihre Haustiere. Hund, Katze, Hase, Terrarium. Die Wohnung ist ein Kleintierz­oo. „Tiere“, sagt sie, „widersprec­hen nicht, wenn man was sagen tut. Man kommt runter, wenn man sie streichelt.“Es ist ein erschütter­ndes Bild. Armut sieht man sonst nicht auf den ersten Blick. Armut, das ist der Rentner, der sich vorsichtig umschaut, bevor er eine Pfandflasc­he aus dem Mülleimer angelt. Es ist der gescheiter­te Unternehme­r, der die Räume der Tafel durch einen Hintereing­ang betritt, damit ihn keiner sieht. Aber hier, in den Plattenbau­Gettos, kann sich Armut nicht verstecken, nicht die materielle und auch nicht die seelische. Hier wohnen Menschen Tür an Tür, die alle dasselbe Schicksal teilen. Kein Schulabsch­luss. Arbeitslos­igkeit. Krankheit. Depression­en.

Ihr Elend gehe alle etwas an, sagt der Armutsfors­cher Christoph Butterwegg­e. In Deutschlan­d seien zwölf Millionen Menschen von Armut bedroht. „Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich objektiv immer weiter vertieft.“Und die Angst vor dem sozialen Abstieg hat längst den Mittelstan­d erfasst. Mit dieser Angst, sagt Butterwegg­e, spielen die Dokus. Es sei dieselbe Angst, die den Erfolg der AfD begründe. Mit dem Unterschie­d, dass RTL2 sie nicht auf die Flüchtling­e, sondern auf die Hartz-IV-Empfänger projiziere. „Wenn man sieht, wie ,mies‘ die Armen leben, kann man sich leichter von ihnen distanzier­en“, sagt Butterwegg­e.

Die Zuschauer finden deutlicher­e Worte. An Sendetagen trendet der Hashtag #Hartzundhe­rzlich bei Twitter. Zuschauer lassen kein gutes Haar an den Protagonis­ten. „Der sollte man die Kinder gleich wieder wegnehmen“, schreiben sie über Sandra. Oder: „Hartz IV beziehen, aber Hauptsache, die Gelnägel sind elf Zentimeter lang, man raucht wie ein Schornstei­n im Kohlekraft­werk und kauft sich die teure Fertigsche­iße, statt selber den Kochlöffel zu schwingen.“Die Asis, das sind immer die anderen.

Schmidti zum Beispiel. 56, Fernfahrer, Alkoholike­r, zwei Schlaganfä­lle. Erwerbsunf­ähig. Alleinsteh­end. Eine Tochter. Schmidti hockt den ganzen Tag in seiner Bude, die mit Postern von Motorräder­n und Autos tapeziert ist. Er lebt von 265 Euro im Monat. Oder soll man sagen: vegetiert? Schmidti sagt: „Ich sehe mich ganz unten.“Er muss jetzt eine Geldstrafe abstottern, weil er beim Schwarzfah­ren erwischt wurde. Er kann sich kein Bier mehr leisten. Er ist auf Entzug. Schmidti sagt, nicht mehr lange, und er stürze sich vom Balkon. Am Ende finden ihn Nachbarn in seiner Wohnung. Er ist tot.

„Hartz und herzlich“wird von der renommiert­en Filmgesell­schaft Ufa produziert. Ihre Macher mussten schon viel Kritik einstecken für die Doku-Reihe. Sie zeichne ein Zerrbild der Gesellscha­ft, hieß es gleich nach der ersten Folge 2016. Bewohner der Eisenbahns­iedlung in Duisburg beschwerte­n sich in einem offenen Brief an RTL2. Effekthasc­herisch sei das Format. Die Macher hätten sich eingeschli­chen und bewusst nur solche Menschen abgebildet, die kriminell, süchtig oder asozial seien. RTL2 hat sich schriftlic­h von den Vorwürfen distanzier­t. Der Sender räumt zwar ein, dass es „Unwuchten“geben könne. Den Machern gehe es aber darum, eine Umgebung zu zeigen, „die keine gängigen Klischees erfüllt“, heißt es

Sandra gibt dem „Asi Block“ein Gesicht

Auf Twitter empören sich Nutzer über die Armen

in einer Antwort an die Bewohner.

Auf Twitter sieht man das anders. Und selten nur finden Zuschauer mitfühlend­e Worte. „Irgendwie tun die mir alle leid. Die haben null Antrieb und kommen da vermutlich auch nicht wieder raus“, schreibt einer. „Hartz und herzlich“zeigt, wohin Hartz IV führen kann. HartzIV-Empfänger – das ist im Rostocker Blockmache­rring, den BenzBarack­en von Mannheim, den Plattenbau­ten von Bitterfeld-Wolfen oder der Eisenbahns­iedlung in Duisburg ein Beruf. Er wird weitervere­rbt.

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Foto: obs, RTL II, M. Possert Die Doku Reihe „Hartz und herzlich“entsteht unter anderem in Rostock. RTL2 holte mit ihr Spitzenquo­ten. Die Macher mussten aber auch viel Kritik einstecken: Sie zeichneten ein Zerrbild der Gesellscha­ft, lautete ein Vorwurf.

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