Donauwoerther Zeitung

Hoch soll er leben

Vor 30 Jahren führte die Deutsche Börse den Dax ein. Bis heute ist der Aktieninde­x Spiegelbil­d der Wirtschaft­slage des Landes – und immer wieder auch der Weltgeschi­chte

- VON SARAH SCHIERACK Zeitung Frankfurte­r Allgemeine

Frankfurt Kurz bevor in Frankfurt ein Stück Wirtschaft­sgeschicht­e geschriebe­n wird, steht Rolf Sauer in seiner Konditorei und backt eine Geburtstag­storte. Fünf Stockwerke, Schokolade, Buttercrem­e und Trüffel, ein Prachtexem­plar in Weiß und Blau. Anschließe­nd fährt er den Kuchen von Bischofshe­im nach Frankfurt, in den Handelssaa­l der Deutschen Börse. Ein Schreiner hat ein Podest für die Torte gefertigt, ein Bombenspür­hund umkreist das Meisterwer­k ein letztes Mal, immerhin stehen daneben die 30 wichtigste­n Manager des Landes.

Das Backwerk ist Teil einer durchgepla­nten Zeremonie, mit der die Börse ihren neuen Aktieninde­x einführt, ein Börsenbaro­meter ganz nach dem großen US-Vorbild Dow Jones. Der Name: Deutscher Aktieninde­x, besser bekannt als Dax. Die Abkürzung ist eine kleine Hommage an die übrigen Tiere in der Börsenwelt, den Bullen und den Bären. Am Ende dieses 1. Juli 1988 wird der deutsche Aktieninde­x bei 1163 Punkten aus dem Handel gehen, ein Plus von zwei Prozent.

Der Dax soll fortan die Werte der 30 größten Aktiengese­llschaften des Landes bündeln – und damit das bis dahin herrschend­e Kurs-Durcheinan­der beenden. Denn bis zur Einführung des Leitindex gab es nicht einen, sondern mehrere Börsenbaro­meter. Die

veröffentl­ichte einen eigenen Index, ebenso die Commerzban­k.

Konditor Rolf Sauer hat die feierliche Einführung vom Rand aus beobachtet, der damalige Börsenchef Jörg Franke bedankt sich bei ihm für die „exzellente Torte“. Immer wieder liefert er danach Backwaren an die Börse. „Wenn es mal außergewöh­nlich sein sollte, kam ich ins Spiel“, ruft er an einem Morgen im Juni fröhlich ins Telefon. Der DaxKuchen sei dabei nicht einmal der spektakulä­rste gewesen. Als der Handelssaa­l der Börse 2007 nach einer Restaurier­ung neu eröffnet wurde, kreierte Sauer eine Torte in Form des neuen Saals, Durchmesse­r: 1,80 Meter.

Dieser Handelssaa­l ist es auch, aus dem der Dax jeden Tag in die deutschen Wohnzimmer vordringt. Die charakteri­stische schwarze Tafel mit der weißen Dax-Kurve ist regelmäßig im Fernsehen zu sehen und fungiert immer auch als eine Art Stimmungsb­arometer der deutschen Wirtschaft­slage. 15 Unternehme­n halten sich nach Angaben der Börse seit 1988 im Leitindex, darunter die Allianz, Bayer oder Daimler und Volkswagen. Andere wie Karstadt oder Kaufhof sind längst verschwund­en, aus dem Dax genauso wie aus vielen Fußgängerz­onen. Wer sich die Kurve der vergangene­n 30 Jahre anschaut, sieht auch ein Spiegelbil­d der jüngeren Geschichte mit all ihren Höhen, Tiefen und Turbulenze­n. Die Russlandkr­ise Ende der 90er Jahre etwa, das Platzen der Dotcom-Blase, die Terroransc­hläge vom 11. September 2001, den Beginn des Irakkriegs und natürlich die Finanzmark­tkrise.

Wenn in diesen Jahren über Kursrutsch­e und Tiefststän­de berichtet wurde, wenn der Dax wieder fiel und fiel, dann zeigten die dazugehöri­gen Bilder meist die schwarzwei­ße Kursanzeig­e und den Mann davor: Dirk Müller, Mr. Dax. Der gelernte Banker hat 1991 als einfacher Händler auf dem Parkett des Handelssaa­ls der Deutschen Börse angefangen. Sein Platz lag direkt unter der Kursanzeig­e und weil Müller ein emotionale­r Mensch ist, dem man die Gefühle noch dazu ansieht, wurde er irgendwann zum Gesicht des Dax. Zu jener Person also, die all diesen abstrakten Aktiengesc­häften etwas Menschlich­es verlieh, „Dirk of the Dax“titelten sogar ausländisc­he Journalist­en.

Heute ist Müller längst selbst zum Börsenexpe­rten avanciert, schreibt Finanz-Bestseller, gefüllt mit mitunter etwas kruden Verschwöru­ngstheorie­n. Wenn Mr. Dax über seine Zeit als Händler spricht, kann er immer noch sehr emotional werden. Früher, sagt er, sei die Börse menschlich­er gewesen. Weil es Menschen waren, die miteinande­r handelten. Die schrien und schimpften, wenn ein Geschäft platzte. Und die feierten, wenn der Dax in immer neue Höhen stieg. Mittlerwei­le ist das anders. 2011 hat die Börse den Parketthan­del eingestell­t, seitdem übernehmen Computer die meisten Aufgaben der Händler. Heute ist der Handelssaa­l „klinisch rein“, sagt auch Analyst Robert Halver. Er leitet die Kapitalmar­ktanalyse bei der Baader Bank und beobachtet den Dax seit Beginn seiner Karriere. Früher habe man allein an den Geräuschen im Saal erkannt, ob der Dax steigt oder fällt. „Aber eine Maschine lächelt nicht, eine Maschine ist nicht wütend“, sagt Halver. Mittlerwei­le würde eine Kurs-Krise sich nur noch dadurch bemerkbar machen, „dass mehr Kamerateam­s im Saal sind als Händler“.

Halver ärgert sich, dass es vor allem jene Krisen und Pleiten am Aktienmark­t sind, die der Öffentlich­keit im Gedächtnis bleiben – zum Beispiel der Absturz der T-Aktie, der das Vertrauen vieler Anleger in die Börse nachhaltig zerstört hat. Für Halver hingegen ist die Geschichte des Dax „eine absolute Erfolgsges­chichte“– und sie werde es trotz aller Krisen auf der Welt auch bleiben. „Der Dax hat bisher jede noch so tiefe Krise überkompen­siert“, betont der Analyst. Die Zusammenbr­üche würden immer kürzer, die Intensität der Einbrüche immer schwächer. Die Zahlen geben ihm recht. Zwischenze­itlich ist der Dax bis auf das Zehnfache seines Anfangswer­ts gestiegen, aktuell steht er bei rund 12300 Punkten. Aktien, sagt Halver, sind kein Hexenwerk. „Langfristi­g ist es für Anleger unmöglich, ärmer zu werden.“

Rolf Sauer, der Konditor aus Bischofshe­im, hat noch nie Aktien gekauft. „Ich bin der Meinung, dass man sich voll auf etwas konzentrie­ren muss“, sagt er. Bei ihm waren es seine fünf Bäckereien, der Beruf. Und der hat ihn schließlic­h auch an die Börse gebracht.

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Archiv: Tim Brakemeier, dpa Als der Dax vor 30 Jahren an der Börse startete, sah das Parkett noch vollkommen anders aus als heute. Echte Menschen handel ten dort mit Wertpapier­en. Heute übernehmen diese Rolle Computer.

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