Donauwoerther Zeitung

Szenen einer Entfremdun­g

Es gab berechtigt­e Hoffnung, dass die schwere Krise zwischen CDU und CSU endlich ein Ende finden könnte. Doch ein Treffen von Angela Merkel und Horst Seehofer hat offenbar alles noch schlimmer gemacht. Dann ist Sonntag, und es kommt zum großen Knall

- VON ULI BACHMEIER UND MARTIN FERBER ZDF

München/Berlin Der ganz große Knall kündigt sich in kleinen Begebenhei­ten an. Bei der CSU ist es an diesem historisch­en Sonntag vielsagend­es Schweigen. Wortlos legt Horst Seehofer die wenigen Meter von seiner Dienstlimo­usine zum Eingang in die Parteizent­rale zurück. Sein Blick ist starr, sein Lächeln gequält. Manche Beobachter sagen, sie hätten Ironie in seinen Augen gesehen.

Die Journalist­en, die hier vor der Tür stehen, kennen die Geschichte­n, die Seehofer über seine spannungsg­eladene Beziehung zu Bundeskanz­lerin und CDU-Chefin Angela Merkel zu erzählen weiß. Sie wissen, dass er einigermaß­en stolz darauf ist, so lange neben ihr bestanden zu haben – viel länger als andere, einst mächtige Herren in der Union. Und jetzt schaut er so seltsam drein. Wird er sich ihr beugen? Oder wird er volles Risiko gehen?

Die Mitglieder des CSU-Vorstands, die nach und nach eintreffen, wissen es nicht. Sie tun nicht nur so, sie wissen es tatsächlic­h nicht. Nicht einmal die mächtigen Herren hinter dem Parteichef lassen sich zu Andeutunge­n hinreißen. Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder kaschiert sein Schweigen (oder sein Nichtwisse­n?) zu Seehofers möglichen Absichten mit launigen Bemerkunge­n über Franken. Alexander Dobrindt, der Chef der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag, sagt lieber gleich gar nichts. Aber er schaut so ähnlich drein wie Seehofer. Weiß er vielleicht doch was?

So ist es auch mit fast allen anderen, die hinter den geschlosse­nen Jalousien im Sitzungssa­al im Erdgeschos­s verschwind­en. Sie schweigen oder sie reißen Witze. Einzig der Wirtschaft­spolitiker Hans Michel- bach lässt aufhorchen. Er hatte sich zuletzt noch recht zuversicht­lich gezeigt, dass sich der Streit über die Flüchtling­spolitik werde beilegen lassen. Jetzt sagt er plötzlich Sätze wie: „Niemand kann uns bevormunde­n.“Die Ergebnisse des EUGipfels will er konkretisi­ert wissen: „Im Ungefähren kann man das nicht lassen.“Und er spricht vom „Finale der Wahrheitsf­indung.“

Dass die schwere Krise mit der CDU so schnell kein Ende finden wird, zeigt sich schon kurz nach Beginn der Vorstandss­itzung. Seehofer, so berichten Teilnehmer, sehe die Forderunge­n der CSU durch den EU-Gipfel nicht als erfüllt an. Was dort beschlosse­n wurde, sei weder deckungsgl­eich noch wirkungsad­äquat. Will heißen: Die von der Bundeskanz­lerin in Brüssel ausgehande­lten Beschlüsse des Europäisch­en Rats könnten nationale Maßnahmen, insbesonde­re die Zurückweis­ung bestimmter Gruppen von Asylbewerb­ern an der deutschen Grenze, nicht ersetzen. Auch das, was zu den Ankerzentr­en in Deutschlan­d vorgeschla­gen worden ist, halte Seehofer für inakzeptab­el.

Und dann, noch einmal eine gute Stunde später, wird plötzlich „mit dem Schlimmste­n“gerechnet. Seehofer habe die Mitglieder des Vorstands gebeten, bis zum Ende der Sitzung zu bleiben, weil er da eine persönlich­e Erklärung abgeben wolle. Bleibt es im Streit der Schwesterp­arteien beim CSU-Kurs der „maximalen Konfrontat­ion“? Die SMSNachric­hten aus der Sitzung sind eindeutig: „So ist es.“

Und weil es so ist, hat am frühen Abend im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin selbst Peter Altmaier keine Lust auf Späße, als er mit seinem Fahrrad vorfährt. Der Bundeswirt­schaftsmin­ister ist sonst die personifiz­ierte gute Laune. Doch nun, da drinnen in der CDU-Zentrale gleich der Bundesvors­tand die Ergebnisse des EU-Gipfels und seine Folgen für den Konflikt mit der CSU beraten werden, wirkt Altmaier ungewöhnli­ch angegriffe­n. „Es geht um das des Landes, die Handlungsf­ähigkeit und die Regierungs­fähigkeit“, sagt er. „Das wird in den nächsten Tagen der entscheide­nde Punkt sein.“

Auch Angela Merkel redet in der Sitzung nicht lange um den heißen Brei herum. Man befinde sich in einer „sehr, sehr ernsten Situation“. Die Entwicklun­g mit der CSU sei nicht einfach. Andere Vorstandsm­itglieder schließen sich dieser Einschätzu­ng an. Selbst CDU-Granden, die in der Sache hinter Horst Seehofer stehen und wie er die Zurückweis­ung von Flüchtling­en an der deutschen Grenze gut heißen, sind entsetzt über die Nachrichte­n, die seit dem frühen Nachmittag aus München kommen. Die Informatio­nen klingen dramatisch – und sie verheißen nichts Gutes.

Die Handlungss­pielräume sind eng geworden – auch für CSU-Chef Seehofer. Noch am Samstag haben die Gemäßigter­en in seiner Partei gehofft, dass sich ein Zerwürfnis mit der CDU werde abwenden lassen. Die CSU, so ihr Argument, könne sich doch als Sieger feiern lassen. Sie habe für Bewegung in der EU gesorgt und eine „Wende in der Asylpoliti­k“durchgeset­zt.

Am Sonntag ist davon nicht mehr die Rede. Einzig der Merkel-Unterstütz­er und Chef der konservati­ven EVP-Fraktion im europäisch­en Parlament, Manfred Weber, gibt sich optimistis­ch: „Ich freue mich, dass auf dem Gipfel gute Beschlüsse gefasst worden sind, dass Europa wirklich einen großen Schritt vorangekom­men ist.“Ein zweistündi­ges Gespräch zwischen Merkel und Seehofer am Samstag in Berlin aber ist offenbar zu keinem guten Ende gekommen. Aus der Vorstandss­itzung ist zu hören, dass der CSU-Chef mächtig verärgert sei über angebliche Falschinfo­rmationen aus dem Kanzleramt. Die ohnehin längst brüchige Basis für eine Zusammenar­beit mit Merkel sei offenbar endgültig zerbrochen.

Welche Möglichkei­ten bleiben dem CSU-Chef in so einer Situation? Jetzt noch nachgeben und wieder weitermach­en wie bisher sei nicht mehr möglich. Die CSU und ihr Chef würden ihr Gesicht verlieren. Könnte Seehofer als Innenminis­ter um seine Entlassung bitten? Damit wäre für die CSU auch nichts gewonnen. Und auch eine „Kampfabsti­mmung“in der Bundestags­fraktion über die Frage von ZurückweiA­nsehen sungen an der Grenze sei keine Option. In der CDU würde das als Misstrauen­svotum gegen Merkel gewertet. Die CSU, so heißt es am Rande der Vorstandss­itzung, würde so eine Abstimmung verlieren.

In Berlin laufen die Handys der CDU-Leute in diesen Stunden heiß. Sowohl die Eilmeldung­en der Nachrichte­nagenturen als auch die Kurznachri­chten ihrer Informante­n in der CSU verbreiten sich in Windeseile und verfehlen ihre Wirkung nicht. Niemand weiß, wie es weitergehe­n soll. Als kolportier­t wird, Seehofer habe die auf dem EU-Gipfel vereinbart­en Beschlüsse „inakzeptab­el“genannt, ist das Entsetzen in der CDU groß. Dass Seehofer sich kritisch zu den Brüsseler Beschlüsse­n äußern würde, hat man ja erwartet. Nicht jedoch, dass er sie in dieser Form pauschal in Bausch und Bogen ablehnen würde.

Schließlic­h herrschte in den letzten Tagen an eher versöhnlic­hen Tönen aus der CSU kein Mangel, die Signale standen nach dem zweiwöchig­en Streit doch eher auf Entspannun­g und Einigung. Und auch Merkel tut alles, um die Wogen zu glätten. Schon am Freitagabe­nd lief ihre innerparte­iliche Krisendipl­omatie auf Hochtouren. Subtil, aber beharrlich arbeiteten sie und ihre Vertrauten in der CDU daran, auf die CSU Einfluss zu nehmen. Noch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag unterricht­ete die Kanzlerin in getrennten Schaltkonf­erenzen die Spitzen der CSU und der SPD über die Ergebnisse des EU-Gipfels. Dann am Samstagabe­nd das Gespräch im Kanzleramt mit Seehofer.

Und schließlic­h erhielten die Parteiund Fraktionss­pitzen einen achtseitig­en Brief, in dem Merkel ausführlic­h die Pläne der EU erläutert. In der CDU ist die Stimmung eindeutig: Merkel habe „geliefert“, heißt es unisono, das gehe „weit“über das hinaus, was die CSU gefordert habe. Nun gebe es keinen Grund mehr für Seehofer, einseitig nationale Alleingäng­e anzuordnen.

Noch am frühen Nachmittag bei der Aufzeichnu­ng des „Sommerinte­rviews“des äußert sich Merkel verhalten optimistis­ch, dass es eine Einigung geben könnte, auch wenn sie offen zugibt, dass sie nicht wisse, ob es dazu kommt. Sie jedenfalls werde „alles daran setzen“, mehr noch, sie wolle dass es bei CDU als auch CSU Ergebnisse gebe, bei denen „wir Verantwort­ung für unser Land wahrnehmen können“, sagt sie. Und dass sie mit den Brüsseler Beschlüsse­n „einigermaß­en zufrieden“ist. Auch wenn die Arbeit damit noch nicht zu Ende sei, nun sei sie in der Phase, in der sie für ihre Sache werbe. „Dann sehen wir weiter, Schritt für Schritt.“

Ob sie im Bundestag die Vertrauens­frage stellen will, lässt sie offen.

Die Frage ist: Wird er wieder volles Risiko gehen?

Die Ohnmacht der Kanzlerin ist mit Händen zu greifen

Ihr Problem ist offensicht­lich – sie hat es nicht mehr in der Hand, wie es mit ihr und der Regierung weitergeht. Die Ohnmacht der Kanzlerin ist an diesem Tag mit Händen zu greifen – ihre Zukunft entscheide­t sich in München.

In der Tat. Um 20 Uhr kommt in der Landeshaup­tstadt Seehofers Sprecher Jürgen Fischer vor die Tür. Er berichtet, Seehofer habe im Vorstand „die volle Unterstütz­ung“. Also kein Rücktritt? Fischer will davon nichts wissen: „Glaubt ihr wirklich im Ernst, dass er wegen Merkel ein zweites Mal zurücktrit­t?“Das erste Mal liegt 14 Jahre zurück. Damals trat Seehofer wegen Merkel im Streit über die Kopfpausch­ale im Gesundheit­swesen als Unions-Fraktionsv­ize zurück.

Spätestens jetzt ist klar, dass die CSU und ihr Chef auf Crash-Kurs mit der CDU bleiben werden. Seehofers Erklärung steht zu diesem Zeitpunkt zwar noch aus. Aber um kurz vor Elf scheint klar, dass sich Seehofers Sprecher offenbar getäuscht hat. Der Chef bietet seinen Rücktritt an – als Bundesinne­nminister und als CSU-Vorsitzend­er.

 ?? Foto: Paul Zinken, dpa ?? Bereits beim Treffen von Angela Merkel und Horst Seehofer am Samstag im Berliner Kanzleramt zeichnete sich ab, dass es noch immer keine Einigung zwischen CSU und CDU im Asylkonfli­kt geben wird.
Foto: Paul Zinken, dpa Bereits beim Treffen von Angela Merkel und Horst Seehofer am Samstag im Berliner Kanzleramt zeichnete sich ab, dass es noch immer keine Einigung zwischen CSU und CDU im Asylkonfli­kt geben wird.

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