Die Konkurrenten Seit’ an Seit’
Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Daguerreotypie auf den Plan trat, rümpften die Meister der Farbe erst einmal die Nase. Dies blieb nicht lange so – wie eine glänzende Vergleichsschau in Nürnberg zeigt
Nürnberg 15 Sekunden. Keine kurze Spanne Zeit, wenn man absolut ruhig sitzen soll. Nicht umherrutschen, nicht den Kopf bewegen, nicht die Miene verziehen. 15 Sekunden stillhalten – so lange dauerte es in der Frühzeit der Fotografie, bis der Apparat die Belichtung vollzogen hatte, die Aufnahme im Kasten war. Im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg kann der Besucher sich in diese Zeit vor mehr als eineinhalb Jahrhunderten zurückversetzen lassen. In einem simulierten Atelier nimmt man Platz vor einer aufgepflanzten Plattenkamera und wartet, bis das Porträt geschossen ist. 15 Sekunden, für Menschen des Digitalzeitalters fast eine Ewigkeit. Dankenswerterweise hilft, wie damals im 19. Jahrhundert, eine metallene Nackenstütze beim Stillhalten des Kopfes.
Es war das Genre des Porträts, mit dem die aufkommende Fotografie in eine erste Konkurrenz mit der etablierten Malerei trat. Eine Konkurrenz, die, nachdem die Daguerreotypie 1839 auf den Plan getreten war, sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte noch weiter entfalten sollte, ein langer, manchmal skurriler, für beide Seiten letztlich jedoch fruchtbarer Wettstreit, der jetzt auch das Thema der so umfangreichen wie instruktiven Ausstellung „Licht und Leinwand“im Germanischen Nationalmuseum bildet.
Dass die Malerei erst einmal die Nase vorne hatte, zeigt der direkte Vergleich von „Licht“- bzw. „Leinwand“-Porträts. Die Abbildung der menschlichen Gestalt ist das Feld, auf das sich die Fotografie aufgrund ihrer technisch beschränkten Möglichkeiten zunächst verlegt. Wo aber die Daguerreotypien wegen des Stillhaltegebots zu starrem Ausdruck der Porträtierten tendieren, spielte die Malerei nicht nur ihren Farbvorteil aus, sondern zeigte, so ein guter Künstler am Werk, die Personen auch als lebendige Charaktere. Eindrücklich zu sehen etwa am Bildnis von Arthur Schopenhauer, in dem der Künstler Jules Lunteschütz die Denkerstirn des Philosophen so vielsagend in den Lichtfo- kus zu rücken verstand. Schade nur ein bisschen, dass das Nationalmuseum sich keine der sehr wohl existenten Schopenhauer-Daguerreotypien zum direkten Vergleich dazugeliehen hat.
Rasch entwickeln sich Mitte des 19. Jahrhunderts die physikalischchemischen Verfahren des Fotografierens weiter, werden die Bildergebnisse lebendiger, der Einsatzradius größer, sodass schon zu Beginn der 1840er Jahre eine Wiener Kulturzeitschrift fragt: „Wer wird künftig malen, wenn das Daguerreotyp alle Bilder der Welt heißhungrig verschlingt?“Allerdings scheint die Festung, in der die Malerei sich verschanzt, für die Fotografie zunächst uneinnehmbar: die Ästhetik. Kann das, was da auf eine lichtempfindliche Platte gebannt wird, ebenso wie ein auf Leinwand gemaltes Bild wirklich Kunst sein? Ist nicht das, was die Fotografen mit ihren Apparaten einzufangen vermögen, nichts als eine schnöde Kopie, während die Maler zur „tieferen Wahrheit“vorzudringen vermögen – und erst damit ein Bild zum Kunstwerk erheben? Ganz zu schweigen davon, dass die Fotografie von vornherein nicht in der Lage ist, sich bestimmten Sujets zu widmen, man denke nur an historische Situationen. In Nürnberg wird dieses Malerei-Argument durch Adolph Menzels vibrierendes Gemälde jenes Moments illustriert, als der sächsische Kurfürst August III. 1754 die Sixtinische Madonna von Raffael für seine Kunstsammlung in Empfang nimmt – ein Bild, das wie fast alle Gemälde der Ausstellung aus den eigenen reichen Beständen des Germanischen Nationalmuseums stammt.
Und schon gar glauben die Maler den Kunstvorbehalt für sich reklamieren zu können, als in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Landschaftsmalerei mit Neuerungen aufwartet. Bilder entstehen nun im Freien, bei den dargestellten Motiven beginnen sich die Konturen aufzulösen. Atmosphärisches rückt in den Vordergrund, selbst Spitzweg malt nun wie einer aus der Schule von Barbizon. Doch die Fotografie legt nach, gibt sich nicht geschlagen in der Debatte um den Kunstcharakter des fotografisch erzeugten Bilds. Auch hier werden neue Verfahren erprobt, der Engländer Henry Peach Robinson etwa kombiniert verschiedene Negative miteinander und erzielt in seinen Abzügen der Malerei vergleichbare naturbewegte Effekte mit flammenden Himmeln und schäumenden Wassern.
Es gibt sogar Momente, da die Malerei sich vorführen lassen muss: Lange waren die Meister der Überzeugung, dass Pferde im Galopp alle Viere weit von sich strecken, selbst ein ausgewiesener Spezialist wie Franz Krüger malte seine „Zwei Reiter“, die über einen Graben setzen, in der Manier des „gestreckten Galopps“. Und somit falsch, wie in den 1880er Jahren der britische Fotopionier Eadweard Muybridge mithilfe der von ihm entwickelten Chronofotografie – nacheinander geschalteter Kameras – zu belegen vermag. In Wahrheit ziehen Pferde während der Schwebephase des Galopps die Beine an.
Zunehmend bröckelt die Ablehnung der Fotografie durch die Malerkaste. Man erkennt, dass Fotos mit vergleichsweise geringem Aufwand herzustellen sind und nutzt sie für die eigene Arbeit. Franz Lenbach gehört dazu, er lässt Bismarck sogar im eigenen Atelier ablichten, um die entstandenen Bilder dann wie Skizzen für Porträts des Reichskanzlers zu verwenden. Allerdings steht der Malerfürst nicht offiziell zu seinem Vorgehen, zu tief sitzt wohl noch der Dünkel vor dem „Gewerbe“. Und so behauptet er etwa von seinem Tripelporträt Bismarcks (1884), es sei „fast ganz nach der Natur“gemalt – was „fast“eine Unwahrheit ist.
Es wird noch eine Weile dauern, bis die Fotografie im 20. Jahrhundert gleichberechtigt an die Seite der Malerei tritt, die heutzutage, angesichts der überwältigenden virtuellen Bilderflut, ein wenig unter den Rechtfertigungsdruck des NochZeitgemäßen zu geraten scheint. Um 1900 ist die Fotografie sich ihres künstlerischen Stellenwerts bewusst geworden, und sie zeigt dies auch: Edward Steichen nimmt in seinem 1901 aufgenommenen Selbstporträt unverkennbar Bezug zu einem berühmten Gemälde eines der ganz großen Meister der Malerei, auf den „Mann mit dem Handschuh“von Tizian. Wenn das keine Ansage ist!