Wo der Frust wächst
Das Bayerische Transitzentrum Manching-Ingolstadt gilt als Vorbild für die von der Staatsregierung geplanten Ankerzentren. Doch wie sieht das Leben der Flüchtlinge dort aus?
Ingolstadt/Manching Da ist zum Beispiel der junge Mann aus der Ukraine. Der 32-Jährige lebt schon seit über einem Jahr mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Töchtern im Bayerischen Transitzentrum Manching-Ingolstadt (BayTMI). Sein Asylverfahren läuft. Wann er Bescheid bekommt? Das Warten-können-Müssen gehört zum Leben eines Asylsuchenden wie Container und Stahlzäune und die quälende Angst vor der Ablehnung.
Sogenannte „Transitzentren“haben gerade als Lösung für alles Mögliche Konjunktur. Für den Streit zwischen der Christlich-Sozialen Union und der Christlich-Demokratischen Union, für „die Asylproblematik“, zur Demonstration staatlicher Handlungsfähigkeit. Die Transitzentren, die an der österreichischen Grenze entstehen könnten, werden in der komplizierten asylrechtlichen Gemengelage zwar andere Aufgaben haben als jene, die es bereits gibt. Gemeinsam wird ihnen aber sein, dass dort Menschen in abgesperrten Bereichen untergebracht werden, die dort auf eine – möglichst schnelle – Entscheidung über ihr Schicksal warten.
Das BayTMI ist jedenfalls auf Zügigkeit getrimmt. Ob jemand bleiben darf oder endgültig das Land verlassen muss, werde dort im Schnitt in sechs Wochen entschieden, heißt es. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt laut Regierung von Oberbayern viereinhalb Monate. In der Regel kommen ins BayTMI Asylsuchende, denen eine geringe Bleibeperspektive zugeschrieben wird. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) etwa ist vor Ort, diverse Ausländerbehörden, eine Außenstelle des Verwaltungsgerichts und das Sozialamt. Und das BayTMI ist für die Staatsregierung eine Art Blaupause für die sieben, in ihren Aufgaben erweiterten Ankerzentren, die in den kommenden Wochen in den bayerischen Regierungsbezirken errichtet werden. Anker steht dabei für „Ankunft, Entscheidung, Rückführung“.
„Anker“– Gabriele Störkle von der Caritas Pfaffenhofen findet diesen Namen für die Lager „zynisch“. Ein Wort für einen Ort zu verwenden, das Schutz und Halt verspreche. Dabei lebten dort Menschen, die darunter litten, dass die Mehrheit von ihnen eben keine Perspektive habe. Keinen Hafen. Störkle macht seit 2015 Asylsozialberatung im BayTMI. Sie sagt: „Den Leuten wird hier die Autonomie und Selbstständigkeit genommen.“Keine Arbeit, die Enge, die Essenszeiten vorgeschrieben, Etagenduschen, Etagentoiletten. Und das vor dem Hintergrund der Fluchterfahrung.
Die Dramatik der großen Einrichtungen bestehe darin, dass sie den einzelnen „entmündigen“. Ein alleinstehender Erwachsener habe derzeit 94 Euro pro Monat zur freien Verfügung, sagt sie. Und die Staatsregierung will das „Sachleistungsprinzip“verstärkt umsetzen. Weniger Bargeld, mehr Gutscheine.
Nicht wenige bräuchten aber die Hilfe eines Anwaltes für ihr Asylverfahren oder die Klage gegen einen ablehnenden Bescheid. Wie die- sen bezahlen? Selbst wenn er sich auf Raten einlässt? Störkle kritisiert auch die Schnelligkeit, mit der Anhörungen terminiert werden. Wie solle etwa jemand in einem fremden Land und mit schlechten Sprachkenntnissen sich ein fachärztliches Attest über eine psychische Erkrankung besorgen, wenn diese schon nach drei Tagen angesetzt werde? Das BayTMI sei ein Ort, „an dem Frust wächst und Aggression wachsen kann.“
Das weiß auch Peter Heigl, Leiter der Ingolstädter Polizeiinspektion. Immer wieder müssen seine Beamten dorthin raus. 2017 habe es insgesamt sieben Großeinsätze gegeben. 2018 mussten bisher bereits fünf Mal mehr als sechs Streifen ausrücken. Die Zahl der Einsätze sei leicht gestiegen. Meist gehe es um Beleidigungen und Körperverletzungen. Erst kürzlich hatte es wieder Ärger bei der Taschengeldausgabe gegeben. Heigl sagt: „Wenn sie verschiedene Menschen auf einem Zimmer unterbringen, dann haben sie immer mehr Konflikte, als wenn die in Einzimmer-Appartements wohnen. Das ist nicht typisch für Asylbewerber.“
Derzeit leben im BayTMI 1130 Asylsuchende. Der junge Mann aus der Ukraine, ein Anwalt, und seine Familie gehören zu ihnen. Er wirkt nicht so wie jemand, der sich hängen lasst. Er betont, wie dankbar er sei, in Deutschland sein zu dürfen. Wenn er zurück nach Kiew müsste, drohe ihm, sofort am Flughafen verhaftet zu werden. Er habe aus politischen Gründen fliehen müssen, weil er in der Ukraine korrupte Machenschaften der Regierung aufgedeckt habe. Der Geheimdienst sei hinter ihm her. Die Schwierigkeiten des Lagerlebens seien ihm vergleichsweise egal. Er könne, so sagt er, auch im Wald wohnen, wenn es denn nötig wäre. Was ihm das Wichtigste ist? Ein faires Verfahren. „Wir möchten eine Chance haben.“