Vater, Mutter, Mädchen
Linn Ullmann, die Tochter von Ingmar Bergman und Liv Ullmann, erzählt von den „Unruhigen“
Sie wurde geliebt, war aber trotzdem einsam als Kind. Ihre Mutter kuschelte gern mit der Tochter, hatte aber oft „zerknitterte Nerven“, weshalb sie die Kleine gern lange ihren Kindermädchen überließ. Der Vater war ohnehin immer beim Arbeiten, und er hatte ja noch weitere acht Kinder mit fünf verschiedenen Frauen. Es war nicht so einfach, die Tochter der Schauspielerin Liv Ullmann und des Regisseurs Ingmar Bergman zu sein. Die Eltern waren die „Unruhigen“, wenngleich sie sich um Liebenswürdigkeit gegenüber der Tochter bemühten.
Linn Ullmann, 51, hat sich entschieden, pünktlich zum 100. Geburtstag des Vaters (14. Juli) darüber zu schreiben – über die Geschichten aus ihrer Kindheit und Jugend, nicht anklagend, aber auch nicht mit verklärtem Blick. Die norwegische Autorin ist mittlerweile eine der wichtigsten Schriftstellerinnen Skandinaviens. Mehrere ihrer Bücher wurden preisgekrönt. Ihre Eltern galten als Traumpaar des skandinavischen Films, und nun verspricht das Buch der Tochter, preiszugeben, wie es wirklich war in dieser Familie. Aber wer allzu intime Einblicke erwartet, wird enttäuscht. Nicht umsonst bezeichnet Linn Ullmann, Journalistin und Schriftstellerin, ihr Buch als Roman. Das bedeutet, dass Lebenserinnerungen eine Rolle spielen, eine wichtige sogar, aber eben auch das Fiktive, das Erfundene. Aus Erinnerungen, Gesprächen, Reflexionen und Szenen hat die Autorin eine literarische Montage gefertigt. Ausgangspunkt des Projekts waren die Gespräche mit ihrem Vater, es sollte ein Buch über das Altern werden. Jahrelang nahm Ullmann die VaterTochter-Gespräche auf, aber der Text daraus ließ sich nicht mehr realisieren. Bergman litt an Demenz und starb 2007 in seinem Haus auf der schwedischen Insel Farö. So entstand ein Art Bilderbuch als kunstvolles sprachliches Geflecht. Erinnerungen werden bildhaft wiedergegeben. Es gibt „die Mutter“, „den Vater“und „das Mädchen“. Der Vater war 48 Jahre alt, als sein letztes Kind zur Welt kam, die Mutter wesentlich jünger. Ullmann schildert, wie sich die Eltern miteinander verhielten, was sie sagten, wie sie dann aussahen. Bilder über Bilder reihen sich. Die Konturen der realen Personen sind verwischt, auch wenn klar ist, um wen es geht, allein durch die Zitate aus Briefen und Tagebüchern von Ingmar Bergman.
Beschreibung ist Wahrnehmung, die Bilder kehren zurück, manchmal aber auch nicht. Ullmann schildert die Ordnungssucht des Vaters, seine Angst vor Erkältungen. Aber auch, dass sie sich deutlicher an das rote Fahrrad erinnert als an das Gesicht des Vaters. So entstehen Zwischenräume, in denen Fragen auftauchen. Solche nach der Authentizität ihrer Kunst bis zum Sinn des Lebens. Sie beschreibt neue Wertigkeiten im Alter: Etwa wenn der sterbende Vater nicht mehr essen, aber Bach hören will. Das ist berührend. Ebenso die Passagen über ihre Überforderung als Kind mit zwei Egozentrikern. Linn Ullmann hat sich ihren eigenen Kunstkosmos geschaffen, ihren Eltern hat sie darin viel Platz gelassen.