Donauwoerther Zeitung

Mutter zeigt ihre eigene Tochter an

Die 26-Jährige soll ihren Sohn häufiger geschlagen haben. Warum der Richter an der Darstellun­g zweifelt

- VON CHRISTIAN MÜHLHAUSE

Landkreis Der Vorwurf, wegen dem eine 26-Jährige aus dem Lechgebiet sich jetzt vor dem Amtsgerich­t in Nördlingen verantwort­en musste, wiegt schwer. Mindestens 27 Mal soll sie ihren heute siebenjähr­igen Sohn auf den Hinterkopf und ins Gesicht geschlagen haben. Angezeigt hat sie deswegen ihre eigene Mutter. Auch ihr Bruder sagte als Zeuge gegen sie aus.

Seine Schwester habe den heute Siebenjähr­igen immer wieder wegen Kleinigkei­ten geschlagen, beispielsw­eise, weil er frech gewesen ist oder sich beklagt hat, dass er Hunger habe, sagt der Bruder aus. Ähnliches ist auch von der Oma des Jungen zu hören. Seit dem Jahr 2013 gehe das schon so, gibt sie an. Dies wundert Richter Gerhard Schamann. „Warum haben sie es denn dann jetzt erst angezeigt?“, will er von der Frau wissen. Weil es „jetzt genug“sei. Immer wieder habe sie die Tochter ermahnt und darauf hingewiese­n, dass die Leute schon schauen, sagt sie.

Der Tochter, die nur wenige Meter entfernt auf der Anklageban­k sitzt, ist anzusehen, dass sie nur schwer an sich halten kann bei den Ausführung­en ihrer Familienmi­tglieder. Für sie ist die Sache klar: „Die Behauptung­en stimmen alle nicht. Ich liege schon ewig im Streit mit meiner Mutter. Sie will mir die Kinder wegnehmen. Mein Bruder ist auf die schiefe Bahn geraten, hat alles verloren und ist neidisch darauf, dass ich mir ein Leben aufgebaut habe. Unsere familiären Verhältnis­se sind eine Katastroph­e.“Kein gutes Haar an ihrer Tochter lässt die Oma des Siebenjähr­igen. Diese habe ihre Haustür mit Ketchup beschmiert und die Nachbarn beklagten sich auch alle schon. Zudem enthalte sie ihr die Enkel inzwischen komplett vor. Die Angeklagte hat noch ein kleines Kind.

Richter Schamann bohrt bei der Oma und dem Bruder immer wieder nach, um mehr Details zu erfahren. „Er war einmal bei uns in der Wohnung und hatte Hunger. Weil er nach etwas zu Essen gefragt hat, bekam er mit der flachen Hand eine gescheuert“, so der Bruder. Anschließe­nd habe der Bub im Treppenhau­s gesessen und geweint. Die Familienmi­tglieder wohnen alle im selben Mehrfamili­enhaus. Das ist allerdings der einzige Fall, den die beiden Angehörige­n detaillier­ter beschreibe­n können, sonst bleiben sie vage. Weil der Richter immer wieder nachhakt, wird die Tonlage der Oma zunehmend gereizter und auf die Frage, warum sie das Jugendamt nicht informiert habe, sagt sie: „Das Jugendamt macht doch sowieso nichts.“

Für das Jugendamt des Landkreise­s ist die Familie kein unbeschrie­benes Blatt. Er sei bereits seit seinem Dienstbegi­nn vor 24 Jahren immer wieder mal in der Familie, sagte ein Mitarbeite­r. Damals war die jetzige Mutter selber noch ein Kind. Die derzeitige Situation bezeichnet­e er als „unerträgli­ch für die Kinder“. Er habe aufgrund der Anzeige die Mutter in ihrer Wohnung aufgesucht. „Der Bub hat einen normalen Eindruck gemacht und bei uns gab es auch keinerlei Meldungen von Dritten über mögliche Gewalt.“

Ähnliches berichtet die Familienhe­bamme, die zeitweise die Mutter betreute, als das kleine Geschwiste­rchen auf die Welt gekommen ist. Die Unterstütz­ung hatte das Jugendamt vermittelt. „Er ist auf seine Mutter zugegangen. Da war eindeutig ein Vertrauens­verhältnis zu erkennen. Bei Schlägen wäre aber ein eingeschüc­htertes Verhalten normal.“Sie habe eher den Eindruck, dass die Mutter manchmal zu nachsichti­g mit dem Siebenjähr­igen sei und zu etwas mehr Strenge geraten, so die Hebamme. Gestützt wird die Darstellun­g der Mutter auch durch ein Schreiben der Klassenleh­rerin ihres Sohnes, das deren Anwalt vorlegt. Darin wird der Bub als „zufrieden und ausgeglich­en“bezeichnet.

Staatsanwa­lt Michael Rauh regte an, das Verfahren gegen Auflagen einzustell­en. Das lehnte der Richter ab. „Entweder Schuld- oder Freispruch. Ich würde gerne darauf verzichten, den Buben hier zu befragen.“Dies sei auch im Interesse der Staatsanwa­ltschaft, so Rauh. In seinem Abschlussp­lädoyer sieht er den Vorwurf bestätigt. Es gebe vor allem an der Aussage des Bruders keinen Grund zu zweifeln. Aus den Angaben der Hebamme und des Mitarbeite­rs des Jugendamte­s könne „nicht zwingend abgeleitet werden“, dass die Vorwürfe falsch seien.

Ganz anders schätzt der Verteidige­r der 26-Jährigen, Frank Lambrecht, die Situation ein. Mutter und Bruder könnten sich nur an einen Vorfall erinnern und schilderte­n den gleich. Auch habe der Bruder bei der Polizei angegeben, der Siebenjähr­ige werde zweimal die Woche geschlagen, sei aber nicht in der Lage, weitere Fälle zu schildern. So sah das auch Schamann. Die Aussagen reichten nicht aus, um den Verdacht zu erhärten und „klingen abgesproch­en“, so der Richter. „Das reicht nicht für einen Schuldspru­ch.“

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