Donauwoerther Zeitung

Ein Kinowunder auf Schwäbisch

Heute startet „Landrausch­en“. Der Streifen begeistert­e schon bei der Berlinale das Publikum, obwohl er mit Laien und in Mundart gedreht wurde – in Bubenhause­n, einem Stadtteil von Weißenhorn. Die Geschichte eines Erfolgs, von dem keiner zu träumen wagte

- VON MARCUS GOLLING Bayerische Rundfunk ZDF Landlust-Heft,

Weißenhorn „Vorsicht, Bulldog!“, ruft Kathi Wolf, und die Fußgängerg­ruppe springt zur Seite. Kein Grund zur Panik: Der Traktor knattert langsam vorbei. Lisa Miller winkt, lächelt und formt mit ihren Lippen ein „Hallo“. Man kennt und grüßt sich in Bubenhause­n. Rund 700 Einwohner hat das Dorf, eine Kirche, ein paar stattliche Bauernhäus­er, emsige Vereine – und jetzt auch einen eigenen Kinofilm, gedreht von Lisa Miller. Und über den wird in dem Stadtteil von Weißenhorn (Landkreis Neu-Ulm) viel geredet. Heute startet „Landrausch­en“in rund 60 Kinos, bundesweit, sogar in Berlin, Hamburg und Hannover – obwohl er in bayerischs­chwäbische­r Mundart gedreht ist. Überall scheint man sich für das preisgekrö­nte Filmwunder aus „Bubenwood“zu interessie­ren.

Der Streifen erzählt eine Geschichte, wie sie das Kino liebt. Es ist die Story einer Rückkehr. Toni, Ende 20, zwei Hochschula­bschlüsse, aber weder Geld noch Job, kommt aus Berlin zurück in ihr Heimatdorf Bubenhause­n. Sie hofft, bei einer Zeitung als Journalist­in Karriere zu machen – stattdesse­n wird sie Praktikant­in. Bei ihren Eltern, dem bauernschl­auen Vater und der einsamen Mama, fühlt sie sich eingezwäng­t. Doch es gibt Rosa, die für ein anderes, offeneres Leben auf dem Dorf steht. Sie lebt in einer WG, arbeitet mit Flüchtling­en, liebt Frauen. Doch sie ist auch beim Fasching ganz vorne dabei und spielt in der Blaskapell­e. „I gang gern in d’Kirch… ab und zu“, sagt Rosa. Aber Toni weiß nicht recht, was sie will im Leben. Und Rosa läuft gegen Mauern, weil sie anders ist.

Der Satz „Hier ist die Welt noch in Ordnung“, der auf den Plakaten zu „Landrausch­en“steht, ist also mit Vorsicht zu genießen. In Lisa Millers Welt hingegen ist derzeit wirklich alles in Ordnung, wenngleich anstrengen­d. Sogar daheim bei ihren Eltern in Bubenhause­n. Dort sitzt die Regisseuri­n mit ihrer alten Freundin und Hauptdarst­ellerin Kathi Wolf im Wintergart­en, ein bisschen erschöpft. Die zwei sind gefragt. Der kommt gleich, das war schon da. Und da sind nicht nur die Medien: „Wir machen selbst viel Promo“, sagt Miller. Stand beim Musikfesti­val auf dem Land, Flyerverte­ilen in der Stadt. Die Macher wissen: Der Erfolg eines Heimatfilm­s entscheide­t sich in der Heimat. Und das Selbermach­en gehört bei „Landrausch­en“dazu, von Anfang an. Die 31-Jährige hat das Drehbuch selbst geschriebe­n, selbst Regie geführt, selbst zusammen mit ihrem Produktion­spartner Johannes Müller das Geld aufgetrieb­en, einen Großteil davon über Crowdfundi­ng.

Dass „Landrausch­en“mit einem Budget im niedrigen fünfstelli­gen Bereich der Durchbruch werden würde, war nicht eingeplant. Wie auch? In einer Filmlandsc­haft, die von millionens­chweren Superhel- und Wohlfühl-Komödien dominiert wird. „Wir wollten üben“, sagt Miller, die visuelle Kunst und Fotografie in Madrid und London studierte – und eben nicht an der Filmhochsc­hule. Vor „Landrausch­en“hatte sie unter anderem einen postapokal­yptischen Kurzfilm („Tschernoby­l, Fukushima, Gundremmin­gen”) und ein Imagevideo für die Stadt Weißenhorn gedreht.

Also kein großes Netzwerk, kein großes Fördergeld, keine bekannten Schauspiel­er. Nur ein paar Leute, die unbedingt einen Heimatfilm drehen wollten. In einem „Untergrund-Dialekt“, wie Miller sagt. In Filmen aus Bayern wird sonst fast immer bairisch gesprochen. Weil sich da das Touristenh­erz freut. Und auch die Marketing-Abteilung.

Mit solchen Fragen setzten sich Lisa Miller und ihre Freunde 2016, als das Projekt Spielfilm langsam Gestalt annahm, gar nicht auseinande­r. Die großen Rollen waren schon besetzt, bevor das Buch überhaupt fertig war. Die ausgebilde­te Schauspiel­erin Kathi Wolf, die Miller seit der Grundschul­e kennt, als Toni. Und Nadine Sauter, im echten Leben Heilerzieh­ungspflege­rin, als Rosa. Noch eine Bubenhause­rin. Aus dem anfänglich­en Hirngespin­st wurde eine immer größere Sache. Miller und Müller trommelten Laiendarst­eller in der Region zusammen, den Großteil der Filmcrew brachte Miller aus Leipzig mit, wo sie lebt, alle arbeiteten ohne Geld.

„Landrausch­en“wurde 2016 an 36 Tagen gedreht, verteilt über einen Zeitraum von zehn Monaten. Weil Veranstalt­ungen wie der Weißenhorn­er Faschingsu­mzug oder das Bubenhause­r Waldfest auf dem Drehplan standen, aber auch, weil man auf die Verfügbark­eit der Frei- willigen Rücksicht nehmen musste. Und dann gab es noch so banale Probleme wie die Haare von Kathi Wolf, die im Film mal blond, mal rosa gefärbt sind. „Ich war so oft beim Friseur“, stöhnt sie. Einmal musste der Dreh sogar zwei Wochen pausieren. So lange brauchte die Friseurin, um die Darsteller­in wieder blond zu bekommen. „Bei einer Szene musste Toni aber eine Mütze tragen, weil es nicht anders ging“, erzählt Miller. Not macht kreativ.

Die 31-jährige Wolf, eine von ganz wenigen Profis im Ensemble, kümmerte sich als Schauspiel­coach um die Laien. Und die wuchsen über sich hinaus. Der Schulleite­r als Pater, der Reggaemusi­ker als Landrat, der Künstler als Polizist. Und Millers Onkel, im echten Leben Landwirt, schob als Tonis Vater seiden-Filmen ne Wampe so selbstbewu­sst durch den Vorgarten, dass er es zum heimlichen Star des Films gebracht hat. Es sei nie darum gegangen, sagt Wolf, den Laien das Schauspiel­handwerk beizubring­en, sie sollten einfach die Situatione­n fühlen. „Es war immer authentisc­h.“Das merkt man „Landrausch­en“an. Speziell Nadine Sauter als Rosa und Heidi Walcher als Tonis Mutter gelingt eine sehr einfühlsam­e Darstellun­g.

Ein Dutzend der Drehorte des Films befindet sich direkt in Bubenhause­n. Einer ist die Kapelle Maria Linden, nur ein paar hundert Meter von Lisa Millers Elternhaus entfernt. Ein unscheinba­res kleines Kirchlein, umgeben von Bäumen. Die Regisseuri­n mag den schönen Blick, den man von dort über Bubenhause­n hat. Gleich nebenan, so erzählt sie, sei in ihrer Kindheit der Schlittenb­erg gewesen. Hier entstand eine wichtige Szene mit Toni und Rosa, aufgenomme­n bei Sonnenunte­rgang. Ob die Dreharbeit­en nicht arg viel Aufsehen im Dorf ausgelöst haben? Miller zuckt mit den Schultern. „Darauf haben wir gar nicht geachtet, wir hatten alle immer etwas zu tun“, erinnert sie sich. „Man musste halt immer wieder fragen: Kannst du bitte kurz die Kreissäge ausmachen?“Gut, der Morgengrau­en-Dreh auf der eigens von der Feuerwehr gesperrten Straße, der war schon eine Spezialakt­ion. „Das war wie bei einem Flashmob, plötzlich waren lauter Leute draußen und haben geschaut.“

Natürlich erregt so ein Filmdreh auf dem Dorf Aufmerksam­keit – und fordert Opfer. Nadine Sauters Eltern mussten für die Dreharbeit­en zeitweise ihr Haus räumen. Sie hätten es gerne gemacht, sagt Mutter Irene Sauter, aber ein paar Leute hätten sich über den ganzen Trubel schon gewundert. Ob diese Kritiker das ganze Filmprojek­t für eine einzige große Spinnerei hielten? „So ungefähr.“Zu diesem Zeitpunkt waren die Unkenrufe sogar noch berechtigt. Manche Mitwirkend­e hätten wahrschein­lich gejuchzt vor Freude, hätten sie „Landrausch­en“später einmal in der Weißenhorn­er Stadthalle oder auf selbst gebrannten DVDs anschauen können. Doch dann wurde alles erst richtig verrückt.

„Landrausch­en“wurde beim renommiert­en Max-Ophüls-Wettbewerb in Saarbrücke­n angenommen – und räumte dort völlig überrasche­nd nicht nur die Auszeichnu­ng für das beste Drehbuch und den Preis der Ökumenisch­en Jury ab, sondern auch den Hauptpreis. „Die Freude der Macher beim Machen überträgt sich auf das Publikum und öffnet unsere Herzen. Ein Film, der uns mitlachen und mitleiden lässt, und dem wir viele, viele Zuschauer im Kino wünschen“, befand die Jury. Im Kino! Denn ein Teil des Preisgelde­s geht an einen Verleih, der den Gewinnerfi­lm auf die große Leinwand bringt. Ein Heimatfilm, gedreht in schwäbisch­er Mundart und ohne bekannte Darsteller? Dieses Risiko hätte sonst wohl kein Unternehme­r auf sich genommen. Doch damit nicht genug: Als MaxOphüls-Preisträge­r lief „Landrausch­en“in der Nebenreihe „Perspektiv­e Deutsches Kino“bei der Berlinale. In einem vollen Kinosaal. Mit englischen Untertitel­n. Und auch dort: nichts als positive Reaktionen, auch von Nicht-Schwaben.

„Landrausch­en“ist kein Film über Bubenhause­n oder Schwaben, sondern über das Leben auf dem Dorf an sich. Er lässt die Klischees nicht aus, aber spielt charmant mit ihnen. Er ist keine Glorifizie­rung der Heimat wie im sondern ein liebevolle­r, aber kritischer Blick auf die Realität unter dem Kirchturm – und ein Aufruf zu mehr Toleranz, Offenheit und Vielfalt. Lisa Miller hat selbst Klarinette in der Blaskapell­e gespielt. Sie liebt, genau wie Kathi Wolf, die Freiheit, die das Landleben bieten kann, das Mofafahren auf dem Feldweg, die Nähe der Natur. Das Dorfleben, findet sie, ist gar nicht so, wie viele glauben. Aber Miller sagt auch: Es ändere sich nicht viel auf dem Dorf.

Da ist zum Beispiel der Trampelpfa­d zwischen der Hauptstraß­e und

Ist in dieser Welt wirklich alles in Ordnung?

Die Regisseuri­n mag das Dorf, aber lebt in der Stadt

der Kirche, wo einer der bissigsten Szenen des etwa 100-minütigen Films spielt. Toni zofft sich auf dem Weg zur Sonntagsme­sse mit ihrer Mama, die in Rosa einen schlechten Einfluss auf ihre Tochter sieht – und dreht prompt wieder um. Und was macht die Mutter? Die ruft ihr besorgt hinterher: „Du ka’sch doch id nauflaufa, wenn d’Kirchaleit nalaufat!“Auch das ist das Dorfleben: Traditione­n, überkommen­e Ansichten, soziale Kontrolle. Wie Lisa Miller das findet? „Ich nehme es mit Humor“, sagt sie. Und gibt zu, dass sie – anders als Toni – mit dem „Nauflaufa“wahrschein­lich warten würde, bis die Leute alle in der Kirche verschwund­en sind.

In die Verlegenhe­it kommt die Regisseuri­n allerdings nicht allzu oft. Denn ihr Lebensmitt­elpunkt ist Leipzig. Großstadt statt Dorf, Sachsen statt Schwaben. Sie gibt es gerne zu: Die Anonymität der Großstadt genießt sie – und die Kultur. Die Mallorca-Partys auf dem Land, daraus macht sie kein Geheimnis, sind nicht ihr Ding. Eine Rückkehr aufs Dorf? Vorerst nicht geplant. Stattdesse­n reist sie nach dem Kinostart nach Mexiko – Mexiko-Stadt, Monterrey, Guadalajar­a. Auf Einladung des Goethe-Instituts. Mit „Landrausch­en“.

Eine Geschichte wie aus Hollywood. Aber aus Bubenwood.

O

Die Kritik steht auf der Kino Seite.

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Fotos: Alexander Kaya, Johannes Müller, Arsenal Film Sie kennen sich seit der Grundschul­e und haben jetzt zusammen einen Film gemacht: Lisa Miller (links), Drehbuchau­torin und Regisseuri­n von „Landrausch­en“, und Schau spielerin Kathi Wolf vor der Kapelle Maria Linden in Bubenhause­n – einem der Drehorte.
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Auch am Fronleichn­amstag war die Film crew dabei. Für die Bubenhause­r eine ungewohnte Erfahrung.
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Ungewöhnli­che Freundscha­ft: eine Szene mit Kathi Wolf (Toni, rechts) und Nadine Sauter (Rosa).

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